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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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wohl ein Jahrhundert lang lebendig; die Verehrung der Ma-
ler, denen er den Ton und die Richtung gegeben, traf eben
in die schönste Epoche der toscanischen Literatur, deren beste
und gelesenste Schriftsteller ihrer Gesinnung die Feder geliehen
haben. Je mehr die Zeit die Leistungen des Giotto der Prü-
fung entrückt und der Phantasie einen freyeren Spielraum
gewährt, die nothwendig sehr allgemeinen Lobsprüche der
Schriftsteller ins Schönere auszubilden, um so mehr wird auch
sein Nachruhm wachsen und gedeihen müssen. -- Indeß möchte
es noch immer an der Zeit und an sich selbst nicht unersprieß-
lich seyn, seine historische Stellung, seine Geistesart und Rich-
tung, wie endlich auch die Beschaffenheit seiner künsilerischen
Leistungen historisch zu begründen. Versuchen wir vorerst aus
den erhaltenen und zugänglichen Quellen seiner Geschichte
solche Züge hervorzuheben, welche über das Allgemeine hinaus
und schon mehr in das Bestimmte und Einzelne eingehn.

In wiefern Giotto auf die Kunstübung seiner Zeitgenossen
eingewirkt, dürfen wir vornehmlich aus den Andeutungen jener
künstlerischen Schriftsteller kennen lernen, welche mir schon
einmal, bey Entwickelung der Beschaffenheit des byzantini-
schen Einflusses, und des Zeitpunktes, in welchem derselbe ein-
getreten, nicht unwichtige Dienste geleistet haben. Unter die-
sen eröffnet Ghiberti seinen Abriß der neueren Kunstgeschichte
durch eine Künstleranecdote, welche Vasari ihm nacherzählt.
Sie scheint mir zu schön um wahr zu seyn; und da es auch
äußere Gründe giebt, zu bezweifeln, daß Giotto der Schüler
des Cimabue, *) der Sohn eines Bondone **) gewesen sey,

*) Cennino di Drea Cennini, trattato etc., steigt bis zum Giotto
hinauf, ohne seines Lehrmeisters zu erwähnen.
**) Ghiberti hatte, worauf ich zurückkommen werde, eine

wohl ein Jahrhundert lang lebendig; die Verehrung der Ma-
ler, denen er den Ton und die Richtung gegeben, traf eben
in die ſchoͤnſte Epoche der toscaniſchen Literatur, deren beſte
und geleſenſte Schriftſteller ihrer Geſinnung die Feder geliehen
haben. Je mehr die Zeit die Leiſtungen des Giotto der Pruͤ-
fung entruͤckt und der Phantaſie einen freyeren Spielraum
gewaͤhrt, die nothwendig ſehr allgemeinen Lobſpruͤche der
Schriftſteller ins Schoͤnere auszubilden, um ſo mehr wird auch
ſein Nachruhm wachſen und gedeihen muͤſſen. — Indeß moͤchte
es noch immer an der Zeit und an ſich ſelbſt nicht unerſprieß-
lich ſeyn, ſeine hiſtoriſche Stellung, ſeine Geiſtesart und Rich-
tung, wie endlich auch die Beſchaffenheit ſeiner kuͤnſileriſchen
Leiſtungen hiſtoriſch zu begruͤnden. Verſuchen wir vorerſt aus
den erhaltenen und zugaͤnglichen Quellen ſeiner Geſchichte
ſolche Zuͤge hervorzuheben, welche uͤber das Allgemeine hinaus
und ſchon mehr in das Beſtimmte und Einzelne eingehn.

In wiefern Giotto auf die Kunſtuͤbung ſeiner Zeitgenoſſen
eingewirkt, duͤrfen wir vornehmlich aus den Andeutungen jener
kuͤnſtleriſchen Schriftſteller kennen lernen, welche mir ſchon
einmal, bey Entwickelung der Beſchaffenheit des byzantini-
ſchen Einfluſſes, und des Zeitpunktes, in welchem derſelbe ein-
getreten, nicht unwichtige Dienſte geleiſtet haben. Unter die-
ſen eroͤffnet Ghiberti ſeinen Abriß der neueren Kunſtgeſchichte
durch eine Kuͤnſtleranecdote, welche Vaſari ihm nacherzaͤhlt.
Sie ſcheint mir zu ſchoͤn um wahr zu ſeyn; und da es auch
aͤußere Gruͤnde giebt, zu bezweifeln, daß Giotto der Schuͤler
des Cimabue, *) der Sohn eines Bondone **) geweſen ſey,

*) Cennino di Drea Cennini, trattato etc., ſteigt bis zum Giotto
hinauf, ohne ſeines Lehrmeiſters zu erwaͤhnen.
**) Ghiberti hatte, worauf ich zuruͤckkommen werde, eine
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[40/0058] wohl ein Jahrhundert lang lebendig; die Verehrung der Ma- ler, denen er den Ton und die Richtung gegeben, traf eben in die ſchoͤnſte Epoche der toscaniſchen Literatur, deren beſte und geleſenſte Schriftſteller ihrer Geſinnung die Feder geliehen haben. Je mehr die Zeit die Leiſtungen des Giotto der Pruͤ- fung entruͤckt und der Phantaſie einen freyeren Spielraum gewaͤhrt, die nothwendig ſehr allgemeinen Lobſpruͤche der Schriftſteller ins Schoͤnere auszubilden, um ſo mehr wird auch ſein Nachruhm wachſen und gedeihen muͤſſen. — Indeß moͤchte es noch immer an der Zeit und an ſich ſelbſt nicht unerſprieß- lich ſeyn, ſeine hiſtoriſche Stellung, ſeine Geiſtesart und Rich- tung, wie endlich auch die Beſchaffenheit ſeiner kuͤnſileriſchen Leiſtungen hiſtoriſch zu begruͤnden. Verſuchen wir vorerſt aus den erhaltenen und zugaͤnglichen Quellen ſeiner Geſchichte ſolche Zuͤge hervorzuheben, welche uͤber das Allgemeine hinaus und ſchon mehr in das Beſtimmte und Einzelne eingehn. In wiefern Giotto auf die Kunſtuͤbung ſeiner Zeitgenoſſen eingewirkt, duͤrfen wir vornehmlich aus den Andeutungen jener kuͤnſtleriſchen Schriftſteller kennen lernen, welche mir ſchon einmal, bey Entwickelung der Beſchaffenheit des byzantini- ſchen Einfluſſes, und des Zeitpunktes, in welchem derſelbe ein- getreten, nicht unwichtige Dienſte geleiſtet haben. Unter die- ſen eroͤffnet Ghiberti ſeinen Abriß der neueren Kunſtgeſchichte durch eine Kuͤnſtleranecdote, welche Vaſari ihm nacherzaͤhlt. Sie ſcheint mir zu ſchoͤn um wahr zu ſeyn; und da es auch aͤußere Gruͤnde giebt, zu bezweifeln, daß Giotto der Schuͤler des Cimabue, *) der Sohn eines Bondone **) geweſen ſey, *) Cennino di Drea Cennini, trattato etc., ſteigt bis zum Giotto hinauf, ohne ſeines Lehrmeiſters zu erwaͤhnen. **) Ghiberti hatte, worauf ich zuruͤckkommen werde, eine

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/58>, abgerufen am 29.03.2024.