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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Und doch bietet die Kenntniß dieses Gesetzes einen hohen Genuß.
Suchen wir uns ihn zu verschaffen.

Wir durchstreifen den laublosen Wald und ohne uns mehr als sonst
umzuschauen nehmen wir -- wie Mancher von uns wird dies noch nie-
mals gethan haben! -- von allerlei Bäumen und Gesträuchen ein kahles
Zweiglein mit; hier an diesem vom Sturme aus einer alten Eschenkrone
herabgeworfenen Aste ein längeres Stück um Etwas daran zu lernen, was
zwar an jeder Baumart zu lernen ist, aber an keiner so deutlich, als
an der Esche. Die Knospen des winterlichen Waldes, welche wir be-
trachten wollen, und einige andere Theile und Merkmale an den feinen
Verzweigungen, sollen uns jetzt den äußeren Bau und die Zuwachsver-
hältnisse des Baumes erläutern, ehe wir dessen Inneres betrachten.

Die Knospen.

Die in ihren Bildungen sich immer an bestimmte Formen-, Stellungs-
und Zahlengesetze bindende Pflanzenwelt thut dies ganz besonders auch an
den Knospen, denen man so selten einige Aufmerksamkeit zu widmen
pflegt, wodurch man freilich auch nur dann einen Gewinn haben würde,
wenn man die Knospen von mehreren Baumarten vergleichend be-
trachten und dann finden würde, daß auch an diesen unscheinbaren Ge-
bilden die höchste Gesetzmäßigkeit und nach den verschiedenen Baumarten
scharfe Unterschiedenheit stattfindet.

Was ist eine Knospe? Wenn wir diese Frage mit ausschließender
Berücksichtigung des Baumes beantworten wollen, so ist sie die vorgebil-
dete Anlage eines Triebes oder einer Blüthe oder eines Blüthenbüschels,
von der wir bereits im 3. Abschnitt erfuhren, daß sie, ähnlich wie die
Saamen die Erzeugnisse, die Abkömmlinge der Blüthe, die Erzeugnisse
je eines Blattes sind. Wir können uns an den mitgenommenen Reisern
davon leicht überzeugen, denn wir finden dicht unter jeder Knospe die
Blattstielnarbe (III. 4. n), d. i. die Stelle, wo der Blattstiel des
abgefallenen Blattes gesessen hat. Selbst diese Narben haben immer eine
sehr bestimmte Form, wie unsere Fußspuren im weichen Schnee immer den
treuen Abdruck unserer Sohlen geben. So lange das Blatt noch am
Triebe saß, bildete sein Stiel mit dem Triebe einen Winkel, in welchem
die Knospe sitzt -- die Blattachsel oder der Blattwinkel. Selbst

Und doch bietet die Kenntniß dieſes Geſetzes einen hohen Genuß.
Suchen wir uns ihn zu verſchaffen.

Wir durchſtreifen den laubloſen Wald und ohne uns mehr als ſonſt
umzuſchauen nehmen wir — wie Mancher von uns wird dies noch nie-
mals gethan haben! — von allerlei Bäumen und Geſträuchen ein kahles
Zweiglein mit; hier an dieſem vom Sturme aus einer alten Eſchenkrone
herabgeworfenen Aſte ein längeres Stück um Etwas daran zu lernen, was
zwar an jeder Baumart zu lernen iſt, aber an keiner ſo deutlich, als
an der Eſche. Die Knospen des winterlichen Waldes, welche wir be-
trachten wollen, und einige andere Theile und Merkmale an den feinen
Verzweigungen, ſollen uns jetzt den äußeren Bau und die Zuwachsver-
hältniſſe des Baumes erläutern, ehe wir deſſen Inneres betrachten.

Die Knospen.

Die in ihren Bildungen ſich immer an beſtimmte Formen-, Stellungs-
und Zahlengeſetze bindende Pflanzenwelt thut dies ganz beſonders auch an
den Knospen, denen man ſo ſelten einige Aufmerkſamkeit zu widmen
pflegt, wodurch man freilich auch nur dann einen Gewinn haben würde,
wenn man die Knospen von mehreren Baumarten vergleichend be-
trachten und dann finden würde, daß auch an dieſen unſcheinbaren Ge-
bilden die höchſte Geſetzmäßigkeit und nach den verſchiedenen Baumarten
ſcharfe Unterſchiedenheit ſtattfindet.

