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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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nicht gesehen. Und sollte es denn so schwer seyn,
ihr ähnliche Subjekte zu finden, woraus eine sorg-
same Mutter sich eine helfende Pflegerin ihrer
Kinder bilden könnte, die ihre Stelle vertreten,
so oft sie abwesend seyn muß, oder andere Ge-
schäfte und andere Pflichten im Hause ihrer war-
ten? oder während sie krank ist? Jch begreife
nicht, wie so wenige unserer jungen Mutter dar-
auf fallen. Es ist ja doch in unsern Verhältnissen
(und ich setze voraus in jedem) keiner Mutter, so
lange sie noch Gattin ist, möglich, bloß Mutter
zu seyn, und einzig für die Erziehung ihres Kin-
des zu leben. Was aber die nachmalige Erziehung
so schwer macht, und oft für Mütter allzulästig --
das ist die frühe Verwöhnung der Kinder zu Un-
arten, die ihnen hernach wieder aberzogen werden
sollen. Und wo nehmen sie die an? meistens in
fremder Aufsicht, die keine Autorität über sie hat,
während die Mutter sie nicht um sich haben kann,
oder entfernt seyn muß. Aber in der beständigen
Umgebung einer gutartigen, ruhig verständigen
Person, die sie achten müssen, weil sie eigentlich
der Mutter schwächeres Abbild ist, wie können sie

nicht geſehen. Und ſollte es denn ſo ſchwer ſeyn,
ihr ähnliche Subjekte zu finden, woraus eine ſorg-
ſame Mutter ſich eine helfende Pflegerin ihrer
Kinder bilden könnte, die ihre Stelle vertreten,
ſo oft ſie abweſend ſeyn muß, oder andere Ge-
ſchäfte und andere Pflichten im Hauſe ihrer war-
ten? oder während ſie krank iſt? Jch begreife
nicht, wie ſo wenige unſerer jungen Mutter dar-
auf fallen. Es iſt ja doch in unſern Verhältniſſen
(und ich ſetze voraus in jedem) keiner Mutter, ſo
lange ſie noch Gattin iſt, möglich, bloß Mutter
zu ſeyn, und einzig für die Erziehung ihres Kin-
des zu leben. Was aber die nachmalige Erziehung
ſo ſchwer macht, und oft für Mütter allzuläſtig —
das iſt die frühe Verwöhnung der Kinder zu Un-
arten, die ihnen hernach wieder aberzogen werden
ſollen. Und wo nehmen ſie die an? meiſtens in
fremder Aufſicht, die keine Autorität über ſie hat,
während die Mutter ſie nicht um ſich haben kann,
oder entfernt ſeyn muß. Aber in der beſtändigen
Umgebung einer gutartigen, ruhig verſtändigen
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der Mutter ſchwächeres Abbild iſt, wie können ſie

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[38/0046] nicht geſehen. Und ſollte es denn ſo ſchwer ſeyn, ihr ähnliche Subjekte zu finden, woraus eine ſorg- ſame Mutter ſich eine helfende Pflegerin ihrer Kinder bilden könnte, die ihre Stelle vertreten, ſo oft ſie abweſend ſeyn muß, oder andere Ge- ſchäfte und andere Pflichten im Hauſe ihrer war- ten? oder während ſie krank iſt? Jch begreife nicht, wie ſo wenige unſerer jungen Mutter dar- auf fallen. Es iſt ja doch in unſern Verhältniſſen (und ich ſetze voraus in jedem) keiner Mutter, ſo lange ſie noch Gattin iſt, möglich, bloß Mutter zu ſeyn, und einzig für die Erziehung ihres Kin- des zu leben. Was aber die nachmalige Erziehung ſo ſchwer macht, und oft für Mütter allzuläſtig — das iſt die frühe Verwöhnung der Kinder zu Un- arten, die ihnen hernach wieder aberzogen werden ſollen. Und wo nehmen ſie die an? meiſtens in fremder Aufſicht, die keine Autorität über ſie hat, während die Mutter ſie nicht um ſich haben kann, oder entfernt ſeyn muß. Aber in der beſtändigen Umgebung einer gutartigen, ruhig verſtändigen Perſon, die ſie achten müſſen, weil ſie eigentlich der Mutter ſchwächeres Abbild iſt, wie können ſie

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/46>, abgerufen am 28.03.2024.