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Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838.

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31.
Wenn an einander wir, o Freund, nicht öfter dächten
Als schrieben, zweifelt' ich an unsrer Liebe Mächten.
Ich aber zweifle nicht, ich weiß mit Zuversicht:
Du gibst mir, wie ich dir, tagtäglichen Bericht.
Und ich empfang' ihn auch, wie du empfängst den meinen;
Wir unterreden uns, wenn wir zu schweigen scheinen.
Du weißt ja, wie ich war, drum weißt du, wie ich bin;
Und wie ich kannte dich, kenn' ich dich immerhin.
Doch wenn man ohne Schrift das Innre kann gewahren,
Von Zeit zu Zeit will man was Aeußres auch erfahren.
Denn unsre Freundschaft ist Gefühl ins Ferne zwar,
Jedoch kein Ferngesicht, wovor uns Gott bewahr!
Drum geb' ich Nachricht dir, daß du mir Nachricht gebest,
Nicht, ob du mich noch liebst, nur, ob du auch noch lebest.
Ich leb' und freue mich noch jeder guten Stunde,
Und von der bösen nehm' ich lieber keine Kunde.
31.
Wenn an einander wir, o Freund, nicht oͤfter daͤchten
Als ſchrieben, zweifelt' ich an unſrer Liebe Maͤchten.
Ich aber zweifle nicht, ich weiß mit Zuverſicht:
Du gibſt mir, wie ich dir, tagtaͤglichen Bericht.
Und ich empfang' ihn auch, wie du empfaͤngſt den meinen;
Wir unterreden uns, wenn wir zu ſchweigen ſcheinen.
Du weißt ja, wie ich war, drum weißt du, wie ich bin;
Und wie ich kannte dich, kenn' ich dich immerhin.
Doch wenn man ohne Schrift das Innre kann gewahren,
Von Zeit zu Zeit will man was Aeußres auch erfahren.
Denn unſre Freundſchaft iſt Gefuͤhl ins Ferne zwar,
Jedoch kein Ferngeſicht, wovor uns Gott bewahr!
Drum geb' ich Nachricht dir, daß du mir Nachricht gebeſt,
Nicht, ob du mich noch liebſt, nur, ob du auch noch lebeſt.
Ich leb' und freue mich noch jeder guten Stunde,
Und von der boͤſen nehm' ich lieber keine Kunde.
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[23/0033] 31. Wenn an einander wir, o Freund, nicht oͤfter daͤchten Als ſchrieben, zweifelt' ich an unſrer Liebe Maͤchten. Ich aber zweifle nicht, ich weiß mit Zuverſicht: Du gibſt mir, wie ich dir, tagtaͤglichen Bericht. Und ich empfang' ihn auch, wie du empfaͤngſt den meinen; Wir unterreden uns, wenn wir zu ſchweigen ſcheinen. Du weißt ja, wie ich war, drum weißt du, wie ich bin; Und wie ich kannte dich, kenn' ich dich immerhin. Doch wenn man ohne Schrift das Innre kann gewahren, Von Zeit zu Zeit will man was Aeußres auch erfahren. Denn unſre Freundſchaft iſt Gefuͤhl ins Ferne zwar, Jedoch kein Ferngeſicht, wovor uns Gott bewahr! Drum geb' ich Nachricht dir, daß du mir Nachricht gebeſt, Nicht, ob du mich noch liebſt, nur, ob du auch noch lebeſt. Ich leb' und freue mich noch jeder guten Stunde, Und von der boͤſen nehm' ich lieber keine Kunde.

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Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane04_1838/33>, abgerufen am 25.04.2024.