Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

So sonderbar ist die Mischung des Despotismus und
der Freiheit in diesem Staate! Der gewesene Kanzler
lebt noch mit Figur von seinem ansehnlichen Vermögen,
kommt noch zur Königin nach Hofe etc. Er war zu
klein für den König, grübelte in Kleinigkeiten, war
nicht für das Weite und Grosse, das der König liebt,
hatte aber viele Jahre mit unveränderlicher Rechtschaffen-
heit erstaunend gearbeitet. Das Publikum wünschte ver-
gebens, daß ihm der König doch die Besoldung lassen
möchte. --

Nachmittags war ich in einer Versammlung der

Königl. Akademie der Wissenschaften. Sie
hat ein schönes Gebäude unter den Linden zu ihren Ver-
sammlungen, zu Aufbehaltung der Bibliothek, mathe-
matischer Instrumente, Kabinette etc. inne. Der Geh.
Rath Formey ist ihr beständiger Sekretär. Der Mini-
ster, Freiherr von Zedlitz, war auch als Mitglied zuge-
gen. Hr. Hofr. Gleditsch las erst eine kurze Beurthei-
lung eines Forstbuchs ab, das Jemand aus dem Lande
eingeschickt hatte, worin ein kostbares Instrument, den
Holzinhalt der Bäume zu bestimmen, vorgeschlagen war.
Prevot, der heute auf Befehl des Königs an Sulzers
Platz kam, las sein Antrittskompliment französisch vor,
worin er Sulzers Verlust bedauerte. Darauf dankte
ihm Formey, und sprach etwas von dem Karakter der wah-
ren Philosophen, Enseignez nous a douter, a igno-
rer,
sagte er, et apres avoir saisi ce point, nous
serons des philosophes.
Darauf las Prevot noch
eine Abhandlung über die Probabilität in den Wissen-
schaften vor, womit die Sitzung beschlossen ward. Hin-
ter dem Versammlungszimmer steht die Biblothek der

Akademie,

So ſonderbar iſt die Miſchung des Despotismus und
der Freiheit in dieſem Staate! Der geweſene Kanzler
lebt noch mit Figur von ſeinem anſehnlichen Vermoͤgen,
kommt noch zur Koͤnigin nach Hofe ꝛc. Er war zu
klein fuͤr den Koͤnig, gruͤbelte in Kleinigkeiten, war
nicht fuͤr das Weite und Groſſe, das der Koͤnig liebt,
hatte aber viele Jahre mit unveraͤnderlicher Rechtſchaffen-
heit erſtaunend gearbeitet. Das Publikum wuͤnſchte ver-
gebens, daß ihm der Koͤnig doch die Beſoldung laſſen
moͤchte. —

Nachmittags war ich in einer Verſammlung der

Koͤnigl. Akademie der Wiſſenſchaften. Sie
hat ein ſchoͤnes Gebaͤude unter den Linden zu ihren Ver-
ſammlungen, zu Aufbehaltung der Bibliothek, mathe-
matiſcher Inſtrumente, Kabinette ꝛc. inne. Der Geh.
Rath Formey iſt ihr beſtaͤndiger Sekretaͤr. Der Mini-
ſter, Freiherr von Zedlitz, war auch als Mitglied zuge-
gen. Hr. Hofr. Gleditſch las erſt eine kurze Beurthei-
lung eines Forſtbuchs ab, das Jemand aus dem Lande
eingeſchickt hatte, worin ein koſtbares Inſtrument, den
Holzinhalt der Baͤume zu beſtimmen, vorgeſchlagen war.
Prevot, der heute auf Befehl des Koͤnigs an Sulzers
Platz kam, las ſein Antrittskompliment franzoͤſiſch vor,
worin er Sulzers Verluſt bedauerte. Darauf dankte
ihm Formey, und ſprach etwas von dem Karakter der wah-
ren Philoſophen, Enſeignez nous à douter, à igno-
rer,
ſagte er, et après avoir ſaiſi ce point, nous
ſerons des philoſophes.
Darauf las Prevot noch
eine Abhandlung uͤber die Probabilitaͤt in den Wiſſen-
ſchaften vor, womit die Sitzung beſchloſſen ward. Hin-
ter dem Verſammlungszimmer ſteht die Biblothek der

