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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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ohne Bedenklichkeiten sie abzuschreiben. Aus der Störung die
ich in dieses behagliche Geschäft gebracht, erkläre ich mir die
verdeckten Angriffe auf Quellenstudien, deren einige Kunstscri-
benten mich neuerlich gewürdigt haben.



Sieneser.

Das Beyspiel des Giotto, wenn nicht wahrscheinlicher
ein allgemeiner Hang damaliger Zeitgenossen, lenkte auch die
sienesische Schule, wenigstens ihre bekanntesten Meister, von
der Nachbildung und Vervollkommnung altchristlicher Typen
zur Beschauung und mehrseitigen Auffassung des Lebens hin-
über. Die Verehrung des heiligen Franz, seiner berühmteren
Genossen und anderer gleich neuer Heiligen führte, da ihre
Lebensereignisse so frisch und noch umständlich bekannt waren,
nothwendig zur vielseitigsten Auffassung menschlicher Verhält-
nisse, welche selbst die Lebenssitten der Ungläubigen nicht aus-
schlossen, insofern solche die Macht und Wunderkraft des Glau-
bens gelegentlich erprobt hatten.

Dieser neuen Richtung brach unter den Sienesern unser
Simon die Bahn, wie Giotto unter den Florentinern. Vasari
macht ihn indeß zu einem Schüler des letzten, was die Sie-
neser mit allem Rechte abgelehnt haben. Was ihn auch dazu
bestimmen mochte, so war es doch gewiß nicht jene Hand-
schrift des Lorenzo Ghiberti, welcher seine Nachrichten von
Simons Werken mit folgenden Worten anhebt: "Meister Si-
mon
war ein sehr ausgezeichneter Maler; die sienesischen
Künstler halten ihn für den Besten ihrer Schule; mir schien

ohne Bedenklichkeiten ſie abzuſchreiben. Aus der Stoͤrung die
ich in dieſes behagliche Geſchaͤft gebracht, erklaͤre ich mir die
verdeckten Angriffe auf Quellenſtudien, deren einige Kunſtſcri-
benten mich neuerlich gewuͤrdigt haben.



Sieneſer.

Das Beyſpiel des Giotto, wenn nicht wahrſcheinlicher
ein allgemeiner Hang damaliger Zeitgenoſſen, lenkte auch die
ſieneſiſche Schule, wenigſtens ihre bekannteſten Meiſter, von
der Nachbildung und Vervollkommnung altchriſtlicher Typen
zur Beſchauung und mehrſeitigen Auffaſſung des Lebens hin-
uͤber. Die Verehrung des heiligen Franz, ſeiner beruͤhmteren
Genoſſen und anderer gleich neuer Heiligen fuͤhrte, da ihre
Lebensereigniſſe ſo friſch und noch umſtaͤndlich bekannt waren,
nothwendig zur vielſeitigſten Auffaſſung menſchlicher Verhaͤlt-
niſſe, welche ſelbſt die Lebensſitten der Unglaͤubigen nicht aus-
ſchloſſen, inſofern ſolche die Macht und Wunderkraft des Glau-
bens gelegentlich erprobt hatten.

Dieſer neuen Richtung brach unter den Sieneſern unſer
Simon die Bahn, wie Giotto unter den Florentinern. Vaſari
macht ihn indeß zu einem Schuͤler des letzten, was die Sie-
neſer mit allem Rechte abgelehnt haben. Was ihn auch dazu
beſtimmen mochte, ſo war es doch gewiß nicht jene Hand-
ſchrift des Lorenzo Ghiberti, welcher ſeine Nachrichten von
Simons Werken mit folgenden Worten anhebt: „Meiſter Si-
mon
war ein ſehr ausgezeichneter Maler; die ſieneſiſchen
Kuͤnſtler halten ihn fuͤr den Beſten ihrer Schule; mir ſchien

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[92/0110] ohne Bedenklichkeiten ſie abzuſchreiben. Aus der Stoͤrung die ich in dieſes behagliche Geſchaͤft gebracht, erklaͤre ich mir die verdeckten Angriffe auf Quellenſtudien, deren einige Kunſtſcri- benten mich neuerlich gewuͤrdigt haben. Sieneſer. Simone di Martino und Lippo di Memmo. Das Beyſpiel des Giotto, wenn nicht wahrſcheinlicher ein allgemeiner Hang damaliger Zeitgenoſſen, lenkte auch die ſieneſiſche Schule, wenigſtens ihre bekannteſten Meiſter, von der Nachbildung und Vervollkommnung altchriſtlicher Typen zur Beſchauung und mehrſeitigen Auffaſſung des Lebens hin- uͤber. Die Verehrung des heiligen Franz, ſeiner beruͤhmteren Genoſſen und anderer gleich neuer Heiligen fuͤhrte, da ihre Lebensereigniſſe ſo friſch und noch umſtaͤndlich bekannt waren, nothwendig zur vielſeitigſten Auffaſſung menſchlicher Verhaͤlt- niſſe, welche ſelbſt die Lebensſitten der Unglaͤubigen nicht aus- ſchloſſen, inſofern ſolche die Macht und Wunderkraft des Glau- bens gelegentlich erprobt hatten. Dieſer neuen Richtung brach unter den Sieneſern unſer Simon die Bahn, wie Giotto unter den Florentinern. Vaſari macht ihn indeß zu einem Schuͤler des letzten, was die Sie- neſer mit allem Rechte abgelehnt haben. Was ihn auch dazu beſtimmen mochte, ſo war es doch gewiß nicht jene Hand- ſchrift des Lorenzo Ghiberti, welcher ſeine Nachrichten von Simons Werken mit folgenden Worten anhebt: „Meiſter Si- mon war ein ſehr ausgezeichneter Maler; die ſieneſiſchen Kuͤnſtler halten ihn fuͤr den Beſten ihrer Schule; mir ſchien

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/110>, abgerufen am 29.03.2024.