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Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.

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93.
Es geht ein schmaler Weg hin zwischen Strom und Klippe,
Ein Wandrer mittendurch geht mit verlechzter Lippe.
Den Durst zu löschen, könnt' er hier am Strome nippen,
Und an den Beeren dort, die wachsen auf den Klippen.
Doch doppelte Gefahr droht her von Strom und Klippe,
Und lieber weiter geht er mit verlechzter Lippe.
Denn unten lauscht im Schilf des Stroms ein Krokodill,
Und oben im Gebüsch der Klipp' ein Tieger still.
Und wenn der Wandrer still und schnell nicht geht die Bahn,
So fällt hier Krokodill und dort ihn Tieger an.
Er denkt: wär' ich der Hund, der gleiche Sorge fühlt
Mit gleichem Durst, und ihn am Strom im Laufen kühlt.
Wär' ich das Vögelein, das auf der Klippe nascht,
Ohn' Aengste, daß nach ihm der große Würger hascht.
Rückert, Lehrgedicht V. 5
93.
Es geht ein ſchmaler Weg hin zwiſchen Strom und Klippe,
Ein Wandrer mittendurch geht mit verlechzter Lippe.
Den Durſt zu loͤſchen, koͤnnt' er hier am Strome nippen,
Und an den Beeren dort, die wachſen auf den Klippen.
Doch doppelte Gefahr droht her von Strom und Klippe,
Und lieber weiter geht er mit verlechzter Lippe.
Denn unten lauſcht im Schilf des Stroms ein Krokodill,
Und oben im Gebuͤſch der Klipp' ein Tieger ſtill.
Und wenn der Wandrer ſtill und ſchnell nicht geht die Bahn,
So faͤllt hier Krokodill und dort ihn Tieger an.
Er denkt: waͤr' ich der Hund, der gleiche Sorge fuͤhlt
Mit gleichem Durſt, und ihn am Strom im Laufen kuͤhlt.
Waͤr' ich das Voͤgelein, das auf der Klippe naſcht,
Ohn' Aengſte, daß nach ihm der große Wuͤrger haſcht.
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 5
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[97/0107] 93. Es geht ein ſchmaler Weg hin zwiſchen Strom und Klippe, Ein Wandrer mittendurch geht mit verlechzter Lippe. Den Durſt zu loͤſchen, koͤnnt' er hier am Strome nippen, Und an den Beeren dort, die wachſen auf den Klippen. Doch doppelte Gefahr droht her von Strom und Klippe, Und lieber weiter geht er mit verlechzter Lippe. Denn unten lauſcht im Schilf des Stroms ein Krokodill, Und oben im Gebuͤſch der Klipp' ein Tieger ſtill. Und wenn der Wandrer ſtill und ſchnell nicht geht die Bahn, So faͤllt hier Krokodill und dort ihn Tieger an. Er denkt: waͤr' ich der Hund, der gleiche Sorge fuͤhlt Mit gleichem Durſt, und ihn am Strom im Laufen kuͤhlt. Waͤr' ich das Voͤgelein, das auf der Klippe naſcht, Ohn' Aengſte, daß nach ihm der große Wuͤrger haſcht. Ruͤckert, Lehrgedicht V. 5

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Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839/107>, abgerufen am 29.03.2024.