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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Die Morphologie unter dem Einfluß der
denkend vorging, erklärte 1766, er sehe zuletzt an der Pflanze
Nichts, als Blätter und Stengel, wobei er die Wurzel zu dem
letzteren rechnet 1).

Schon lange vor Goethe hatte sich in diese Wahrnehmungen
ein speculatives Element zum Zweck der Erklärung derselben
eingeschlichen: wir sahen, wie Caesalpin und Linne, gestützt
auf die alte Ansicht, das Mark sei der Sitz der Pflanzenseele,
die Samen als metamorphosirtes Mark, die Blüthenhüllen sammt
den Staubfäden ebenso wie die eigentlichen Blätter als metamor-
phosirte Rinden- und Holzschichten des Stengels betrachteten.
Für sie hatte, von ihrem Standpunct aus gesehen, das Wort
Metamorphose einen ganz klaren Sinn: es war eben wirklich
der Markcylinder, dessen oberes Ende sich in Samen umwandelte,
es war die wirkliche Corticalsubstanz, welche ebenso die gewöhn-
lichen Blätter, wie die Blüthentheile erzeugte. Andererseits gab
Wolff, von seinem Standpunct aus, dem Satze, daß alle An-
hangsgebilde des Stengels Blätter sind, eine anscheinend leicht
verständliche physicalische Erklärung, die aber freilich den Fehler
hatte, unrichtig zu sein: er ließ die Metamorphose der Blätter
durch veränderte Ernährung, die Blüthe speciell durch seine
vegetatio languescens entstehen.

Viel unklarer faßte Goethe von vorneherein die Sache
auf und zwar vorwiegend deßhalb, weil er die abnorme Meta-
morphose mit der normalen oder aufsteigenden nicht in eine
richtige Verbindung zu bringen wußte. Im ersten Satz seiner
Metamorphosenlehre (1790) heißt es, man könne leicht bemerken,
daß gewisse äußere Theile der Pflanze "sich manchmal verwan-
deln und in die Gestalt der nächstliegenden Theile, bald ganz,
bald mehr oder weniger übergehen." In den Fällen, welche
Goethe hier im Auge hat, kann mit dem Worte Metamorphose
in der That ein bestimmter Sinn verbunden werden: wenn nämlich
z. B. aus dem Samen einer Pflanze mit nicht gefüllten Blüthen

1) Vergl. Wigand, Geschichte und Kritik der Metamorphose. Leipzig
1846 p. 38.

Die Morphologie unter dem Einfluß der
denkend vorging, erklärte 1766, er ſehe zuletzt an der Pflanze
Nichts, als Blätter und Stengel, wobei er die Wurzel zu dem
letzteren rechnet 1).

Schon lange vor Goethe hatte ſich in dieſe Wahrnehmungen
ein ſpeculatives Element zum Zweck der Erklärung derſelben
eingeſchlichen: wir ſahen, wie Caeſalpin und Linné, geſtützt
auf die alte Anſicht, das Mark ſei der Sitz der Pflanzenſeele,
die Samen als metamorphoſirtes Mark, die Blüthenhüllen ſammt
den Staubfäden ebenſo wie die eigentlichen Blätter als metamor-
phoſirte Rinden- und Holzſchichten des Stengels betrachteten.
Für ſie hatte, von ihrem Standpunct aus geſehen, das Wort
Metamorphoſe einen ganz klaren Sinn: es war eben wirklich
der Markcylinder, deſſen oberes Ende ſich in Samen umwandelte,
es war die wirkliche Corticalſubſtanz, welche ebenſo die gewöhn-
lichen Blätter, wie die Blüthentheile erzeugte. Andererſeits gab
Wolff, von ſeinem Standpunct aus, dem Satze, daß alle An-
hangsgebilde des Stengels Blätter ſind, eine anſcheinend leicht
verſtändliche phyſicaliſche Erklärung, die aber freilich den Fehler
hatte, unrichtig zu ſein: er ließ die Metamorphoſe der Blätter
durch veränderte Ernährung, die Blüthe ſpeciell durch ſeine
vegetatio languescens entſtehen.

Viel unklarer faßte Goethe von vorneherein die Sache
auf und zwar vorwiegend deßhalb, weil er die abnorme Meta-
morphoſe mit der normalen oder aufſteigenden nicht in eine
richtige Verbindung zu bringen wußte. Im erſten Satz ſeiner
Metamorphoſenlehre (1790) heißt es, man könne leicht bemerken,
daß gewiſſe äußere Theile der Pflanze „ſich manchmal verwan-
deln und in die Geſtalt der nächſtliegenden Theile, bald ganz,
bald mehr oder weniger übergehen.“ In den Fällen, welche
Goethe hier im Auge hat, kann mit dem Worte Metamorphoſe
in der That ein beſtimmter Sinn verbunden werden: wenn nämlich
z. B. aus dem Samen einer Pflanze mit nicht gefüllten Blüthen

1) Vergl. Wigand, Geſchichte und Kritik der Metamorphoſe. Leipzig
1846 p. 38.
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[168/0180] Die Morphologie unter dem Einfluß der denkend vorging, erklärte 1766, er ſehe zuletzt an der Pflanze Nichts, als Blätter und Stengel, wobei er die Wurzel zu dem letzteren rechnet 1). Schon lange vor Goethe hatte ſich in dieſe Wahrnehmungen ein ſpeculatives Element zum Zweck der Erklärung derſelben eingeſchlichen: wir ſahen, wie Caeſalpin und Linné, geſtützt auf die alte Anſicht, das Mark ſei der Sitz der Pflanzenſeele, die Samen als metamorphoſirtes Mark, die Blüthenhüllen ſammt den Staubfäden ebenſo wie die eigentlichen Blätter als metamor- phoſirte Rinden- und Holzſchichten des Stengels betrachteten. Für ſie hatte, von ihrem Standpunct aus geſehen, das Wort Metamorphoſe einen ganz klaren Sinn: es war eben wirklich der Markcylinder, deſſen oberes Ende ſich in Samen umwandelte, es war die wirkliche Corticalſubſtanz, welche ebenſo die gewöhn- lichen Blätter, wie die Blüthentheile erzeugte. Andererſeits gab Wolff, von ſeinem Standpunct aus, dem Satze, daß alle An- hangsgebilde des Stengels Blätter ſind, eine anſcheinend leicht verſtändliche phyſicaliſche Erklärung, die aber freilich den Fehler hatte, unrichtig zu ſein: er ließ die Metamorphoſe der Blätter durch veränderte Ernährung, die Blüthe ſpeciell durch ſeine vegetatio languescens entſtehen. Viel unklarer faßte Goethe von vorneherein die Sache auf und zwar vorwiegend deßhalb, weil er die abnorme Meta- morphoſe mit der normalen oder aufſteigenden nicht in eine richtige Verbindung zu bringen wußte. Im erſten Satz ſeiner Metamorphoſenlehre (1790) heißt es, man könne leicht bemerken, daß gewiſſe äußere Theile der Pflanze „ſich manchmal verwan- deln und in die Geſtalt der nächſtliegenden Theile, bald ganz, bald mehr oder weniger übergehen.“ In den Fällen, welche Goethe hier im Auge hat, kann mit dem Worte Metamorphoſe in der That ein beſtimmter Sinn verbunden werden: wenn nämlich z. B. aus dem Samen einer Pflanze mit nicht gefüllten Blüthen 1) Vergl. Wigand, Geſchichte und Kritik der Metamorphoſe. Leipzig 1846 p. 38.

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/180>, abgerufen am 29.03.2024.