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Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

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Dritter Abschnitt.
Seneka.Der christliche Weise.
Ruhestörende
über ihn, so
wirft er sich
aus dem Leben
hinaus: und
dieß thut er
nicht nur im
äussersten
Nothfalle, son-
dern, so bald
ihm das Glück
verdächtig zu
werden begin-
net, so sieht
er mit schar-
fem Blicke um-
her, ob er wohl
schon an die-
sem Tage zu
ich erst recht beweisen, was
das Leben für einen Werth
habe. Nun ists erst Tu-
gend
zu leben. -- -- Wer-
den ihm seine Glücksumstän-
de noch so verdächtig: Got-
tes Vaterliebe wird es ihm
nie -- und diese macht ihm
auch die schwerste Last erträg-
lich. Er sieht sich nicht um
den Tod um -- sondern um
Geduld, und diese findet er
leichter, als der Selbstmör-
der den Tod.
et tranquillitatem turbantia, emittit se; nec
hoc tantum in necessitate ultima facit, sed cum
primum illi coeperit suspecta esse fortuna, di-
ligenter circumspicit, numquid illo die desi-

Wenn
nen

Dritter Abſchnitt.
Seneka.Der chriſtliche Weiſe.
Ruheſtoͤrende
uͤber ihn, ſo
wirft er ſich
aus dem Leben
hinaus: und
dieß thut er
nicht nur im
aͤuſſerſten
Nothfalle, ſon-
dern, ſo bald
ihm das Gluͤck
verdaͤchtig zu
werden begin-
net, ſo ſieht
er mit ſchar-
fem Blicke um-
her, ob er wohl
ſchon an die-
ſem Tage zu
ich erſt recht beweiſen, was
das Leben fuͤr einen Werth
habe. Nun iſts erſt Tu-
gend
zu leben. — — Wer-
den ihm ſeine Gluͤcksumſtaͤn-
de noch ſo verdaͤchtig: Got-
tes Vaterliebe wird es ihm
nie — und dieſe macht ihm
auch die ſchwerſte Laſt ertraͤg-
lich. Er ſieht ſich nicht um
den Tod um — ſondern um
Geduld, und dieſe findet er
leichter, als der Selbſtmoͤr-
der den Tod.
et tranquillitatem turbantia, emittit ſe; nec
hoc tantum in neceſſitate ultima facit, ſed cum
primum illi coeperit ſuſpecta eſſe fortuna, di-
ligenter circumſpicit, numquid illo die deſi-

Wenn
nen
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[182/0194] Dritter Abſchnitt. Seneka. Der chriſtliche Weiſe. Ruheſtoͤrende uͤber ihn, ſo wirft er ſich aus dem Leben hinaus: und dieß thut er nicht nur im aͤuſſerſten Nothfalle, ſon- dern, ſo bald ihm das Gluͤck verdaͤchtig zu werden begin- net, ſo ſieht er mit ſchar- fem Blicke um- her, ob er wohl ſchon an die- ſem Tage zu ich erſt recht beweiſen, was das Leben fuͤr einen Werth habe. Nun iſts erſt Tu- gend zu leben. — — Wer- den ihm ſeine Gluͤcksumſtaͤn- de noch ſo verdaͤchtig: Got- tes Vaterliebe wird es ihm nie — und dieſe macht ihm auch die ſchwerſte Laſt ertraͤg- lich. Er ſieht ſich nicht um den Tod um — ſondern um Geduld, und dieſe findet er leichter, als der Selbſtmoͤr- der den Tod. Wenn et tranquillitatem turbantia, emittit ſe; nec hoc tantum in neceſſitate ultima facit, ſed cum primum illi coeperit ſuſpecta eſſe fortuna, di- ligenter circumſpicit, numquid illo die deſi- nen

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/194>, abgerufen am 24.04.2024.