Was iſt eine Knospe? Wenn wir dieſe Frage mit ausſchließender
Berückſichtigung des Baumes beantworten wollen, ſo iſt ſie die vorgebil-
dete Anlage eines Triebes oder einer Blüthe oder eines Blüthenbüſchels,
von der wir bereits im 3. Abſchnitt erfuhren, daß ſie, ähnlich wie die
Saamen die Erzeugniſſe, die Abkömmlinge der Blüthe, die Erzeugniſſe
je eines Blattes ſind. Wir können uns an den mitgenommenen Reiſern
davon leicht überzeugen, denn wir finden dicht unter jeder Knospe die
Blattſtielnarbe (III. 4. n), d. i. die Stelle, wo der Blattſtiel des
abgefallenen Blattes geſeſſen hat. Selbſt dieſe Narben haben immer eine
ſehr beſtimmte Form, wie unſere Fußſpuren im weichen Schnee immer den
treuen Abdruck unſerer Sohlen geben. So lange das Blatt noch am
Triebe ſaß, bildete ſein Stiel mit dem Triebe einen Winkel, in welchem
die Knospe ſitzt — die Blattachſel oder der Blattwinkel. Selbſt

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[58/0082] Und doch bietet die Kenntniß dieſes Geſetzes einen hohen Genuß. Suchen wir uns ihn zu verſchaffen. Wir durchſtreifen den laubloſen Wald und ohne uns mehr als ſonſt umzuſchauen nehmen wir — wie Mancher von uns wird dies noch nie- mals gethan haben! — von allerlei Bäumen und Geſträuchen ein kahles Zweiglein mit; hier an dieſem vom Sturme aus einer alten Eſchenkrone herabgeworfenen Aſte ein längeres Stück um Etwas daran zu lernen, was zwar an jeder Baumart zu lernen iſt, aber an keiner ſo deutlich, als an der Eſche. Die Knospen des winterlichen Waldes, welche wir be- trachten wollen, und einige andere Theile und Merkmale an den feinen Verzweigungen, ſollen uns jetzt den äußeren Bau und die Zuwachsver- hältniſſe des Baumes erläutern, ehe wir deſſen Inneres betrachten. Die Knospen. Die in ihren Bildungen ſich immer an beſtimmte Formen-, Stellungs- und Zahlengeſetze bindende Pflanzenwelt thut dies ganz beſonders auch an den Knospen, denen man ſo ſelten einige Aufmerkſamkeit zu widmen pflegt, wodurch man freilich auch nur dann einen Gewinn haben würde, wenn man die Knospen von mehreren Baumarten vergleichend be- trachten und dann finden würde, daß auch an dieſen unſcheinbaren Ge- bilden die höchſte Geſetzmäßigkeit und nach den verſchiedenen Baumarten ſcharfe Unterſchiedenheit ſtattfindet. Was iſt eine Knospe? Wenn wir dieſe Frage mit ausſchließender Berückſichtigung des Baumes beantworten wollen, ſo iſt ſie die vorgebil- dete Anlage eines Triebes oder einer Blüthe oder eines Blüthenbüſchels, von der wir bereits im 3. Abſchnitt erfuhren, daß ſie, ähnlich wie die Saamen die Erzeugniſſe, die Abkömmlinge der Blüthe, die Erzeugniſſe je eines Blattes ſind. Wir können uns an den mitgenommenen Reiſern davon leicht überzeugen, denn wir finden dicht unter jeder Knospe die Blattſtielnarbe (III. 4. n), d. i. die Stelle, wo der Blattſtiel des abgefallenen Blattes geſeſſen hat. Selbſt dieſe Narben haben immer eine ſehr beſtimmte Form, wie unſere Fußſpuren im weichen Schnee immer den treuen Abdruck unſerer Sohlen geben. So lange das Blatt noch am Triebe ſaß, bildete ſein Stiel mit dem Triebe einen Winkel, in welchem die Knospe ſitzt — die Blattachſel oder der Blattwinkel. Selbſt

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/82>, abgerufen am 25.04.2024.