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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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Inwendig ist er prächtig meublirt. In dem einen Saa-
le ist ein Plafond, erst kürzlich von Oeser gemahlt, der
hier Professor bei der Churfürstl. Akademie der bildenden
Künste ist. In vielen Zimmern hängen vortrefliche
Kupferstiche, besonders Bildnisse, unter Glas. Auch
steht in einem eignen Zimmer eine herrliche Sammlung
von Dichtern, die das Glück des Landlebens besungen
haben, in prächtigen Bänden. Man geht durchs Ro-
senthal
dahin. Das ist ein ungemein reizendes Lust-
wäldchen, gleich vor dem einen Thore der Stadt. Die
Pleisse schleicht sehr angenehm hindurch. Tiefer im
Gehölze sind Alleen durchgehauen, in deren einer sich Goh-
lis
über der Pleisse drüben, herrlich präsentirt.

Den 18ten Aug.

Heute besuchte ich zuerst des Direktor Heinicken's
Institut zur Bildung der Stummen. Er ist eigentlich
ein Schulmeister aus Hamburg, der vom Pastor Gö-
tze
beschuldigt ward, er wolle durch seinen Unterricht die
Wunder Jesu zu Schanden machen. etc. Der Chur-
fürst bot ihm sein Land, -- weil er doch ein Sachse ist,
-- und 300. Thaler Gehalt an. Wie Hr. Heinicke
unterrichtet, läst er nicht sehen. Die Zöglinge lernen
durch Artikulation die Sprache, daher, sagt er, können
sie sie auch nicht vergessen, dahingegen, wer das Gehör
einbüßt, auch die Sprache verliert. Das sonderbarste
aber ist, daß sie auch hören. Man muß nur langsam,
laut und deutlich reden. Ein gewisser junger von Moh-
renschild
war sehr weit, las mir alle Residenzen von
Europa laut von der Tafel ab, las den Glauben vor,
schrieb was ich haben wolte, gab auf alles Acht, behielt

alles

Inwendig iſt er praͤchtig meublirt. In dem einen Saa-
le iſt ein Plafond, erſt kuͤrzlich von Oeſer gemahlt, der
hier Profeſſor bei der Churfuͤrſtl. Akademie der bildenden
Kuͤnſte iſt. In vielen Zimmern haͤngen vortrefliche
Kupferſtiche, beſonders Bildniſſe, unter Glas. Auch
ſteht in einem eignen Zimmer eine herrliche Sammlung
von Dichtern, die das Gluͤck des Landlebens beſungen
haben, in praͤchtigen Baͤnden. Man geht durchs Ro-
ſenthal
dahin. Das iſt ein ungemein reizendes Luſt-
waͤldchen, gleich vor dem einen Thore der Stadt. Die
Pleiſſe ſchleicht ſehr angenehm hindurch. Tiefer im
Gehoͤlze ſind Alleen durchgehauen, in deren einer ſich Goh-
lis
uͤber der Pleiſſe druͤben, herrlich praͤſentirt.

Den 18ten Aug.

Heute beſuchte ich zuerſt des Direktor Heinicken’s
Inſtitut zur Bildung der Stummen. Er iſt eigentlich
ein Schulmeiſter aus Hamburg, der vom Paſtor Goͤ-
tze
beſchuldigt ward, er wolle durch ſeinen Unterricht die
Wunder Jeſu zu Schanden machen. ꝛc. Der Chur-
fuͤrſt bot ihm ſein Land, — weil er doch ein Sachſe iſt,
— und 300. Thaler Gehalt an. Wie Hr. Heinicke
unterrichtet, laͤſt er nicht ſehen. Die Zoͤglinge lernen
durch Artikulation die Sprache, daher, ſagt er, koͤnnen
ſie ſie auch nicht vergeſſen, dahingegen, wer das Gehoͤr
einbuͤßt, auch die Sprache verliert. Das ſonderbarſte
aber iſt, daß ſie auch hoͤren. Man muß nur langſam,
laut und deutlich reden. Ein gewiſſer junger von Moh-
renſchild
war ſehr weit, las mir alle Reſidenzen von
Europa laut von der Tafel ab, las den Glauben vor,
ſchrieb was ich haben wolte, gab auf alles Acht, behielt

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[132/0170] Inwendig iſt er praͤchtig meublirt. In dem einen Saa- le iſt ein Plafond, erſt kuͤrzlich von Oeſer gemahlt, der hier Profeſſor bei der Churfuͤrſtl. Akademie der bildenden Kuͤnſte iſt. In vielen Zimmern haͤngen vortrefliche Kupferſtiche, beſonders Bildniſſe, unter Glas. Auch ſteht in einem eignen Zimmer eine herrliche Sammlung von Dichtern, die das Gluͤck des Landlebens beſungen haben, in praͤchtigen Baͤnden. Man geht durchs Ro- ſenthal dahin. Das iſt ein ungemein reizendes Luſt- waͤldchen, gleich vor dem einen Thore der Stadt. Die Pleiſſe ſchleicht ſehr angenehm hindurch. Tiefer im Gehoͤlze ſind Alleen durchgehauen, in deren einer ſich Goh- lis uͤber der Pleiſſe druͤben, herrlich praͤſentirt. Den 18ten Aug. Heute beſuchte ich zuerſt des Direktor Heinicken’s Inſtitut zur Bildung der Stummen. Er iſt eigentlich ein Schulmeiſter aus Hamburg, der vom Paſtor Goͤ- tze beſchuldigt ward, er wolle durch ſeinen Unterricht die Wunder Jeſu zu Schanden machen. ꝛc. Der Chur- fuͤrſt bot ihm ſein Land, — weil er doch ein Sachſe iſt, — und 300. Thaler Gehalt an. Wie Hr. Heinicke unterrichtet, laͤſt er nicht ſehen. Die Zoͤglinge lernen durch Artikulation die Sprache, daher, ſagt er, koͤnnen ſie ſie auch nicht vergeſſen, dahingegen, wer das Gehoͤr einbuͤßt, auch die Sprache verliert. Das ſonderbarſte aber iſt, daß ſie auch hoͤren. Man muß nur langſam, laut und deutlich reden. Ein gewiſſer junger von Moh- renſchild war ſehr weit, las mir alle Reſidenzen von Europa laut von der Tafel ab, las den Glauben vor, ſchrieb was ich haben wolte, gab auf alles Acht, behielt alles

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/170>, abgerufen am 29.03.2024.