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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783.

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cke sind, so sehr lehrreich sind sie gleichwohl. Darneben
stehen im chymischen Laboratorium viele hundert Gläser,
in denen er die glücklichsten Nachahmungen der Natur
aufbewahrt. Bisher hat er sich blos mit der Mineralo-
gie beschäftiget. Vom December bis zum April macht
er in seinem Cours chymique alle diese schönen Arbei-
ten vor den Augen seiner Zuhörer. Wollte Gott, ich
könnte einer davon seyn! Es ist unnöthig, die seltensten
und schönsten Stücke seiner Sammlung anzuführen; sie
sind alle in seinem vorgedachtem Buche beschrieben, und
hier findet man die Belege dazu. Aber mir fällt immer
dabei der Gedanke ein, daß statt der Deutlichkeit und
Gewisheit, vielmehr Unordnung und Ungewisheit in die
Mineralogie gebracht wird, wenn jeder Mineralog die
Stücke, die er besitzt, untersucht, und darauf ein System
baut. Die Natur mischt offenbar die Mineralien unor-
dentlich. Was sie im Thier- und Pflanzenreiche nie
thut, das thut sie hier: sie verbindet in einem Klumpen
zwanzig Species untereinander. Der eine Kiesel entsteht
so, enthält die Theile; ein andrer hat die Entstehung,
ein andres Lokale bei seiner Entstehung, und wegen des
prädominirenden Theils sind doch beide Kiesel. Ist es
nicht ein kleiner Sprung, eine Verwegenheit, die Frucht der
Eigenliebe, wenn jeder nach den Bestandtheilen, die er
in seinem Probestücke findet, berechnet, wie viel absorbi-
rende Erde, wie viel Wasser, wie viel Kupfer, wie viel
Kobold etc. allemahl im Zentner von dem und dem Mine-
ral sei? Jeder nimmt eine Hypothese für Gewisheit, für
den allgemeinen Maasstab an. So wie man jetzt in
der Physik alles aus der Elektrizität erklärt, so nimmt
Sage in der Chymie überall acide marin, air fixe,
air mephitique
an. -- Man zählt die Facetten, die

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cke ſind, ſo ſehr lehrreich ſind ſie gleichwohl. Darneben
ſtehen im chymiſchen Laboratorium viele hundert Glaͤſer,
in denen er die gluͤcklichſten Nachahmungen der Natur
aufbewahrt. Bisher hat er ſich blos mit der Mineralo-
gie beſchaͤftiget. Vom December bis zum April macht
er in ſeinem Cours chymique alle dieſe ſchoͤnen Arbei-
ten vor den Augen ſeiner Zuhoͤrer. Wollte Gott, ich
koͤnnte einer davon ſeyn! Es iſt unnoͤthig, die ſeltenſten
und ſchoͤnſten Stuͤcke ſeiner Sammlung anzufuͤhren; ſie
ſind alle in ſeinem vorgedachtem Buche beſchrieben, und
hier findet man die Belege dazu. Aber mir faͤllt immer
dabei der Gedanke ein, daß ſtatt der Deutlichkeit und
Gewisheit, vielmehr Unordnung und Ungewisheit in die
Mineralogie gebracht wird, wenn jeder Mineralog die
Stuͤcke, die er beſitzt, unterſucht, und darauf ein Syſtem
baut. Die Natur miſcht offenbar die Mineralien unor-
dentlich. Was ſie im Thier- und Pflanzenreiche nie
thut, das thut ſie hier: ſie verbindet in einem Klumpen
zwanzig Species untereinander. Der eine Kieſel entſteht
ſo, enthaͤlt die Theile; ein andrer hat die Entſtehung,
ein andres Lokale bei ſeiner Entſtehung, und wegen des
praͤdominirenden Theils ſind doch beide Kieſel. Iſt es
nicht ein kleiner Sprung, eine Verwegenheit, die Frucht der
Eigenliebe, wenn jeder nach den Beſtandtheilen, die er
in ſeinem Probeſtuͤcke findet, berechnet, wie viel abſorbi-
rende Erde, wie viel Waſſer, wie viel Kupfer, wie viel
Kobold ꝛc. allemahl im Zentner von dem und dem Mine-
ral ſei? Jeder nimmt eine Hypotheſe fuͤr Gewisheit, fuͤr
den allgemeinen Maasſtab an. So wie man jetzt in
der Phyſik alles aus der Elektrizitaͤt erklaͤrt, ſo nimmt
Sage in der Chymie uͤberall acide marin, air fixe,
air mephitique
an. — Man zaͤhlt die Facetten, die

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[349/0373] cke ſind, ſo ſehr lehrreich ſind ſie gleichwohl. Darneben ſtehen im chymiſchen Laboratorium viele hundert Glaͤſer, in denen er die gluͤcklichſten Nachahmungen der Natur aufbewahrt. Bisher hat er ſich blos mit der Mineralo- gie beſchaͤftiget. Vom December bis zum April macht er in ſeinem Cours chymique alle dieſe ſchoͤnen Arbei- ten vor den Augen ſeiner Zuhoͤrer. Wollte Gott, ich koͤnnte einer davon ſeyn! Es iſt unnoͤthig, die ſeltenſten und ſchoͤnſten Stuͤcke ſeiner Sammlung anzufuͤhren; ſie ſind alle in ſeinem vorgedachtem Buche beſchrieben, und hier findet man die Belege dazu. Aber mir faͤllt immer dabei der Gedanke ein, daß ſtatt der Deutlichkeit und Gewisheit, vielmehr Unordnung und Ungewisheit in die Mineralogie gebracht wird, wenn jeder Mineralog die Stuͤcke, die er beſitzt, unterſucht, und darauf ein Syſtem baut. Die Natur miſcht offenbar die Mineralien unor- dentlich. Was ſie im Thier- und Pflanzenreiche nie thut, das thut ſie hier: ſie verbindet in einem Klumpen zwanzig Species untereinander. Der eine Kieſel entſteht ſo, enthaͤlt die Theile; ein andrer hat die Entſtehung, ein andres Lokale bei ſeiner Entſtehung, und wegen des praͤdominirenden Theils ſind doch beide Kieſel. Iſt es nicht ein kleiner Sprung, eine Verwegenheit, die Frucht der Eigenliebe, wenn jeder nach den Beſtandtheilen, die er in ſeinem Probeſtuͤcke findet, berechnet, wie viel abſorbi- rende Erde, wie viel Waſſer, wie viel Kupfer, wie viel Kobold ꝛc. allemahl im Zentner von dem und dem Mine- ral ſei? Jeder nimmt eine Hypotheſe fuͤr Gewisheit, fuͤr den allgemeinen Maasſtab an. So wie man jetzt in der Phyſik alles aus der Elektrizitaͤt erklaͤrt, ſo nimmt Sage in der Chymie uͤberall acide marin, air fixe, air mephitique an. — Man zaͤhlt die Facetten, die Seiten

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/373>, abgerufen am 29.03.2024.