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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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dieser Rücksicht so sehr gedeihlich; auch das Leben
mit unsern frommen Pfarrersleuten, und die Art
der Sonntagsfeier helfen mir bewirken, oder be-
wirken vielmehr fast ohne mein Zuthun, was
ohnedies nicht methodisch in den Kinderseelen her-
vor zu bringen steht. Jn Jda ist der Keim hier-
zu von der Natur so schön und so entschieden
angelegt, daß er nur wenig Pflege bedarf, um
sich auf das schönste zu entfalten. Man könnte
sagen, die ganze Liebenswürdigkeit dieses glück-
lich organisirten Kindes sey nichts weiter als Re-
ligiosität. Was ist denn dieser zarte Schönheits-
sinn anders als Grundlage der Liebe zum herr-
lichsten der Wesen? Und was ist ihre dankbare
heiße Liebe für mich anders? Und das ganze sich
vergessende Hingeben ihrer Selbst, an Menschen,
die ihr groß und gut erscheinen? -- und ihre hol-
de Demuth, die da macht, daß sie mit ihren Ar-
beiten zurück tritt, und sich davon schleicht, wenn
sie merkt, daß sie viel besser gerathen sind, als
Clärchens und Mathildens? "Tante Selma, ich
habe dir eine wunderliche Frage zu thun -- sag-
te sie neulich, als ich mit ihr ganz allein spazie-

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dieſer Rückſicht ſo ſehr gedeihlich; auch das Leben
mit unſern frommen Pfarrersleuten, und die Art
der Sonntagsfeier helfen mir bewirken, oder be-
wirken vielmehr faſt ohne mein Zuthun, was
ohnedies nicht methodiſch in den Kinderſeelen her-
vor zu bringen ſteht. Jn Jda iſt der Keim hier-
zu von der Natur ſo ſchön und ſo entſchieden
angelegt, daß er nur wenig Pflege bedarf, um
ſich auf das ſchönſte zu entfalten. Man könnte
ſagen, die ganze Liebenswürdigkeit dieſes glück-
lich organiſirten Kindes ſey nichts weiter als Re-
ligioſität. Was iſt denn dieſer zarte Schönheits-
ſinn anders als Grundlage der Liebe zum herr-
lichſten der Weſen? Und was iſt ihre dankbare
heiße Liebe für mich anders? Und das ganze ſich
vergeſſende Hingeben ihrer Selbſt, an Menſchen,
die ihr groß und gut erſcheinen? — und ihre hol-
de Demuth, die da macht, daß ſie mit ihren Ar-
beiten zurück tritt, und ſich davon ſchleicht, wenn
ſie merkt, daß ſie viel beſſer gerathen ſind, als
Clärchens und Mathildens? „Tante Selma, ich
habe dir eine wunderliche Frage zu thun — ſag-
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[17/0025] dieſer Rückſicht ſo ſehr gedeihlich; auch das Leben mit unſern frommen Pfarrersleuten, und die Art der Sonntagsfeier helfen mir bewirken, oder be- wirken vielmehr faſt ohne mein Zuthun, was ohnedies nicht methodiſch in den Kinderſeelen her- vor zu bringen ſteht. Jn Jda iſt der Keim hier- zu von der Natur ſo ſchön und ſo entſchieden angelegt, daß er nur wenig Pflege bedarf, um ſich auf das ſchönſte zu entfalten. Man könnte ſagen, die ganze Liebenswürdigkeit dieſes glück- lich organiſirten Kindes ſey nichts weiter als Re- ligioſität. Was iſt denn dieſer zarte Schönheits- ſinn anders als Grundlage der Liebe zum herr- lichſten der Weſen? Und was iſt ihre dankbare heiße Liebe für mich anders? Und das ganze ſich vergeſſende Hingeben ihrer Selbſt, an Menſchen, die ihr groß und gut erſcheinen? — und ihre hol- de Demuth, die da macht, daß ſie mit ihren Ar- beiten zurück tritt, und ſich davon ſchleicht, wenn ſie merkt, daß ſie viel beſſer gerathen ſind, als Clärchens und Mathildens? „Tante Selma, ich habe dir eine wunderliche Frage zu thun — ſag- te ſie neulich, als ich mit ihr ganz allein ſpazie- (3)

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/25>, abgerufen am 29.03.2024.