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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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thüre, sind gar keine Seltenheit. Ich sprach mit Ei-
nem, der sich für einen Riesen sehen lassen konnte, aber
schöne Proportion hatte, und solche Waden und Füsse,
daß er sich, wie er versicherte, seine Strümpfe immer be-
stellen müßte. -- Die Fuhrleute, die jetzt so viel Bran-
dewein trinken, gehören nicht hieher. -- Dabei sind sie
höflich und viel gesitteter als Schwabenbauern. Sie
ziehen vor jedem Fremden den Hut ab. Ich sah Kin-
der, die nach dem Tischgebet dem Vater die Hand küß-
ten. Sie tragen grüne Hüte, die im Lande gemacht
werden von grünem Filz und mit grünseidenen Bändern
über und über besetzt, alle ohne Krempe. Dabei tragen
sie Gürtel, wo das Leder mit Silber beschlagen ist. Sonn-
tags laufen sie weit her nach einer Messe, und saufen zwi-
schen der Messe und dem Hochamt etc. *) In jedem
Thal von Tyrol ist andre Kleidung, Sprache, Sitte etc.

In den Wirthshäusern ist Kaiserl. Taxordnung
von Eßwaaren, Heu etc. angeschlagen. Heute trank ich

auch
*) Ehemals hatten die Tyroler mehr Freiheiten. Unter
Kaiser Karl VI. aber fing ein Minister Sinzendorf
an, die Mauth und andre Auflagen einzuführen.
Ein Bürgermeister Gunner wehrte sich männlich wi-
der den Hof, er ward nach Wien berufen, der Mi-
nister begegnete ihm sehr spröde, und sagte endlich:
"Man wird euch eben Böhmische Hosen anziehen
müssen." Geschwind antwortete der Tyroler: "Nein,
"Ihro Excellenz, in dem Fall stünden uns die Schwei-
"zerhosen besser an." Aber einer seiner eignen Ver-
wandten oder Söhne half nachher das Land seiner
Freiheiten berauben, er durfte sich aber nicht öffent-
lich sehen lassen, er wäre todtgeschlagen worden.

thuͤre, ſind gar keine Seltenheit. Ich ſprach mit Ei-
nem, der ſich fuͤr einen Rieſen ſehen laſſen konnte, aber
ſchoͤne Proportion hatte, und ſolche Waden und Fuͤſſe,
daß er ſich, wie er verſicherte, ſeine Struͤmpfe immer be-
ſtellen muͤßte. — Die Fuhrleute, die jetzt ſo viel Bran-
dewein trinken, gehoͤren nicht hieher. — Dabei ſind ſie
hoͤflich und viel geſitteter als Schwabenbauern. Sie
ziehen vor jedem Fremden den Hut ab. Ich ſah Kin-
der, die nach dem Tiſchgebet dem Vater die Hand kuͤß-
ten. Sie tragen gruͤne Huͤte, die im Lande gemacht
werden von gruͤnem Filz und mit gruͤnſeidenen Baͤndern
uͤber und uͤber beſetzt, alle ohne Krempe. Dabei tragen
ſie Guͤrtel, wo das Leder mit Silber beſchlagen iſt. Sonn-
tags laufen ſie weit her nach einer Meſſe, und ſaufen zwi-
ſchen der Meſſe und dem Hochamt ꝛc. *) In jedem
Thal von Tyrol iſt andre Kleidung, Sprache, Sitte ꝛc.

In den Wirthshaͤuſern iſt Kaiſerl. Taxordnung
von Eßwaaren, Heu ꝛc. angeſchlagen. Heute trank ich

auch
*) Ehemals hatten die Tyroler mehr Freiheiten. Unter
Kaiſer Karl VI. aber fing ein Miniſter Sinzendorf
an, die Mauth und andre Auflagen einzufuͤhren.
Ein Buͤrgermeiſter Gunner wehrte ſich maͤnnlich wi-
der den Hof, er ward nach Wien berufen, der Mi-
niſter begegnete ihm ſehr ſproͤde, und ſagte endlich:
„Man wird euch eben Boͤhmiſche Hoſen anziehen
muͤſſen.“ Geſchwind antwortete der Tyroler: „Nein,
„Ihro Excellenz, in dem Fall ſtuͤnden uns die Schwei-
„zerhoſen beſſer an.“ Aber einer ſeiner eignen Ver-
wandten oder Soͤhne half nachher das Land ſeiner
Freiheiten berauben, er durfte ſich aber nicht oͤffent-
lich ſehen laſſen, er waͤre todtgeſchlagen worden.
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[436/0474] thuͤre, ſind gar keine Seltenheit. Ich ſprach mit Ei- nem, der ſich fuͤr einen Rieſen ſehen laſſen konnte, aber ſchoͤne Proportion hatte, und ſolche Waden und Fuͤſſe, daß er ſich, wie er verſicherte, ſeine Struͤmpfe immer be- ſtellen muͤßte. — Die Fuhrleute, die jetzt ſo viel Bran- dewein trinken, gehoͤren nicht hieher. — Dabei ſind ſie hoͤflich und viel geſitteter als Schwabenbauern. Sie ziehen vor jedem Fremden den Hut ab. Ich ſah Kin- der, die nach dem Tiſchgebet dem Vater die Hand kuͤß- ten. Sie tragen gruͤne Huͤte, die im Lande gemacht werden von gruͤnem Filz und mit gruͤnſeidenen Baͤndern uͤber und uͤber beſetzt, alle ohne Krempe. Dabei tragen ſie Guͤrtel, wo das Leder mit Silber beſchlagen iſt. Sonn- tags laufen ſie weit her nach einer Meſſe, und ſaufen zwi- ſchen der Meſſe und dem Hochamt ꝛc. *) In jedem Thal von Tyrol iſt andre Kleidung, Sprache, Sitte ꝛc. In den Wirthshaͤuſern iſt Kaiſerl. Taxordnung von Eßwaaren, Heu ꝛc. angeſchlagen. Heute trank ich auch *) Ehemals hatten die Tyroler mehr Freiheiten. Unter Kaiſer Karl VI. aber fing ein Miniſter Sinzendorf an, die Mauth und andre Auflagen einzufuͤhren. Ein Buͤrgermeiſter Gunner wehrte ſich maͤnnlich wi- der den Hof, er ward nach Wien berufen, der Mi- niſter begegnete ihm ſehr ſproͤde, und ſagte endlich: „Man wird euch eben Boͤhmiſche Hoſen anziehen muͤſſen.“ Geſchwind antwortete der Tyroler: „Nein, „Ihro Excellenz, in dem Fall ſtuͤnden uns die Schwei- „zerhoſen beſſer an.“ Aber einer ſeiner eignen Ver- wandten oder Soͤhne half nachher das Land ſeiner Freiheiten berauben, er durfte ſich aber nicht oͤffent- lich ſehen laſſen, er waͤre todtgeſchlagen worden.

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/474>, abgerufen am 25.04.2024.