Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite
Beylage
zum ersten Abschnitte
.

Fenelons Idee
von
der wahren Beredsamkeit.

Alle Regeln der wahren Beredsamkeit lassen sich auf
die drey zurückführen, wie man darstellen, überzeu-
gen, einnehmen
könne, darstellen für Sinn und Einbil-
dungskraft, überzeugen den Verstand, einnehmen das
Herz.

Der wahre Redner kennet keine andere Schön-
heiten seines Vortrages, als

"lichte Wahrheiten und edle Empfindungen, in klare,
natürliche Ausdrücke gekleidet.
"

Er denkt und empfindet: die Worte kommen von
selbst.

Um darzustellen, ahmt er den Raphaels und Car-
rachs nach, die der reinen Natur in allem nacharbeite-
ten, und nie den Pinsel spielen liessen, um ihrer schö-
nen Einbildungskraft Bewunderer zu schaffen. Der
Redner tritt in Gesellschaft mit allen Wesen, die ihn
umgeben, auch mit den leblosen, belebet sie, leiht ih-
nen Gedanken, Empfindung, Liebe; redet mit ihnen,

und
Beylage
zum erſten Abſchnitte
.

Fenelons Idee
von
der wahren Beredſamkeit.

Alle Regeln der wahren Beredſamkeit laſſen ſich auf
die drey zurückführen, wie man darſtellen, überzeu-
gen, einnehmen
könne, darſtellen für Sinn und Einbil-
dungskraft, überzeugen den Verſtand, einnehmen das
Herz.

Der wahre Redner kennet keine andere Schön-
heiten ſeines Vortrages, als

lichte Wahrheiten und edle Empfindungen, in klare,
natürliche Ausdrücke gekleidet.

Er denkt und empfindet: die Worte kommen von
ſelbſt.

Um darzuſtellen, ahmt er den Raphaels und Car-
rachs nach, die der reinen Natur in allem nacharbeite-
ten, und nie den Pinſel ſpielen lieſsen, um ihrer ſchö-
nen Einbildungskraft Bewunderer zu ſchaffen. Der
Redner tritt in Geſellſchaft mit allen Weſen, die ihn
umgeben, auch mit den lebloſen, belebet ſie, leiht ih-
nen Gedanken, Empfindung, Liebe; redet mit ihnen,

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0061" n="47"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Beylage<lb/>
zum er&#x017F;ten Ab&#x017F;chnitte</hi>.</hi> </head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#g">Fenelons Idee</hi><lb/>
von<lb/>
der wahren Bered&#x017F;amkeit.</head><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p><hi rendition="#in">A</hi>lle Regeln der wahren Bered&#x017F;amkeit la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich auf<lb/>
die drey zurückführen, wie man <hi rendition="#i">dar&#x017F;tellen, überzeu-<lb/>
gen, einnehmen</hi> könne, dar&#x017F;tellen für Sinn und Einbil-<lb/>
dungskraft, überzeugen den Ver&#x017F;tand, einnehmen das<lb/>
Herz.</p><lb/>
            <p>Der wahre Redner kennet keine andere Schön-<lb/>
heiten &#x017F;eines Vortrages, als</p><lb/>
            <p> <hi rendition="#et">&#x201E;<hi rendition="#i">lichte Wahrheiten und edle Empfindungen, in klare,<lb/>
natürliche Ausdrücke gekleidet.</hi>&#x201C;</hi> </p><lb/>
            <p>Er <hi rendition="#i">denkt</hi> und <hi rendition="#i">empfindet:</hi> die Worte kommen von<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Um <hi rendition="#i">darzu&#x017F;tellen</hi>, ahmt er den Raphaels und Car-<lb/>
rachs nach, die der reinen Natur in allem nacharbeite-<lb/>
ten, und nie den Pin&#x017F;el &#x017F;pielen lie&#x017F;sen, um ihrer &#x017F;chö-<lb/>
nen Einbildungskraft Bewunderer zu &#x017F;chaffen. Der<lb/>
Redner tritt in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft mit allen We&#x017F;en, die ihn<lb/>
umgeben, auch mit den leblo&#x017F;en, belebet &#x017F;ie, leiht ih-<lb/>
nen Gedanken, Empfindung, Liebe; redet mit ihnen,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0061] Beylage zum erſten Abſchnitte. Fenelons Idee von der wahren Beredſamkeit. Alle Regeln der wahren Beredſamkeit laſſen ſich auf die drey zurückführen, wie man darſtellen, überzeu- gen, einnehmen könne, darſtellen für Sinn und Einbil- dungskraft, überzeugen den Verſtand, einnehmen das Herz. Der wahre Redner kennet keine andere Schön- heiten ſeines Vortrages, als „lichte Wahrheiten und edle Empfindungen, in klare, natürliche Ausdrücke gekleidet.“ Er denkt und empfindet: die Worte kommen von ſelbſt. Um darzuſtellen, ahmt er den Raphaels und Car- rachs nach, die der reinen Natur in allem nacharbeite- ten, und nie den Pinſel ſpielen lieſsen, um ihrer ſchö- nen Einbildungskraft Bewunderer zu ſchaffen. Der Redner tritt in Geſellſchaft mit allen Weſen, die ihn umgeben, auch mit den lebloſen, belebet ſie, leiht ih- nen Gedanken, Empfindung, Liebe; redet mit ihnen, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/61
Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/61>, abgerufen am 29.03.2024.