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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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4.
Der Waldboden.
Unablässig saugt die Lippe
Der Verwittrung an der Felsenklippe;
Fest Gebundnes muß gelöst zerfallen.
Und da fühlt das Starre Regung,
Was geruht bekommt Bewegung,
Mit dem Bache muß es thalwärts wallen.
Unten wird es Muttererde,
Ruft der Pflanze: leb' und werde,
Sei Vermittlerin für höh'res Leben!
Darum ist es tiefe Wahrheit,
Unsres Seins Erkenntnißklarheit:
Daß wir alle an der Scholle kleben.

Den Grund, auf welchem uns die Natur das schöne reiche Waldbild
malt, bildet der Waldboden. Da er der Quell des Waldbestandes
und die bedingende Ursache von dessen Beschaffenheit ist, so steht seine
eigene Beschaffenheit großentheils in einem geraden Verhältnisse zu dem
Waldbestande und ist in hohem Grade unserer Beachtung werth.

Daß der Waldboden auch von der ästhetischen Seite seine große Be-
deutung für uns habe, wissen wir alle, wenn wir uns an die schwellende
Moosdecke eines frischen Fichtenbestandes oder an das düstere Haidekraut
erinnern, welches zwischen den weitläufiggestellten Bäumen eines Kiefern-
waldes den Boden locker verhüllt.

Wenn schon der Boden, welcher die Wiese, das Kornfeld, den blumen-
reichen Garten trägt, als Spender von Nahrung für unseren Leib und
für unser Gemüth unsre dankbare Beachtung erregt, und wir zu einem
Warum uns veranlaßt fühlen, wenn wir auf einem Boden eine reiche
Pflanzenwelt hervorkeimen sehen und ein anderer, von jenem kaum ver-
schieden scheinender, nur kümmerlichen Pflanzenwuchs erzeugt, um wieviel
mehr müssen wir diese Frage an den Waldboden richten, dessen Leistungen

4.
Der Waldboden.
Unabläſſig ſaugt die Lippe
Der Verwittrung an der Felſenklippe;
Feſt Gebundnes muß gelöſt zerfallen.
Und da fühlt das Starre Regung,
Was geruht bekommt Bewegung,
Mit dem Bache muß es thalwärts wallen.
Unten wird es Muttererde,
Ruft der Pflanze: leb’ und werde,
Sei Vermittlerin für höh’res Leben!
Darum iſt es tiefe Wahrheit,
Unſres Seins Erkenntnißklarheit:
Daß wir alle an der Scholle kleben.

Den Grund, auf welchem uns die Natur das ſchöne reiche Waldbild
malt, bildet der Waldboden. Da er der Quell des Waldbeſtandes
und die bedingende Urſache von deſſen Beſchaffenheit iſt, ſo ſteht ſeine
eigene Beſchaffenheit großentheils in einem geraden Verhältniſſe zu dem
Waldbeſtande und iſt in hohem Grade unſerer Beachtung werth.

Daß der Waldboden auch von der äſthetiſchen Seite ſeine große Be-
deutung für uns habe, wiſſen wir alle, wenn wir uns an die ſchwellende
Moosdecke eines friſchen Fichtenbeſtandes oder an das düſtere Haidekraut
erinnern, welches zwiſchen den weitläufiggeſtellten Bäumen eines Kiefern-
waldes den Boden locker verhüllt.

Wenn ſchon der Boden, welcher die Wieſe, das Kornfeld, den blumen-
reichen Garten trägt, als Spender von Nahrung für unſeren Leib und
für unſer Gemüth unſre dankbare Beachtung erregt, und wir zu einem
Warum uns veranlaßt fühlen, wenn wir auf einem Boden eine reiche
Pflanzenwelt hervorkeimen ſehen und ein anderer, von jenem kaum ver-
ſchieden ſcheinender, nur kümmerlichen Pflanzenwuchs erzeugt, um wieviel
mehr müſſen wir dieſe Frage an den Waldboden richten, deſſen Leiſtungen

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[[25]/0049] 4. Der Waldboden. Unabläſſig ſaugt die Lippe Der Verwittrung an der Felſenklippe; Feſt Gebundnes muß gelöſt zerfallen. Und da fühlt das Starre Regung, Was geruht bekommt Bewegung, Mit dem Bache muß es thalwärts wallen. Unten wird es Muttererde, Ruft der Pflanze: leb’ und werde, Sei Vermittlerin für höh’res Leben! Darum iſt es tiefe Wahrheit, Unſres Seins Erkenntnißklarheit: Daß wir alle an der Scholle kleben. Den Grund, auf welchem uns die Natur das ſchöne reiche Waldbild malt, bildet der Waldboden. Da er der Quell des Waldbeſtandes und die bedingende Urſache von deſſen Beſchaffenheit iſt, ſo ſteht ſeine eigene Beſchaffenheit großentheils in einem geraden Verhältniſſe zu dem Waldbeſtande und iſt in hohem Grade unſerer Beachtung werth. Daß der Waldboden auch von der äſthetiſchen Seite ſeine große Be- deutung für uns habe, wiſſen wir alle, wenn wir uns an die ſchwellende Moosdecke eines friſchen Fichtenbeſtandes oder an das düſtere Haidekraut erinnern, welches zwiſchen den weitläufiggeſtellten Bäumen eines Kiefern- waldes den Boden locker verhüllt. Wenn ſchon der Boden, welcher die Wieſe, das Kornfeld, den blumen- reichen Garten trägt, als Spender von Nahrung für unſeren Leib und für unſer Gemüth unſre dankbare Beachtung erregt, und wir zu einem Warum uns veranlaßt fühlen, wenn wir auf einem Boden eine reiche Pflanzenwelt hervorkeimen ſehen und ein anderer, von jenem kaum ver- ſchieden ſcheinender, nur kümmerlichen Pflanzenwuchs erzeugt, um wieviel mehr müſſen wir dieſe Frage an den Waldboden richten, deſſen Leiſtungen

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. [25]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/49>, abgerufen am 25.04.2024.