Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite
Da kam der Nachtluft Zug, und laut ans Ohr mir schlug
Ein Menschenruf, den sie auf lauem Fittig trug.
Wer wird es seyn? ein Hirt, der taglang unverirrt
Die Herde droben hielt, und mit ihr ruhn jetzt wird.
Er thut aus voller Brust noch diesen Schrei der Lust,
Und in der Einsamkeit bleibt er sich sein bewust.
Empor zum Himmel steigt, wenn rings die Oede schweigt,
Der Ruf des Menschen, der als Herr der Welt sich zeigt.

28.
Die Kirch' hat an den Weg ihr Gottesbild gestellt,
Davor anbetend, wer vorbeigeht, niederfällt.
Dahinter hat der Fürst gestellt sein eignes Bild,
Das nimmt nun seinen Theil von dem, was jenem gilt.
Denn jeder wer nun fällt vorm Gottesbilde nieder,
Zu beugen scheint er auch vorm Fürsten seine Glieder.
Ihr Fürsten, wenn ihr wollt geehret euern Thron,
Verbünden müßt ihr euch mit der Religion.

Da kam der Nachtluft Zug, und laut ans Ohr mir ſchlug
Ein Menſchenruf, den ſie auf lauem Fittig trug.
Wer wird es ſeyn? ein Hirt, der taglang unverirrt
Die Herde droben hielt, und mit ihr ruhn jetzt wird.
Er thut aus voller Bruſt noch dieſen Schrei der Luſt,
Und in der Einſamkeit bleibt er ſich ſein bewuſt.
Empor zum Himmel ſteigt, wenn rings die Oede ſchweigt,
Der Ruf des Menſchen, der als Herr der Welt ſich zeigt.

28.
Die Kirch' hat an den Weg ihr Gottesbild geſtellt,
Davor anbetend, wer vorbeigeht, niederfaͤllt.
Dahinter hat der Fuͤrſt geſtellt ſein eignes Bild,
Das nimmt nun ſeinen Theil von dem, was jenem gilt.
Denn jeder wer nun faͤllt vorm Gottesbilde nieder,
Zu beugen ſcheint er auch vorm Fuͤrſten ſeine Glieder.
Ihr Fuͤrſten, wenn ihr wollt geehret euern Thron,
Verbuͤnden muͤßt ihr euch mit der Religion.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0337" n="327"/>
            <lg n="3">
              <l>Da kam der Nachtluft Zug, und laut ans Ohr mir &#x017F;chlug</l><lb/>
              <l>Ein Men&#x017F;chenruf, den &#x017F;ie auf lauem Fittig trug.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Wer wird es &#x017F;eyn? ein Hirt, der taglang unverirrt</l><lb/>
              <l>Die Herde droben hielt, und mit ihr ruhn jetzt wird.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Er thut aus voller Bru&#x017F;t noch die&#x017F;en Schrei der Lu&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Und in der Ein&#x017F;amkeit bleibt er &#x017F;ich &#x017F;ein bewu&#x017F;t.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Empor zum Himmel &#x017F;teigt, wenn rings die Oede &#x017F;chweigt,</l><lb/>
              <l>Der Ruf des Men&#x017F;chen, der als Herr der Welt &#x017F;ich zeigt.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>28.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Die Kirch' hat an den Weg ihr Gottesbild ge&#x017F;tellt,</l><lb/>
              <l>Davor anbetend, wer vorbeigeht, niederfa&#x0364;llt.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Dahinter hat der Fu&#x0364;r&#x017F;t ge&#x017F;tellt &#x017F;ein eignes Bild,</l><lb/>
              <l>Das nimmt nun &#x017F;einen Theil von dem, was jenem gilt.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Denn jeder wer nun fa&#x0364;llt vorm Gottesbilde nieder,</l><lb/>
              <l>Zu beugen &#x017F;cheint er auch vorm Fu&#x0364;r&#x017F;ten &#x017F;eine Glieder.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Ihr Fu&#x0364;r&#x017F;ten, wenn ihr wollt geehret euern Thron,</l><lb/>
              <l>Verbu&#x0364;nden mu&#x0364;ßt ihr euch mit der Religion.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[327/0337] Da kam der Nachtluft Zug, und laut ans Ohr mir ſchlug Ein Menſchenruf, den ſie auf lauem Fittig trug. Wer wird es ſeyn? ein Hirt, der taglang unverirrt Die Herde droben hielt, und mit ihr ruhn jetzt wird. Er thut aus voller Bruſt noch dieſen Schrei der Luſt, Und in der Einſamkeit bleibt er ſich ſein bewuſt. Empor zum Himmel ſteigt, wenn rings die Oede ſchweigt, Der Ruf des Menſchen, der als Herr der Welt ſich zeigt. 28. Die Kirch' hat an den Weg ihr Gottesbild geſtellt, Davor anbetend, wer vorbeigeht, niederfaͤllt. Dahinter hat der Fuͤrſt geſtellt ſein eignes Bild, Das nimmt nun ſeinen Theil von dem, was jenem gilt. Denn jeder wer nun faͤllt vorm Gottesbilde nieder, Zu beugen ſcheint er auch vorm Fuͤrſten ſeine Glieder. Ihr Fuͤrſten, wenn ihr wollt geehret euern Thron, Verbuͤnden muͤßt ihr euch mit der Religion.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839/337
Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839/337>, abgerufen am 16.04.2024.