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Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791.

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von der Methodik der christlichen Moral, gute Men-
schen zu bilden. Sie ist so lauter, dass sie die lauterste
Liebe des Besten zum Grundgesetze ihrer Sittlichkeit
macht, und dabey so menschlich, dass sie Furcht und
Hoffnung, Dankbarkeit und Beyspiel, Zukunft und
Gegenwart in Bewegung setzt, um jeden, nach sei-
nem Bedürfnisse, der Tugend empfänglich zu machen.
Sie ist so erhaben, dass sie dem Menschen keine ge-
ringere Bestimmung anweiset, als die, im Lichte zu
wandeln, wie Gott im Lichte ist, und dabey so ge-
recht
, dass sie von keinem mehr fodert, als mit der
Kraft zu wuchern, die er wirklich hat, und das zu
seyn, was er in jedem Abschnitte des Lebens seyn
kann. Sie ist so eifersüchtig auf Heiligung, dass sie
keine Mackel duldet, und dabey so milde, dass sie je-
dem Sünder Erbarmung, und jedem Leidenden Trost,
und jedem Kämpfenden Stärkung anbeut. Sie ist so
ed[e]l, dass sie im Grunde nichts als Liebe fodert, und
zugleich so weise, dass sie zuerst durch Busse die Hin-
dernisse wegräumt, um der vollkommnern Liebe eine
Stätte vorzubereiten. Kurz, sie ist wie die Liebe, und
weiss allen alles zu werden, um alle der Liebe, d. i.
der Vollkommenheit näher zu bringen. Diese gött-
liche Methode
gebrauchten Jesus, Paulus, Petrus, Jo-
hannes, und von diesen Lehrern gilt alles, was ich
von der christlichen Sittenlehre gesagt habe, und sagen
werde. Denn die Abstrakta leben nur in den Indivi-
duen, und man muss ein loser Schwätzer werden, so-
bald man die Vollkommenheit anderswo, als in den
Vollkommenen, die Weisheit anderswo, als in Wei-

sen,
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von der Methodik der chriſtlichen Moral, gute Men-
ſchen zu bilden. Sie iſt ſo lauter, daſs ſie die lauterſte
Liebe des Beſten zum Grundgeſetze ihrer Sittlichkeit
macht, und dabey ſo menſchlich, daſs ſie Furcht und
Hoffnung, Dankbarkeit und Beyſpiel, Zukunft und
Gegenwart in Bewegung ſetzt, um jeden, nach ſei-
nem Bedürfniſſe, der Tugend empfänglich zu machen.
Sie iſt ſo erhaben, daſs ſie dem Menſchen keine ge-
ringere Beſtimmung anweiſet, als die, im Lichte zu
wandeln, wie Gott im Lichte iſt, und dabey ſo ge-
recht
, daſs ſie von keinem mehr fodert, als mit der
Kraft zu wuchern, die er wirklich hat, und das zu
ſeyn, was er in jedem Abſchnitte des Lebens ſeyn
kann. Sie iſt ſo eiferſüchtig auf Heiligung, daſs ſie
keine Mackel duldet, und dabey ſo milde, daſs ſie je-
dem Sünder Erbarmung, und jedem Leidenden Troſt,
und jedem Kämpfenden Stärkung anbeut. Sie iſt ſo
ed[e]l, daſs ſie im Grunde nichts als Liebe fodert, und
zugleich ſo weiſe, daſs ſie zuerſt durch Buſſe die Hin-
derniſſe wegräumt, um der vollkommnern Liebe eine
Stätte vorzubereiten. Kurz, ſie iſt wie die Liebe, und
weiſs allen alles zu werden, um alle der Liebe, d. i.
der Vollkommenheit näher zu bringen. Dieſe gött-
liche Methode
gebrauchten Jeſus, Paulus, Petrus, Jo-
hannes, und von dieſen Lehrern gilt alles, was ich
von der chriſtlichen Sittenlehre geſagt habe, und ſagen
werde. Denn die Abſtrakta leben nur in den Indivi-
duen, und man muſs ein loſer Schwätzer werden, ſo-
bald man die Vollkommenheit anderswo, als in den
Vollkommenen, die Weisheit anderswo, als in Wei-

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[81/0095] von der Methodik der chriſtlichen Moral, gute Men- ſchen zu bilden. Sie iſt ſo lauter, daſs ſie die lauterſte Liebe des Beſten zum Grundgeſetze ihrer Sittlichkeit macht, und dabey ſo menſchlich, daſs ſie Furcht und Hoffnung, Dankbarkeit und Beyſpiel, Zukunft und Gegenwart in Bewegung ſetzt, um jeden, nach ſei- nem Bedürfniſſe, der Tugend empfänglich zu machen. Sie iſt ſo erhaben, daſs ſie dem Menſchen keine ge- ringere Beſtimmung anweiſet, als die, im Lichte zu wandeln, wie Gott im Lichte iſt, und dabey ſo ge- recht, daſs ſie von keinem mehr fodert, als mit der Kraft zu wuchern, die er wirklich hat, und das zu ſeyn, was er in jedem Abſchnitte des Lebens ſeyn kann. Sie iſt ſo eiferſüchtig auf Heiligung, daſs ſie keine Mackel duldet, und dabey ſo milde, daſs ſie je- dem Sünder Erbarmung, und jedem Leidenden Troſt, und jedem Kämpfenden Stärkung anbeut. Sie iſt ſo edel, daſs ſie im Grunde nichts als Liebe fodert, und zugleich ſo weiſe, daſs ſie zuerſt durch Buſſe die Hin- derniſſe wegräumt, um der vollkommnern Liebe eine Stätte vorzubereiten. Kurz, ſie iſt wie die Liebe, und weiſs allen alles zu werden, um alle der Liebe, d. i. der Vollkommenheit näher zu bringen. Dieſe gött- liche Methode gebrauchten Jeſus, Paulus, Petrus, Jo- hannes, und von dieſen Lehrern gilt alles, was ich von der chriſtlichen Sittenlehre geſagt habe, und ſagen werde. Denn die Abſtrakta leben nur in den Indivi- duen, und man muſs ein loſer Schwätzer werden, ſo- bald man die Vollkommenheit anderswo, als in den Vollkommenen, die Weisheit anderswo, als in Wei- ſen, F

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/95>, abgerufen am 16.04.2024.