Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite
72.
Ich wüßte nicht, wem ich noch Blumen sollte bringen,
Dürft' ich sie nicht ums Grab geliebter Kinder schlingen.
Die Mutter wird schon ernst, die Brüder werden groß,
Und unveränderlich bleibt ihr nur Kinder bloß.
Ihr nehmt an jedem Tag mit immer gleicher Liebe
Die euch von Vaterhand gebrachten Frühlingstriebe.

73.
Ich habe, seit, o Freund, die Götter uns verbanden,
Nie deine Weise so, wie meine du, verstanden.
Du bist nach deiner Art geübt, an sich zu denken,
Und ich, Gedanken nur in Bilder zu versenken.
Du hast mir nach und nach geholfen aus dem Traum,
Im innern auch zu schaun alswie im äußern Raum.
Und manches, was ich sonst gethan, weil ich gemußt,
Thu' ich mit höherem Genusse nun bewußt.

72.
Ich wuͤßte nicht, wem ich noch Blumen ſollte bringen,
Duͤrft' ich ſie nicht ums Grab geliebter Kinder ſchlingen.
Die Mutter wird ſchon ernſt, die Bruͤder werden groß,
Und unveraͤnderlich bleibt ihr nur Kinder bloß.
Ihr nehmt an jedem Tag mit immer gleicher Liebe
Die euch von Vaterhand gebrachten Fruͤhlingstriebe.

73.
Ich habe, ſeit, o Freund, die Goͤtter uns verbanden,
Nie deine Weiſe ſo, wie meine du, verſtanden.
Du biſt nach deiner Art geuͤbt, an ſich zu denken,
Und ich, Gedanken nur in Bilder zu verſenken.
Du haſt mir nach und nach geholfen aus dem Traum,
Im innern auch zu ſchaun alswie im aͤußern Raum.
Und manches, was ich ſonſt gethan, weil ich gemußt,
Thu' ich mit hoͤherem Genuſſe nun bewußt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0070" n="60"/>
        <div n="2">
          <head>72.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Ich wu&#x0364;ßte nicht, wem ich noch Blumen &#x017F;ollte bringen,</l><lb/>
              <l>Du&#x0364;rft' ich &#x017F;ie nicht ums Grab geliebter Kinder &#x017F;chlingen.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Die Mutter wird &#x017F;chon ern&#x017F;t, die Bru&#x0364;der werden groß,</l><lb/>
              <l>Und unvera&#x0364;nderlich bleibt ihr nur Kinder bloß.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Ihr nehmt an jedem Tag mit immer gleicher Liebe</l><lb/>
              <l>Die euch von Vaterhand gebrachten Fru&#x0364;hlingstriebe.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>73.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Ich habe, &#x017F;eit, o Freund, die Go&#x0364;tter uns verbanden,</l><lb/>
              <l>Nie deine Wei&#x017F;e &#x017F;o, wie meine du, ver&#x017F;tanden.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Du bi&#x017F;t nach deiner Art geu&#x0364;bt, an &#x017F;ich zu denken,</l><lb/>
              <l>Und ich, Gedanken nur in Bilder zu ver&#x017F;enken.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Du ha&#x017F;t mir nach und nach geholfen aus dem Traum,</l><lb/>
              <l>Im innern auch zu &#x017F;chaun alswie im a&#x0364;ußern Raum.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Und manches, was ich &#x017F;on&#x017F;t gethan, weil ich gemußt,</l><lb/>
              <l>Thu' ich mit ho&#x0364;herem Genu&#x017F;&#x017F;e nun bewußt.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0070] 72. Ich wuͤßte nicht, wem ich noch Blumen ſollte bringen, Duͤrft' ich ſie nicht ums Grab geliebter Kinder ſchlingen. Die Mutter wird ſchon ernſt, die Bruͤder werden groß, Und unveraͤnderlich bleibt ihr nur Kinder bloß. Ihr nehmt an jedem Tag mit immer gleicher Liebe Die euch von Vaterhand gebrachten Fruͤhlingstriebe. 73. Ich habe, ſeit, o Freund, die Goͤtter uns verbanden, Nie deine Weiſe ſo, wie meine du, verſtanden. Du biſt nach deiner Art geuͤbt, an ſich zu denken, Und ich, Gedanken nur in Bilder zu verſenken. Du haſt mir nach und nach geholfen aus dem Traum, Im innern auch zu ſchaun alswie im aͤußern Raum. Und manches, was ich ſonſt gethan, weil ich gemußt, Thu' ich mit hoͤherem Genuſſe nun bewußt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane01_1836/70
Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane01_1836/70>, abgerufen am 18.04.2024.