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Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791.

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das Etwas seiner Lehre durch willkührliche Deutung
zu Nichts machen. Kann es doch keinem Kinde von
sechs Jahren, das an der Mutter hängt, unbekannt
seyn, was lieben heisse! -- Andern scheint vielleicht
diess Gebot der Liebe nicht rein genug zu seyn. Was
lässt sich denn aber reineres denken, als: "das reinste
Wesen von ganzem Herzen lieben?" Kann man wohl
noch einer unreinen Triebfeder dienen, wenn man das
höchste Gut von ganzem Herzen liebt? Wie selig ist
doch der Mensch, der sich an die Lehre Jesu halten
kann! Hätten sich die Christen und Weltweisen im-
mer daran gehalten: so wäre die Welt verschont ge-
blieben mit den unseligen Streiten über reine und un-
reine Liebe des Guten, die ehemals die theologischen
und philosophischen Köpfe entzweyet haben, und nun
die philosophischen wieder entzweyen, gewiss nicht
zum Vortheile der uneigennützigen Liebe, die nie mehr
verliert, als bey Streiten, Prozessen, Kriegen, die
doch nur durch das Feuer der Eigenliebe unterhalten
werden können.

Die christliche Moral giebt 2) durchaus zuver-
lässige und allgemeingültige Prüfsteine der vollkommnen
Liebe
gegen Gott an -- den vollständigen, standhaf-
ten, lautern Gehorsam gegen allen erkannten Willen
Gottes
aus Achtung gegen Ihn, I. Joh. V. 3. und die
furchtlose Zuversicht zu Ihm
. I. Joh. IV. 17. 18.

Den Willen Gottes aus Achtung gegen Ihn
vollbringen, oder gehorsam seyn, beweiset die Liebe,

und

das Etwas ſeiner Lehre durch willkührliche Deutung
zu Nichts machen. Kann es doch keinem Kinde von
ſechs Jahren, das an der Mutter hängt, unbekannt
ſeyn, was lieben heiſſe! — Andern ſcheint vielleicht
dieſs Gebot der Liebe nicht rein genug zu ſeyn. Was
läſst ſich denn aber reineres denken, als: „das reinſte
Weſen von ganzem Herzen lieben?“ Kann man wohl
noch einer unreinen Triebfeder dienen, wenn man das
höchſte Gut von ganzem Herzen liebt? Wie ſelig iſt
doch der Menſch, der ſich an die Lehre Jeſu halten
kann! Hätten ſich die Chriſten und Weltweiſen im-
mer daran gehalten: ſo wäre die Welt verſchont ge-
blieben mit den unſeligen Streiten über reine und un-
reine Liebe des Guten, die ehemals die theologiſchen
und philoſophiſchen Köpfe entzweyet haben, und nun
die philoſophiſchen wieder entzweyen, gewiſs nicht
zum Vortheile der uneigennützigen Liebe, die nie mehr
verliert, als bey Streiten, Prozeſſen, Kriegen, die
doch nur durch das Feuer der Eigenliebe unterhalten
werden können.

Die chriſtliche Moral giebt 2) durchaus zuver-
läſſige und allgemeingültige Prüfſteine der vollkommnen
Liebe
gegen Gott an — den vollſtändigen, ſtandhaf-
ten, lautern Gehorſam gegen allen erkannten Willen
Gottes
aus Achtung gegen Ihn, I. Joh. V. 3. und die
furchtloſe Zuverſicht zu Ihm
. I. Joh. IV. 17. 18.

Den Willen Gottes aus Achtung gegen Ihn
vollbringen, oder gehorſam ſeyn, beweiſet die Liebe,

und
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[54/0068] das Etwas ſeiner Lehre durch willkührliche Deutung zu Nichts machen. Kann es doch keinem Kinde von ſechs Jahren, das an der Mutter hängt, unbekannt ſeyn, was lieben heiſſe! — Andern ſcheint vielleicht dieſs Gebot der Liebe nicht rein genug zu ſeyn. Was läſst ſich denn aber reineres denken, als: „das reinſte Weſen von ganzem Herzen lieben?“ Kann man wohl noch einer unreinen Triebfeder dienen, wenn man das höchſte Gut von ganzem Herzen liebt? Wie ſelig iſt doch der Menſch, der ſich an die Lehre Jeſu halten kann! Hätten ſich die Chriſten und Weltweiſen im- mer daran gehalten: ſo wäre die Welt verſchont ge- blieben mit den unſeligen Streiten über reine und un- reine Liebe des Guten, die ehemals die theologiſchen und philoſophiſchen Köpfe entzweyet haben, und nun die philoſophiſchen wieder entzweyen, gewiſs nicht zum Vortheile der uneigennützigen Liebe, die nie mehr verliert, als bey Streiten, Prozeſſen, Kriegen, die doch nur durch das Feuer der Eigenliebe unterhalten werden können. Die chriſtliche Moral giebt 2) durchaus zuver- läſſige und allgemeingültige Prüfſteine der vollkommnen Liebe gegen Gott an — den vollſtändigen, ſtandhaf- ten, lautern Gehorſam gegen allen erkannten Willen Gottes aus Achtung gegen Ihn, I. Joh. V. 3. und die furchtloſe Zuverſicht zu Ihm. I. Joh. IV. 17. 18. Den Willen Gottes aus Achtung gegen Ihn vollbringen, oder gehorſam ſeyn, beweiſet die Liebe, und

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/68>, abgerufen am 28.03.2024.