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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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Erster Brief.

Du foderst mich auf, liebe Emma, Deine Weg-
weiserin zu werden in dem schönen Beruf, den
unser aller Mutter Dir kürzlich auferlegt, und
wodurch sie Dich so hoch geehrt hat, als sie ein
menschliches Wesen ehren kann. Du bist Mutter,
aber du fühlst diese hohe Würde mit stiller De-
muth, ja mit fast allzu scheuem Mißtrauen in
Deine Einsichten und Deine Geisteskraft. Weißt
Du denn nicht, daß Dein stilles Forschen und
Sinnen Einsicht, und Deine Geistesruhe Kraft
werden muß, wenn Du Dir selbst nur getreu
bleibst? Doch will ich Deiner Bitte nachgeben:
was könnte meine theure Adoptivtochter von mir
bitten, das ich fähig wäre ihr zu versagen? Es
sey also! -- Deine Jda war gestern acht Tage
alt. Es scheint demnach noch sehr früh, jetzt von
Erziehung zu reden. Und dennoch ist es gerade



Erſter Brief.

Du foderſt mich auf, liebe Emma, Deine Weg-
weiſerin zu werden in dem ſchönen Beruf, den
unſer aller Mutter Dir kürzlich auferlegt, und
wodurch ſie Dich ſo hoch geehrt hat, als ſie ein
menſchliches Weſen ehren kann. Du biſt Mutter,
aber du fühlſt dieſe hohe Würde mit ſtiller De-
muth, ja mit faſt allzu ſcheuem Mißtrauen in
Deine Einſichten und Deine Geiſteskraft. Weißt
Du denn nicht, daß Dein ſtilles Forſchen und
Sinnen Einſicht, und Deine Geiſtesruhe Kraft
werden muß, wenn Du Dir ſelbſt nur getreu
bleibſt? Doch will ich Deiner Bitte nachgeben:
was könnte meine theure Adoptivtochter von mir
bitten, das ich fähig wäre ihr zu verſagen? Es
ſey alſo! — Deine Jda war geſtern acht Tage
alt. Es ſcheint demnach noch ſehr früh, jetzt von
Erziehung zu reden. Und dennoch iſt es gerade

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[[3]/0017] Erſter Brief. Du foderſt mich auf, liebe Emma, Deine Weg- weiſerin zu werden in dem ſchönen Beruf, den unſer aller Mutter Dir kürzlich auferlegt, und wodurch ſie Dich ſo hoch geehrt hat, als ſie ein menſchliches Weſen ehren kann. Du biſt Mutter, aber du fühlſt dieſe hohe Würde mit ſtiller De- muth, ja mit faſt allzu ſcheuem Mißtrauen in Deine Einſichten und Deine Geiſteskraft. Weißt Du denn nicht, daß Dein ſtilles Forſchen und Sinnen Einſicht, und Deine Geiſtesruhe Kraft werden muß, wenn Du Dir ſelbſt nur getreu bleibſt? Doch will ich Deiner Bitte nachgeben: was könnte meine theure Adoptivtochter von mir bitten, das ich fähig wäre ihr zu verſagen? Es ſey alſo! — Deine Jda war geſtern acht Tage alt. Es ſcheint demnach noch ſehr früh, jetzt von Erziehung zu reden. Und dennoch iſt es gerade

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/17>, abgerufen am 24.04.2024.