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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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"einem guten Styl hinreissend, belehrend und
"überzeugend."

Er hörte in Sachsen eine elende Predigt,
voll schematischen Unsinns und homiletischen
Geschwätzes, und noch obendrein mit der ein-
schläferndsten Monotonie hergeleyert, aber an-
statt darüber zu spötteln, und seinen Witz zu zei-
gen, klagt' er mirs mit einer Art von Wehmuth,
die mich ganz für ihn einnahm. "Wie sehr,"
sagt' er," ist die arme Gemeinde zu beklagen, die
"sich mit so ungesunder und ungenießbarer Kost
"abspeisen lassen muß!"

Auch auf seinem Sterbebette verleugnete er
seinen ofnen und rechtschaffenen Charakter nicht.
Als ihn sein bekümmerter Vater fragte: ob er
zum Sterben willig sey?
antwortete er: Ich
lerne alle Tage an dieser Lection.
Wenig
Tage vor seinem Tode dictirte er seiner Jungfer
Schwester folgenden Brief an seine Braut:

Liebe Gute!

"Wir haben das viele empfangen, das Sie
"uns geschicket haben. Wie schwach und matt

"ich

„einem guten Styl hinreiſſend, belehrend und
„uͤberzeugend.“

Er hoͤrte in Sachſen eine elende Predigt,
voll ſchematiſchen Unſinns und homiletiſchen
Geſchwaͤtzes, und noch obendrein mit der ein-
ſchlaͤferndſten Monotonie hergeleyert, aber an-
ſtatt daruͤber zu ſpoͤtteln, und ſeinen Witz zu zei-
gen, klagt’ er mirs mit einer Art von Wehmuth,
die mich ganz fuͤr ihn einnahm. „Wie ſehr,“
ſagt’ er,“ iſt die arme Gemeinde zu beklagen, die
„ſich mit ſo ungeſunder und ungenießbarer Koſt
„abſpeiſen laſſen muß!“

Auch auf ſeinem Sterbebette verleugnete er
ſeinen ofnen und rechtſchaffenen Charakter nicht.
Als ihn ſein bekuͤmmerter Vater fragte: ob er
zum Sterben willig ſey?
antwortete er: Ich
lerne alle Tage an dieſer Lection.
Wenig
Tage vor ſeinem Tode dictirte er ſeiner Jungfer
Schweſter folgenden Brief an ſeine Braut:

Liebe Gute!

„Wir haben das viele empfangen, das Sie
„uns geſchicket haben. Wie ſchwach und matt

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[XXX/0036] „einem guten Styl hinreiſſend, belehrend und „uͤberzeugend.“ Er hoͤrte in Sachſen eine elende Predigt, voll ſchematiſchen Unſinns und homiletiſchen Geſchwaͤtzes, und noch obendrein mit der ein- ſchlaͤferndſten Monotonie hergeleyert, aber an- ſtatt daruͤber zu ſpoͤtteln, und ſeinen Witz zu zei- gen, klagt’ er mirs mit einer Art von Wehmuth, die mich ganz fuͤr ihn einnahm. „Wie ſehr,“ ſagt’ er,“ iſt die arme Gemeinde zu beklagen, die „ſich mit ſo ungeſunder und ungenießbarer Koſt „abſpeiſen laſſen muß!“ Auch auf ſeinem Sterbebette verleugnete er ſeinen ofnen und rechtſchaffenen Charakter nicht. Als ihn ſein bekuͤmmerter Vater fragte: ob er zum Sterben willig ſey? antwortete er: Ich lerne alle Tage an dieſer Lection. Wenig Tage vor ſeinem Tode dictirte er ſeiner Jungfer Schweſter folgenden Brief an ſeine Braut: Liebe Gute! „Wir haben das viele empfangen, das Sie „uns geſchicket haben. Wie ſchwach und matt „ich

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. XXX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/36>, abgerufen am 29.03.2024.