Akademie,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0241" n="203"/>
So &#x017F;onderbar i&#x017F;t die Mi&#x017F;chung des Despotismus und<lb/>
der Freiheit in die&#x017F;em Staate! Der gewe&#x017F;ene Kanzler<lb/>
lebt noch mit Figur von &#x017F;einem an&#x017F;ehnlichen Vermo&#x0364;gen,<lb/>
kommt noch zur Ko&#x0364;nigin nach Hofe &#xA75B;c. Er war zu<lb/>
klein fu&#x0364;r den Ko&#x0364;nig, gru&#x0364;belte in Kleinigkeiten, war<lb/>
nicht fu&#x0364;r das Weite und Gro&#x017F;&#x017F;e, das der Ko&#x0364;nig liebt,<lb/>
hatte aber viele Jahre mit unvera&#x0364;nderlicher Recht&#x017F;chaffen-<lb/>
heit er&#x017F;taunend gearbeitet. Das Publikum wu&#x0364;n&#x017F;chte ver-<lb/>
gebens, daß ihm der Ko&#x0364;nig doch die Be&#x017F;oldung la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
mo&#x0364;chte. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Nachmittags war ich in einer Ver&#x017F;ammlung der</p><lb/>
            <p><hi rendition="#fr">Ko&#x0364;nigl. Akademie der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften.</hi> Sie<lb/>
hat ein &#x017F;cho&#x0364;nes Geba&#x0364;ude unter den <hi rendition="#fr">Linden</hi> zu ihren Ver-<lb/>
&#x017F;ammlungen, zu Aufbehaltung der Bibliothek, mathe-<lb/>
mati&#x017F;cher In&#x017F;trumente, Kabinette &#xA75B;c. inne. Der Geh.<lb/>
Rath <hi rendition="#fr">Formey</hi> i&#x017F;t ihr be&#x017F;ta&#x0364;ndiger Sekreta&#x0364;r. Der Mini-<lb/>
&#x017F;ter, Freiherr <hi rendition="#fr">von Zedlitz,</hi> war auch als Mitglied zuge-<lb/>
gen. Hr. Hofr. <hi rendition="#fr">Gledit&#x017F;ch</hi> las er&#x017F;t eine kurze Beurthei-<lb/>
lung eines For&#x017F;tbuchs ab, das Jemand aus dem Lande<lb/>
einge&#x017F;chickt hatte, worin ein ko&#x017F;tbares In&#x017F;trument, den<lb/>
Holzinhalt der Ba&#x0364;ume zu be&#x017F;timmen, vorge&#x017F;chlagen war.<lb/><hi rendition="#fr">Prevot,</hi> der heute auf Befehl des Ko&#x0364;nigs an <hi rendition="#fr">Sulzers</hi><lb/>
Platz kam, las &#x017F;ein Antrittskompliment franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;ch vor,<lb/>
worin er <hi rendition="#fr">Sulzers</hi> Verlu&#x017F;t bedauerte. Darauf dankte<lb/>
ihm <hi rendition="#fr">Formey,</hi> und &#x017F;prach etwas von dem Karakter der wah-<lb/>
ren Philo&#x017F;ophen, <hi rendition="#aq">En&#x017F;eignez nous à douter, à igno-<lb/>
rer,</hi> &#x017F;agte er, <hi rendition="#aq">et après avoir &#x017F;ai&#x017F;i ce point, nous<lb/>
&#x017F;erons des philo&#x017F;ophes.</hi> Darauf las <hi rendition="#fr">Prevot</hi> noch<lb/>
eine Abhandlung u&#x0364;ber die Probabilita&#x0364;t in den Wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaften vor, womit die Sitzung be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en ward. Hin-<lb/>
ter dem Ver&#x017F;ammlungszimmer &#x017F;teht die Biblothek der<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Akademie,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[203/0241] So ſonderbar iſt die Miſchung des Despotismus und der Freiheit in dieſem Staate! Der geweſene Kanzler lebt noch mit Figur von ſeinem anſehnlichen Vermoͤgen, kommt noch zur Koͤnigin nach Hofe ꝛc. Er war zu klein fuͤr den Koͤnig, gruͤbelte in Kleinigkeiten, war nicht fuͤr das Weite und Groſſe, das der Koͤnig liebt, hatte aber viele Jahre mit unveraͤnderlicher Rechtſchaffen- heit erſtaunend gearbeitet. Das Publikum wuͤnſchte ver- gebens, daß ihm der Koͤnig doch die Beſoldung laſſen moͤchte. — Nachmittags war ich in einer Verſammlung der Koͤnigl. Akademie der Wiſſenſchaften. Sie hat ein ſchoͤnes Gebaͤude unter den Linden zu ihren Ver- ſammlungen, zu Aufbehaltung der Bibliothek, mathe- matiſcher Inſtrumente, Kabinette ꝛc. inne. Der Geh. Rath Formey iſt ihr beſtaͤndiger Sekretaͤr. Der Mini- ſter, Freiherr von Zedlitz, war auch als Mitglied zuge- gen. Hr. Hofr. Gleditſch las erſt eine kurze Beurthei- lung eines Forſtbuchs ab, das Jemand aus dem Lande eingeſchickt hatte, worin ein koſtbares Inſtrument, den Holzinhalt der Baͤume zu beſtimmen, vorgeſchlagen war. Prevot, der heute auf Befehl des Koͤnigs an Sulzers Platz kam, las ſein Antrittskompliment franzoͤſiſch vor, worin er Sulzers Verluſt bedauerte. Darauf dankte ihm Formey, und ſprach etwas von dem Karakter der wah- ren Philoſophen, Enſeignez nous à douter, à igno- rer, ſagte er, et après avoir ſaiſi ce point, nous ſerons des philoſophes. Darauf las Prevot noch eine Abhandlung uͤber die Probabilitaͤt in den Wiſſen- ſchaften vor, womit die Sitzung beſchloſſen ward. Hin- ter dem Verſammlungszimmer ſteht die Biblothek der Akademie,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/241
Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/241>, abgerufen am 24.04.2024.