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Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

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Scheingründe für den Selbstmord.
nen Pfad durch die Luft gefunden haben --
daß es Menschen sind, die sich in einem Au-
genblicke von Welten zu Welten, von Ge-
schöpfen zum Schöpfer empor schwingen,
und Ewigkeiten denken können.

Er ist Unphilosophie. Denn was
falsch ist, und die Menschenwürde schändet,
kann so wenig Philosophie seyn, als wenig
die dunkelste Mitternachtstunde, Mittags-
helle ist.

Auch ist's ebenteuerlich: um den Men-
schen klein zu machen, verläßt der Mensch
den geraden Anblick des Menschen, der ihm
vor dem Auge steht, und steigt mit seinen
Einbildungen in die unbekannten Welten
hinauf, träumt da, was sich mit einem an-
gebrannten Hirn träumen läßt, und trägt
am Ende das Resultat seines Traumes, der
Mensch sey nichts gegen das Universum,

mit einem Hohngelache über den Stolz der
Menschheit, die sich so groß deuchte und so
klein wäre, zur Schau umher.

Freund! ein großer Mann sagte einst:
was den Begriff von Gottes Liebenswür-

digkeit
H

Scheingruͤnde fuͤr den Selbſtmord.
nen Pfad durch die Luft gefunden haben —
daß es Menſchen ſind, die ſich in einem Au-
genblicke von Welten zu Welten, von Ge-
ſchoͤpfen zum Schoͤpfer empor ſchwingen,
und Ewigkeiten denken koͤnnen.

Er iſt Unphiloſophie. Denn was
falſch iſt, und die Menſchenwuͤrde ſchaͤndet,
kann ſo wenig Philoſophie ſeyn, als wenig
die dunkelſte Mitternachtſtunde, Mittags-
helle iſt.

Auch iſt’s ebenteuerlich: um den Men-
ſchen klein zu machen, verlaͤßt der Menſch
den geraden Anblick des Menſchen, der ihm
vor dem Auge ſteht, und ſteigt mit ſeinen
Einbildungen in die unbekannten Welten
hinauf, traͤumt da, was ſich mit einem an-
gebrannten Hirn traͤumen laͤßt, und traͤgt
am Ende das Reſultat ſeines Traumes, der
Menſch ſey nichts gegen das Univerſum,

mit einem Hohngelache uͤber den Stolz der
Menſchheit, die ſich ſo groß deuchte und ſo
klein waͤre, zur Schau umher.

Freund! ein großer Mann ſagte einſt:
was den Begriff von Gottes Liebenswuͤr-

digkeit
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[113/0125] Scheingruͤnde fuͤr den Selbſtmord. nen Pfad durch die Luft gefunden haben — daß es Menſchen ſind, die ſich in einem Au- genblicke von Welten zu Welten, von Ge- ſchoͤpfen zum Schoͤpfer empor ſchwingen, und Ewigkeiten denken koͤnnen. Er iſt Unphiloſophie. Denn was falſch iſt, und die Menſchenwuͤrde ſchaͤndet, kann ſo wenig Philoſophie ſeyn, als wenig die dunkelſte Mitternachtſtunde, Mittags- helle iſt. Auch iſt’s ebenteuerlich: um den Men- ſchen klein zu machen, verlaͤßt der Menſch den geraden Anblick des Menſchen, der ihm vor dem Auge ſteht, und ſteigt mit ſeinen Einbildungen in die unbekannten Welten hinauf, traͤumt da, was ſich mit einem an- gebrannten Hirn traͤumen laͤßt, und traͤgt am Ende das Reſultat ſeines Traumes, der Menſch ſey nichts gegen das Univerſum, mit einem Hohngelache uͤber den Stolz der Menſchheit, die ſich ſo groß deuchte und ſo klein waͤre, zur Schau umher. Freund! ein großer Mann ſagte einſt: was den Begriff von Gottes Liebenswuͤr- digkeit H

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/125>, abgerufen am 25.04.2024.