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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

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V. Ueber das Wesen des Organischen.
sondern blos eine hervorragende Eigenschaft der höheren Or-
ganismen bezeichnete; und die Philosophen hatten ihr schon
vordem ihren Beifall entzogen, weil ihnen die Innerlichkeit,
die zusammenfassende Seele dabei zu fehlen schien.

Wir wollen versuchen, ob wir vom Standpunkte der Ge-
genwart die Frage ein wenig weiter zu fördern, uns dem
Wesen des Organischen ein wenig mehr zu nähern vermögen.

Die einheitliche Verbindung verschiedener Theile zum Gan-
zen kann also nicht das Wesen sein, da es lebende Wesen
ohne solche Theile giebt.

Ebenso wenig können die psychischen Functionen der Or-
ganismen das Wesentliche bilden, denn wir haben keine irgend
gegründete Veranlassung, sie auch den niedersten thierischen
Organismen und den Pflanzen zuzuerkennen. Soweit wir sie
kennen, können sie alle an ihnen beobachteten Functionen ohne
Bewusstsein verrichten.

Ebenso wenig kann das mechanische Gedächtniss, das
Ueberdauern der Wirkung über die Ursache als Characteristi-
cum dienen, denn es ist nach dem Gesetze der Trägheit eine
allgemeine Function der Materie oder richtiger eine Eigenschaft
alles Geschehens.

Auch nicht das Für-Sich-Sein ist hier anzuführen,
denn dieses kommt jedem durch seine Consistenz oder sonstige
besondere Qualitäten von der Umgebung gesonderten Processe
ebenso viel oder richtiger ebenso wenig zu; denn streng ge-
nommen besteht es nirgends, sondern ist blos ein festeres un-
ter sich Verbundensein und in Wechselwirkung stehen als mit
der Umgebung, und der Grad desselben ergiebt sich aus der
Art der Unterscheidung von der Umgebung und der Art der
Verknüpfung unter sich ganz von selbst.

Es ist ferner weder die Aufnahme und der Verbrauch von
lebendiger Kraft, noch die Umsetzung von Spannkraft, denn

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V. Ueber das Wesen des Organischen.
sondern blos eine hervorragende Eigenschaft der höheren Or-
ganismen bezeichnete; und die Philosophen hatten ihr schon
vordem ihren Beifall entzogen, weil ihnen die Innerlichkeit,
die zusammenfassende Seele dabei zu fehlen schien.

Wir wollen versuchen, ob wir vom Standpunkte der Ge-
genwart die Frage ein wenig weiter zu fördern, uns dem
Wesen des Organischen ein wenig mehr zu nähern vermögen.

Die einheitliche Verbindung verschiedener Theile zum Gan-
zen kann also nicht das Wesen sein, da es lebende Wesen
ohne solche Theile giebt.

Ebenso wenig können die psychischen Functionen der Or-
ganismen das Wesentliche bilden, denn wir haben keine irgend
gegründete Veranlassung, sie auch den niedersten thierischen
Organismen und den Pflanzen zuzuerkennen. Soweit wir sie
kennen, können sie alle an ihnen beobachteten Functionen ohne
Bewusstsein verrichten.

Ebenso wenig kann das mechanische Gedächtniss, das
Ueberdauern der Wirkung über die Ursache als Characteristi-
cum dienen, denn es ist nach dem Gesetze der Trägheit eine
allgemeine Function der Materie oder richtiger eine Eigenschaft
alles Geschehens.

Auch nicht das Für-Sich-Sein ist hier anzuführen,
denn dieses kommt jedem durch seine Consistenz oder sonstige
besondere Qualitäten von der Umgebung gesonderten Processe
ebenso viel oder richtiger ebenso wenig zu; denn streng ge-
nommen besteht es nirgends, sondern ist blos ein festeres un-
ter sich Verbundensein und in Wechselwirkung stehen als mit
der Umgebung, und der Grad desselben ergiebt sich aus der
Art der Unterscheidung von der Umgebung und der Art der
Verknüpfung unter sich ganz von selbst.

Es ist ferner weder die Aufnahme und der Verbrauch von
lebendiger Kraft, noch die Umsetzung von Spannkraft, denn

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[211/0225] V. Ueber das Wesen des Organischen. sondern blos eine hervorragende Eigenschaft der höheren Or- ganismen bezeichnete; und die Philosophen hatten ihr schon vordem ihren Beifall entzogen, weil ihnen die Innerlichkeit, die zusammenfassende Seele dabei zu fehlen schien. Wir wollen versuchen, ob wir vom Standpunkte der Ge- genwart die Frage ein wenig weiter zu fördern, uns dem Wesen des Organischen ein wenig mehr zu nähern vermögen. Die einheitliche Verbindung verschiedener Theile zum Gan- zen kann also nicht das Wesen sein, da es lebende Wesen ohne solche Theile giebt. Ebenso wenig können die psychischen Functionen der Or- ganismen das Wesentliche bilden, denn wir haben keine irgend gegründete Veranlassung, sie auch den niedersten thierischen Organismen und den Pflanzen zuzuerkennen. Soweit wir sie kennen, können sie alle an ihnen beobachteten Functionen ohne Bewusstsein verrichten. Ebenso wenig kann das mechanische Gedächtniss, das Ueberdauern der Wirkung über die Ursache als Characteristi- cum dienen, denn es ist nach dem Gesetze der Trägheit eine allgemeine Function der Materie oder richtiger eine Eigenschaft alles Geschehens. Auch nicht das Für-Sich-Sein ist hier anzuführen, denn dieses kommt jedem durch seine Consistenz oder sonstige besondere Qualitäten von der Umgebung gesonderten Processe ebenso viel oder richtiger ebenso wenig zu; denn streng ge- nommen besteht es nirgends, sondern ist blos ein festeres un- ter sich Verbundensein und in Wechselwirkung stehen als mit der Umgebung, und der Grad desselben ergiebt sich aus der Art der Unterscheidung von der Umgebung und der Art der Verknüpfung unter sich ganz von selbst. Es ist ferner weder die Aufnahme und der Verbrauch von lebendiger Kraft, noch die Umsetzung von Spannkraft, denn 14*

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Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/225>, abgerufen am 25.04.2024.