Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

und fünften Jahrhunderts höchst bekannt ist. Und wenn die-
selbe im Laufe der langen und beglückten Regierung Justi-
nians
I. aus verschiedenen Ursachen theils glänzender, als nach
dem gothischen Kriege, nach der longobardischen Einwande-
rung, in Italien noch möglich war, theils aber auch in neuen
Formen sich entwickelte, welche die rituellen Anordnungen des
Kaisers im Kirchenbau nothwendig machten; so ward hiedurch
noch keinesweges das technische System, noch selbst die Ver-
zierungsart der christlich-römischen Schule ganz verdrängt,
oder aufgehoben.

Die Sophienkirche, deren Kern, wenn gleich seiner viel-
fältigen Vorhallen und anderer Aussenwerke beraubt, bis auf
unsere Tage sich erhalten hat, zeigt sowohl, daß die Baukunst
im östlichen Reiche unter Justinian die verwandte der ger-
manisirten Provinzen des westlichen an Kühnheit und Hülfs-
mitteln aller Art weit überbot, als auch, daß sie schon da-
mals begonnen, im Grundrisse der Kirchen vom allgemeinen
Herkommen der Christenheit abzuweichen.

Die überwölbte Rotunde, welche die römischen Architec-
ten der classischen Zeit zu großer Vollendung durchgebildet
hatten, diente nicht selten schon den früheren Christen zum
Vorbilde ihrer Kirchen. Von Anbeginn mochte sie nur etwa
der practische und ästhetische Werth dieser Grundform gewon-
nen haben. Allein in der Folge erhielt das Rundgewölbe
eine bestimmte Bedeutung, welche sie in der griechischen Chri-
stenheit zu einem unumgänglichen Erforderniß des Kirchen-
bau's erhob, *) und ihm über dem Heiligthume (ierateion)
seine Stelle anwies.

*) S. Goar, R. P. F. Jac., Eukhologion, sive rituale graecor. etc.

und fuͤnften Jahrhunderts hoͤchſt bekannt iſt. Und wenn die-
ſelbe im Laufe der langen und begluͤckten Regierung Juſti-
nians
I. aus verſchiedenen Urſachen theils glaͤnzender, als nach
dem gothiſchen Kriege, nach der longobardiſchen Einwande-
rung, in Italien noch moͤglich war, theils aber auch in neuen
Formen ſich entwickelte, welche die rituellen Anordnungen des
Kaiſers im Kirchenbau nothwendig machten; ſo ward hiedurch
noch keinesweges das techniſche Syſtem, noch ſelbſt die Ver-
zierungsart der chriſtlich-roͤmiſchen Schule ganz verdraͤngt,
oder aufgehoben.

Die Sophienkirche, deren Kern, wenn gleich ſeiner viel-
faͤltigen Vorhallen und anderer Auſſenwerke beraubt, bis auf
unſere Tage ſich erhalten hat, zeigt ſowohl, daß die Baukunſt
im oͤſtlichen Reiche unter Juſtinian die verwandte der ger-
maniſirten Provinzen des weſtlichen an Kuͤhnheit und Huͤlfs-
mitteln aller Art weit uͤberbot, als auch, daß ſie ſchon da-
mals begonnen, im Grundriſſe der Kirchen vom allgemeinen
Herkommen der Chriſtenheit abzuweichen.

Die uͤberwoͤlbte Rotunde, welche die roͤmiſchen Architec-
ten der claſſiſchen Zeit zu großer Vollendung durchgebildet
hatten, diente nicht ſelten ſchon den fruͤheren Chriſten zum
Vorbilde ihrer Kirchen. Von Anbeginn mochte ſie nur etwa
der practiſche und aͤſthetiſche Werth dieſer Grundform gewon-
nen haben. Allein in der Folge erhielt das Rundgewoͤlbe
eine beſtimmte Bedeutung, welche ſie in der griechiſchen Chri-
ſtenheit zu einem unumgaͤnglichen Erforderniß des Kirchen-
bau’s erhob, *) und ihm uͤber dem Heiligthume (ίεϱατεῖον)
ſeine Stelle anwies.

