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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783.

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Weil heute zu viel Leute hier waren, so besah ich diese den
6ten Jul. noch einmal. Davon also das Weitere unter
diesem Tage. Der Schweizer war ein grober Kerl.

Bemerkung.

Heute ging ich wieder bei La Morne vorbei, da lag
ein Mensch! Ein gemeiner Mann, vermuthlich aus der
Seine aufgefischt, denn er war ganz mit Koth bedeckt,
und schon stark aufgetrieben. An den Händen sah ich
Wunden, und Blut im Koth geronnen, die wichtigern
kont' ich nicht sehen. -- Gott im Himmel! welch ein
unglückliches Schicksal haben doch viele Menschen auf
deiner Erde! Menschen opfern Menschen auf, und das
sehen Tausende, schwatzen davon, und der ganze tausend-
fache Troß der Stadt läuft nachher, wie zuvor, dem Ver-
gnügen und dem Laster nach!

Den 16ten Jun.

Ich besah heute

Le Cabinet du Pere Nicolson, au Couvent
des Jacobins, Rue St. Honore, proche de l'Eglise
St. Roch.
Der erste Vormittag, den ich hier zuge-
bracht, soll mir noch lange kostbar und werth seyn. Wie
geschwinde knüpfen die Wissenschaften das Band der
Freundschaft zwischen sonst unbekannten Seelen! Und be-
sonders Männer, welche die Natur lieben, wie leicht fin-
den sie sich, ziehen sich an, lieben sich, theilen sich mit,
und vergessen des Flugs der Stunden in den angenehm-
sten Unterhaltungen! In dieses Kloster, -- wohl eine
Stunde von meinem Quartier entfernt, -- ging ich oh-

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Weil heute zu viel Leute hier waren, ſo beſah ich dieſe den
6ten Jul. noch einmal. Davon alſo das Weitere unter
dieſem Tage. Der Schweizer war ein grober Kerl.

Bemerkung.

Heute ging ich wieder bei La Morne vorbei, da lag
ein Menſch! Ein gemeiner Mann, vermuthlich aus der
Seine aufgefiſcht, denn er war ganz mit Koth bedeckt,
und ſchon ſtark aufgetrieben. An den Haͤnden ſah ich
Wunden, und Blut im Koth geronnen, die wichtigern
kont’ ich nicht ſehen. — Gott im Himmel! welch ein
ungluͤckliches Schickſal haben doch viele Menſchen auf
deiner Erde! Menſchen opfern Menſchen auf, und das
ſehen Tauſende, ſchwatzen davon, und der ganze tauſend-
fache Troß der Stadt laͤuft nachher, wie zuvor, dem Ver-
gnuͤgen und dem Laſter nach!

Den 16ten Jun.

Ich beſah heute

Le Cabinet du Pere Nicolſon, au Couvent
des Jacobins, Rue St. Honoré, proche de l’Egliſe
St. Roch.
Der erſte Vormittag, den ich hier zuge-
bracht, ſoll mir noch lange koſtbar und werth ſeyn. Wie
geſchwinde knuͤpfen die Wiſſenſchaften das Band der
Freundſchaft zwiſchen ſonſt unbekannten Seelen! Und be-
ſonders Maͤnner, welche die Natur lieben, wie leicht fin-
den ſie ſich, ziehen ſich an, lieben ſich, theilen ſich mit,
und vergeſſen des Flugs der Stunden in den angenehm-
ſten Unterhaltungen! In dieſes Kloſter, — wohl eine
Stunde von meinem Quartier entfernt, — ging ich oh-

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[227/0251] Weil heute zu viel Leute hier waren, ſo beſah ich dieſe den 6ten Jul. noch einmal. Davon alſo das Weitere unter dieſem Tage. Der Schweizer war ein grober Kerl. Bemerkung. Heute ging ich wieder bei La Morne vorbei, da lag ein Menſch! Ein gemeiner Mann, vermuthlich aus der Seine aufgefiſcht, denn er war ganz mit Koth bedeckt, und ſchon ſtark aufgetrieben. An den Haͤnden ſah ich Wunden, und Blut im Koth geronnen, die wichtigern kont’ ich nicht ſehen. — Gott im Himmel! welch ein ungluͤckliches Schickſal haben doch viele Menſchen auf deiner Erde! Menſchen opfern Menſchen auf, und das ſehen Tauſende, ſchwatzen davon, und der ganze tauſend- fache Troß der Stadt laͤuft nachher, wie zuvor, dem Ver- gnuͤgen und dem Laſter nach! Den 16ten Jun. Ich beſah heute Le Cabinet du Pere Nicolſon, au Couvent des Jacobins, Rue St. Honoré, proche de l’Egliſe St. Roch. Der erſte Vormittag, den ich hier zuge- bracht, ſoll mir noch lange koſtbar und werth ſeyn. Wie geſchwinde knuͤpfen die Wiſſenſchaften das Band der Freundſchaft zwiſchen ſonſt unbekannten Seelen! Und be- ſonders Maͤnner, welche die Natur lieben, wie leicht fin- den ſie ſich, ziehen ſich an, lieben ſich, theilen ſich mit, und vergeſſen des Flugs der Stunden in den angenehm- ſten Unterhaltungen! In dieſes Kloſter, — wohl eine Stunde von meinem Quartier entfernt, — ging ich oh- ne P 2

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/251>, abgerufen am 19.04.2024.