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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783.

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auf junge Weibspersonen, die hier Verwandte besuchen,
oder Dienste suchen wollen, oder von Kaufleuten verschrie-
ben werden, theils auf junge unerfahrne Handwerksbur-
sche lauern, die der Wege in der Stadt, der Wirthshäu-
ser und der Sprache unkundig sind, sich nach ihren Be-
kannten erkundigen, und von diesen Leuten in Häuser ge-
lockt werden, wo der Wirth ihnen für jeden Kerl Geld
zahlt. Die Spitzbuben verstehen sich durch Zeichen, sie
bieten den Fremden Höflichkeiten an, nöthigen sie zum
Trinken und gehen dann fort, nehmen ihren Dukaten vom
Wirth, der nachher den Gefangenen nicht mehr fortläßt,
und ihn aufs Schiff in die See hinausbringt, ehe der ar-
me Deutsche nur einen Weg finden kan, sein Unglück ir-
gend einem Menschen zu klagen. Mit den Weibsperso-
nen ziehen sie zur Zeit der Kirmes aus einer Stadt in
die andre, übergeben sie einer Hurenwirthin, ziehen ih-
nen die prächtigsten Kleider an, geben ihnen Uhren, sil-
berne Schnallen, etc. ziehen ihnen das wieder vom Hu-
renlohn ab, zuletzt -- -- ach, vermuthlich stossen sie
sie aus, und überlassen sie dem äussersten Elende. -- Sel-
ten sind Beispiele, daß Leute aus diesen Klauen wieder
errettet worden. Sollten wir nicht, wir Glücklichen und
Begüterten im Menschengeschlecht, wenn wir oft von Be-
lustigungen, mit allem Guten auf Gottes Erde gesättigt,
zurückkommen, und im weichen Bett, fern von jedem
Unglück und Kummer, Nächte durchschlummern, sollten
wir nicht alsdann die Gottheit auch für unsere unglückli-
chen Brüder anrufen, die das Opfer der Bosheit und der
Gewinnsucht andrer werden müssen, und um Mitternacht
in der traurigen Schiffskammer unter dem Brüllen des
Meers bittre Thränen weinen, am dürren Fisch nagen, und
von der ganzen Erde an Gottes Richterstuhl appelliren?

Heute

auf junge Weibsperſonen, die hier Verwandte beſuchen,
oder Dienſte ſuchen wollen, oder von Kaufleuten verſchrie-
ben werden, theils auf junge unerfahrne Handwerksbur-
ſche lauern, die der Wege in der Stadt, der Wirthshaͤu-
ſer und der Sprache unkundig ſind, ſich nach ihren Be-
kannten erkundigen, und von dieſen Leuten in Haͤuſer ge-
lockt werden, wo der Wirth ihnen fuͤr jeden Kerl Geld
zahlt. Die Spitzbuben verſtehen ſich durch Zeichen, ſie
bieten den Fremden Hoͤflichkeiten an, noͤthigen ſie zum
Trinken und gehen dann fort, nehmen ihren Dukaten vom
Wirth, der nachher den Gefangenen nicht mehr fortlaͤßt,
und ihn aufs Schiff in die See hinausbringt, ehe der ar-
me Deutſche nur einen Weg finden kan, ſein Ungluͤck ir-
gend einem Menſchen zu klagen. Mit den Weibsperſo-
nen ziehen ſie zur Zeit der Kirmes aus einer Stadt in
die andre, uͤbergeben ſie einer Hurenwirthin, ziehen ih-
nen die praͤchtigſten Kleider an, geben ihnen Uhren, ſil-
berne Schnallen, ꝛc. ziehen ihnen das wieder vom Hu-
renlohn ab, zuletzt — — ach, vermuthlich ſtoſſen ſie
ſie aus, und uͤberlaſſen ſie dem aͤuſſerſten Elende. — Sel-
ten ſind Beiſpiele, daß Leute aus dieſen Klauen wieder
errettet worden. Sollten wir nicht, wir Gluͤcklichen und
Beguͤterten im Menſchengeſchlecht, wenn wir oft von Be-
luſtigungen, mit allem Guten auf Gottes Erde geſaͤttigt,
zuruͤckkommen, und im weichen Bett, fern von jedem
Ungluͤck und Kummer, Naͤchte durchſchlummern, ſollten
wir nicht alsdann die Gottheit auch fuͤr unſere ungluͤckli-
chen Bruͤder anrufen, die das Opfer der Bosheit und der
Gewinnſucht andrer werden muͤſſen, und um Mitternacht
in der traurigen Schiffskammer unter dem Bruͤllen des
Meers bittre Thraͤnen weinen, am duͤrren Fiſch nagen, und
von der ganzen Erde an Gottes Richterſtuhl appelliren?

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[546/0570] auf junge Weibsperſonen, die hier Verwandte beſuchen, oder Dienſte ſuchen wollen, oder von Kaufleuten verſchrie- ben werden, theils auf junge unerfahrne Handwerksbur- ſche lauern, die der Wege in der Stadt, der Wirthshaͤu- ſer und der Sprache unkundig ſind, ſich nach ihren Be- kannten erkundigen, und von dieſen Leuten in Haͤuſer ge- lockt werden, wo der Wirth ihnen fuͤr jeden Kerl Geld zahlt. Die Spitzbuben verſtehen ſich durch Zeichen, ſie bieten den Fremden Hoͤflichkeiten an, noͤthigen ſie zum Trinken und gehen dann fort, nehmen ihren Dukaten vom Wirth, der nachher den Gefangenen nicht mehr fortlaͤßt, und ihn aufs Schiff in die See hinausbringt, ehe der ar- me Deutſche nur einen Weg finden kan, ſein Ungluͤck ir- gend einem Menſchen zu klagen. Mit den Weibsperſo- nen ziehen ſie zur Zeit der Kirmes aus einer Stadt in die andre, uͤbergeben ſie einer Hurenwirthin, ziehen ih- nen die praͤchtigſten Kleider an, geben ihnen Uhren, ſil- berne Schnallen, ꝛc. ziehen ihnen das wieder vom Hu- renlohn ab, zuletzt — — ach, vermuthlich ſtoſſen ſie ſie aus, und uͤberlaſſen ſie dem aͤuſſerſten Elende. — Sel- ten ſind Beiſpiele, daß Leute aus dieſen Klauen wieder errettet worden. Sollten wir nicht, wir Gluͤcklichen und Beguͤterten im Menſchengeſchlecht, wenn wir oft von Be- luſtigungen, mit allem Guten auf Gottes Erde geſaͤttigt, zuruͤckkommen, und im weichen Bett, fern von jedem Ungluͤck und Kummer, Naͤchte durchſchlummern, ſollten wir nicht alsdann die Gottheit auch fuͤr unſere ungluͤckli- chen Bruͤder anrufen, die das Opfer der Bosheit und der Gewinnſucht andrer werden muͤſſen, und um Mitternacht in der traurigen Schiffskammer unter dem Bruͤllen des Meers bittre Thraͤnen weinen, am duͤrren Fiſch nagen, und von der ganzen Erde an Gottes Richterſtuhl appelliren? Heute

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 546. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/570>, abgerufen am 19.04.2024.