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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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Geschichte zu berichtigen, oder zu erweitern. Nicht einmal
über seinen Beynamen, den die mehr benutzte Abschrift der
Kunstgeschichte des Ghiberti zu Orcagna, Vasari sogar zu Or-
gagna
verstümmelt hatte, war man seither ins Klare gekom-
men. Baldinucci *) verwarf die Schreibart des Vasari, weil
er, wenn er anders richtig gesehn, in einem Originalcontracte
des Künstlers und in den Handschriften der Novellen des
Sacchetti überall Orcagna gefunden. Allerdings ist dieses
richtiger, dessenungeachtet bereits eine Verstümmelung des wah-
ren Namens, welche vielleicht schon zur Lebenszeit des Künst-
lers eingerissen war. Unter allen Umständen sind die Ablei-
tungen, welche Baldinucci versucht hat, eben so müssig, als
sie an sich selbst gezwungen sind. Der wahre Beyname des
Künstlers lautet: l'Arcagnuolo; dieser ward in Schriften und
Urkunden häufig zu Ende abgekürzt und bisweilen mit dem
Artikel zusammengezogen, und daher entstand, daß man in der
Folge die Grundform aus den Augen verloren und nur die
Verstümmelung beybehalten hat.

Ich will die Protocolle, in welchen unser Arcagnuolo
erscheint, theils abgekürzt und theils in ihrer ganzen Länge
mittheilen, **) sowohl weil sie die damals bey großen Bau-
werken übliche Geschäftsführung versinnlichen, als auch, weil
sie ins Licht stellen, wie wenig man bisher bemüht gewesen,
die neuere Kunsthistorie umständlich zu begründen. Denn
sicher benutzte unter so vielen Gelehrten, welche seit Vasari
kunsthistorische Forschungen angestellt haben, kein einziger das
bequeme und zugängliche Archiv der florentinischen Domver-

*) Decen. VI. s. 2. p. 64.
**) S. Belege, No. I.

Geſchichte zu berichtigen, oder zu erweitern. Nicht einmal
uͤber ſeinen Beynamen, den die mehr benutzte Abſchrift der
Kunſtgeſchichte des Ghiberti zu Orcagna, Vaſari ſogar zu Or-
gagna
verſtuͤmmelt hatte, war man ſeither ins Klare gekom-
men. Baldinucci *) verwarf die Schreibart des Vaſari, weil
er, wenn er anders richtig geſehn, in einem Originalcontracte
des Kuͤnſtlers und in den Handſchriften der Novellen des
Sacchetti uͤberall Orcagna gefunden. Allerdings iſt dieſes
richtiger, deſſenungeachtet bereits eine Verſtuͤmmelung des wah-
ren Namens, welche vielleicht ſchon zur Lebenszeit des Kuͤnſt-
lers eingeriſſen war. Unter allen Umſtaͤnden ſind die Ablei-
tungen, welche Baldinucci verſucht hat, eben ſo muͤſſig, als
ſie an ſich ſelbſt gezwungen ſind. Der wahre Beyname des
Kuͤnſtlers lautet: l’Arcagnuolo; dieſer ward in Schriften und
Urkunden haͤufig zu Ende abgekuͤrzt und bisweilen mit dem
Artikel zuſammengezogen, und daher entſtand, daß man in der
Folge die Grundform aus den Augen verloren und nur die
Verſtuͤmmelung beybehalten hat.

Ich will die Protocolle, in welchen unſer Arcagnuolo
erſcheint, theils abgekuͤrzt und theils in ihrer ganzen Laͤnge
mittheilen, **) ſowohl weil ſie die damals bey großen Bau-
werken uͤbliche Geſchaͤftsfuͤhrung verſinnlichen, als auch, weil
ſie ins Licht ſtellen, wie wenig man bisher bemuͤht geweſen,
die neuere Kunſthiſtorie umſtaͤndlich zu begruͤnden. Denn
ſicher benutzte unter ſo vielen Gelehrten, welche ſeit Vaſari
kunſthiſtoriſche Forſchungen angeſtellt haben, kein einziger das
bequeme und zugaͤngliche Archiv der florentiniſchen Domver-

*) Decen. VI. s. 2. p. 64.
**) S. Belege, No. I.
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[90/0108] Geſchichte zu berichtigen, oder zu erweitern. Nicht einmal uͤber ſeinen Beynamen, den die mehr benutzte Abſchrift der Kunſtgeſchichte des Ghiberti zu Orcagna, Vaſari ſogar zu Or- gagna verſtuͤmmelt hatte, war man ſeither ins Klare gekom- men. Baldinucci *) verwarf die Schreibart des Vaſari, weil er, wenn er anders richtig geſehn, in einem Originalcontracte des Kuͤnſtlers und in den Handſchriften der Novellen des Sacchetti uͤberall Orcagna gefunden. Allerdings iſt dieſes richtiger, deſſenungeachtet bereits eine Verſtuͤmmelung des wah- ren Namens, welche vielleicht ſchon zur Lebenszeit des Kuͤnſt- lers eingeriſſen war. Unter allen Umſtaͤnden ſind die Ablei- tungen, welche Baldinucci verſucht hat, eben ſo muͤſſig, als ſie an ſich ſelbſt gezwungen ſind. Der wahre Beyname des Kuͤnſtlers lautet: l’Arcagnuolo; dieſer ward in Schriften und Urkunden haͤufig zu Ende abgekuͤrzt und bisweilen mit dem Artikel zuſammengezogen, und daher entſtand, daß man in der Folge die Grundform aus den Augen verloren und nur die Verſtuͤmmelung beybehalten hat. Ich will die Protocolle, in welchen unſer Arcagnuolo erſcheint, theils abgekuͤrzt und theils in ihrer ganzen Laͤnge mittheilen, **) ſowohl weil ſie die damals bey großen Bau- werken uͤbliche Geſchaͤftsfuͤhrung verſinnlichen, als auch, weil ſie ins Licht ſtellen, wie wenig man bisher bemuͤht geweſen, die neuere Kunſthiſtorie umſtaͤndlich zu begruͤnden. Denn ſicher benutzte unter ſo vielen Gelehrten, welche ſeit Vaſari kunſthiſtoriſche Forſchungen angeſtellt haben, kein einziger das bequeme und zugaͤngliche Archiv der florentiniſchen Domver- *) Decen. VI. s. 2. p. 64. **) S. Belege, No. I.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/108>, abgerufen am 16.04.2024.