Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 2. Leipzig, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite
162.
Ein Schiff vor Anker, doch die Segel aufgespannt;
Mein Sohn, dis Sinnbild ist der Widersinn genannt.
Nicht Widersinn, mein Sohn, du darfst es Unsinn nennen:
Fest unten wurzeln und in Lüften weiter rennen.
Wenn nicht das Segel reißt, so reißt das Ankerseil;
Und stets gefährdet ist so oder so das Heil.

163.
Das Schöpfrad schöpft sich matt, und Athem schöpft es kaum;
Sieh, seine Schöpfung ist die Grüne rings im Raum.
Auf seine Schöpfung wird das Schöpfrad stolz und eitel,
Als Schöpfer fühlt es sich und hebet hoch die Scheitel.
Doch, trank die Saat sich satt, zieht man das Schöpfrad nieder;
Im Staube liegt sein Haupt, im Schmutze seine Glieder.


5*
162.
Ein Schiff vor Anker, doch die Segel aufgeſpannt;
Mein Sohn, dis Sinnbild iſt der Widerſinn genannt.
Nicht Widerſinn, mein Sohn, du darfſt es Unſinn nennen:
Feſt unten wurzeln und in Luͤften weiter rennen.
Wenn nicht das Segel reißt, ſo reißt das Ankerſeil;
Und ſtets gefaͤhrdet iſt ſo oder ſo das Heil.

163.
Das Schoͤpfrad ſchoͤpft ſich matt, und Athem ſchoͤpft es kaum;
Sieh, ſeine Schoͤpfung iſt die Gruͤne rings im Raum.
Auf ſeine Schoͤpfung wird das Schoͤpfrad ſtolz und eitel,
Als Schoͤpfer fuͤhlt es ſich und hebet hoch die Scheitel.
Doch, trank die Saat ſich ſatt, zieht man das Schoͤpfrad nieder;
Im Staube liegt ſein Haupt, im Schmutze ſeine Glieder.


5*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0109" n="99"/>
        <div n="2">
          <head>162.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Ein Schiff vor Anker, doch die Segel aufge&#x017F;pannt;</l><lb/>
              <l>Mein Sohn, dis Sinnbild i&#x017F;t der Wider&#x017F;inn genannt.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Nicht Wider&#x017F;inn, mein Sohn, du darf&#x017F;t es Un&#x017F;inn nennen:</l><lb/>
              <l>Fe&#x017F;t unten wurzeln und in Lu&#x0364;ften weiter rennen.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Wenn nicht das Segel reißt, &#x017F;o reißt das Anker&#x017F;eil;</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;tets gefa&#x0364;hrdet i&#x017F;t &#x017F;o oder &#x017F;o das Heil.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>163.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Das Scho&#x0364;pfrad &#x017F;cho&#x0364;pft &#x017F;ich matt, und Athem &#x017F;cho&#x0364;pft es kaum;</l><lb/>
              <l>Sieh, &#x017F;eine Scho&#x0364;pfung i&#x017F;t die Gru&#x0364;ne rings im Raum.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Auf &#x017F;eine Scho&#x0364;pfung wird das Scho&#x0364;pfrad &#x017F;tolz und eitel,</l><lb/>
              <l>Als Scho&#x0364;pfer fu&#x0364;hlt es &#x017F;ich und hebet hoch die Scheitel.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Doch, trank die Saat &#x017F;ich &#x017F;att, zieht man das Scho&#x0364;pfrad nieder;</l><lb/>
              <l>Im Staube liegt &#x017F;ein Haupt, im Schmutze &#x017F;eine Glieder.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <fw place="bottom" type="sig">5*</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0109] 162. Ein Schiff vor Anker, doch die Segel aufgeſpannt; Mein Sohn, dis Sinnbild iſt der Widerſinn genannt. Nicht Widerſinn, mein Sohn, du darfſt es Unſinn nennen: Feſt unten wurzeln und in Luͤften weiter rennen. Wenn nicht das Segel reißt, ſo reißt das Ankerſeil; Und ſtets gefaͤhrdet iſt ſo oder ſo das Heil. 163. Das Schoͤpfrad ſchoͤpft ſich matt, und Athem ſchoͤpft es kaum; Sieh, ſeine Schoͤpfung iſt die Gruͤne rings im Raum. Auf ſeine Schoͤpfung wird das Schoͤpfrad ſtolz und eitel, Als Schoͤpfer fuͤhlt es ſich und hebet hoch die Scheitel. Doch, trank die Saat ſich ſatt, zieht man das Schoͤpfrad nieder; Im Staube liegt ſein Haupt, im Schmutze ſeine Glieder. 5*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane02_1837/109
Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 2. Leipzig, 1837, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane02_1837/109>, abgerufen am 19.04.2024.