*) S. Goar, R. P. F. Jac., Εὐχολόγιον, sive rituale graecor. etc.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0213" n="191"/>
und fu&#x0364;nften Jahrhunderts ho&#x0364;ch&#x017F;t bekannt i&#x017F;t. Und wenn die-<lb/>
&#x017F;elbe im Laufe der langen und beglu&#x0364;ckten Regierung <persName ref="http://d-nb.info/gnd/11855896X">Ju&#x017F;ti-<lb/>
nians</persName> <hi rendition="#aq">I.</hi> aus ver&#x017F;chiedenen Ur&#x017F;achen theils gla&#x0364;nzender, als nach<lb/>
dem gothi&#x017F;chen Kriege, nach der longobardi&#x017F;chen Einwande-<lb/>
rung, in <placeName>Italien</placeName> noch mo&#x0364;glich war, theils aber auch in neuen<lb/>
Formen &#x017F;ich entwickelte, welche die rituellen Anordnungen des<lb/>
Kai&#x017F;ers im Kirchenbau nothwendig machten; &#x017F;o ward hiedurch<lb/>
noch keinesweges das techni&#x017F;che Sy&#x017F;tem, noch &#x017F;elb&#x017F;t die Ver-<lb/>
zierungsart der chri&#x017F;tlich-ro&#x0364;mi&#x017F;chen Schule ganz verdra&#x0364;ngt,<lb/>
oder aufgehoben.</p><lb/>
          <p>Die Sophienkirche, deren Kern, wenn gleich &#x017F;einer viel-<lb/>
fa&#x0364;ltigen Vorhallen und anderer Au&#x017F;&#x017F;enwerke beraubt, bis auf<lb/>
un&#x017F;ere Tage &#x017F;ich erhalten hat, zeigt &#x017F;owohl, daß die Baukun&#x017F;t<lb/>
im o&#x0364;&#x017F;tlichen Reiche unter <persName ref="http://d-nb.info/gnd/11855896X">Ju&#x017F;tinian</persName> die verwandte der ger-<lb/>
mani&#x017F;irten Provinzen des we&#x017F;tlichen an Ku&#x0364;hnheit und Hu&#x0364;lfs-<lb/>
mitteln aller Art weit u&#x0364;berbot, als auch, daß &#x017F;ie &#x017F;chon da-<lb/>
mals begonnen, im Grundri&#x017F;&#x017F;e der Kirchen vom allgemeinen<lb/>
Herkommen der Chri&#x017F;tenheit abzuweichen.</p><lb/>
          <p>Die u&#x0364;berwo&#x0364;lbte Rotunde, welche die ro&#x0364;mi&#x017F;chen Architec-<lb/>
ten der cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Zeit zu großer Vollendung durchgebildet<lb/>
hatten, diente nicht &#x017F;elten &#x017F;chon den fru&#x0364;heren Chri&#x017F;ten zum<lb/>
Vorbilde ihrer Kirchen. Von Anbeginn mochte &#x017F;ie nur etwa<lb/>
der practi&#x017F;che und a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;che Werth die&#x017F;er Grundform gewon-<lb/>
nen haben. Allein in der Folge erhielt das Rundgewo&#x0364;lbe<lb/>
eine be&#x017F;timmte Bedeutung, welche &#x017F;ie in der griechi&#x017F;chen Chri-<lb/>
&#x017F;tenheit zu einem unumga&#x0364;nglichen Erforderniß des Kirchen-<lb/>
bau&#x2019;s erhob, <note xml:id="seg2pn_10_1" next="#seg2pn_10_2" place="foot" n="*)">S. <hi rendition="#aq">Goar, R. P. F. Jac.,</hi> &#x0395;&#x1F50;&#x03C7;&#x03BF;&#x03BB;&#x03CC;&#x03B3;&#x03B9;&#x03BF;&#x03BD;, <hi rendition="#aq">sive rituale graecor. etc.</hi></note> und ihm u&#x0364;ber dem Heiligthume (&#x03AF;&#x03B5;&#x03F1;&#x03B1;&#x03C4;&#x03B5;&#x1FD6;&#x03BF;&#x03BD;)<lb/>
&#x017F;eine Stelle anwies.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[191/0213] und fuͤnften Jahrhunderts hoͤchſt bekannt iſt. Und wenn die- ſelbe im Laufe der langen und begluͤckten Regierung Juſti- nians I. aus verſchiedenen Urſachen theils glaͤnzender, als nach dem gothiſchen Kriege, nach der longobardiſchen Einwande- rung, in Italien noch moͤglich war, theils aber auch in neuen Formen ſich entwickelte, welche die rituellen Anordnungen des Kaiſers im Kirchenbau nothwendig machten; ſo ward hiedurch noch keinesweges das techniſche Syſtem, noch ſelbſt die Ver- zierungsart der chriſtlich-roͤmiſchen Schule ganz verdraͤngt, oder aufgehoben. Die Sophienkirche, deren Kern, wenn gleich ſeiner viel- faͤltigen Vorhallen und anderer Auſſenwerke beraubt, bis auf unſere Tage ſich erhalten hat, zeigt ſowohl, daß die Baukunſt im oͤſtlichen Reiche unter Juſtinian die verwandte der ger- maniſirten Provinzen des weſtlichen an Kuͤhnheit und Huͤlfs- mitteln aller Art weit uͤberbot, als auch, daß ſie ſchon da- mals begonnen, im Grundriſſe der Kirchen vom allgemeinen Herkommen der Chriſtenheit abzuweichen. Die uͤberwoͤlbte Rotunde, welche die roͤmiſchen Architec- ten der claſſiſchen Zeit zu großer Vollendung durchgebildet hatten, diente nicht ſelten ſchon den fruͤheren Chriſten zum Vorbilde ihrer Kirchen. Von Anbeginn mochte ſie nur etwa der practiſche und aͤſthetiſche Werth dieſer Grundform gewon- nen haben. Allein in der Folge erhielt das Rundgewoͤlbe eine beſtimmte Bedeutung, welche ſie in der griechiſchen Chri- ſtenheit zu einem unumgaͤnglichen Erforderniß des Kirchen- bau’s erhob, *) und ihm uͤber dem Heiligthume (ίεϱατεῖον) ſeine Stelle anwies. *) S. Goar, R. P. F. Jac., Εὐχολόγιον, sive rituale graecor. etc.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/213
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/213>, abgerufen am 16.04.2024.