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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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Wenn ich mit dem Wiener Getümmel den Lärm
auf den Pariser Strassen vergleiche, so bemerke ich zum
Ruhm der hiesigen Einwohner, daß das schreckliche Schwö-
ren und Fluchen nicht Mode ist. Man hört es auch
von Kutschern und Stallknechten hier nicht. Wenn
man lange zum Fenster hinaussieht, hört man auch im
Gedränge selten eine unanständige Rede. Ueberhaupt
geht jeder still seinen deutschen Gang weg, und man tril-
lert nicht beständig, wie die Franzosen. Wo nicht ge-
fahren wird, da ist auch da, wo viele Kramladen stehen,
fast gar kein Getümmel. Das ist der Unterschied des
Karakters in der Nation.

Die Grossen und Reichen, die gar kein Amt und
keine Geschäfte haben, wollen fast vor Langerweile
sterben, wenn sie nicht des Wetters wegen um 12. Uhr
herumlaufen können, und können den Abend kaum erwar-
ten, wo das ewige Spiel die Zeit tödtet. Als es hies,
daß die Hazardspiele wieder erlaubt werden sollten,
freuten sich schon viele Leute darauf, und vertheidigten sie
damit, "das Geld bleibe ja im Staat, es gehe nur aus
"einer Hand in die andre etc."

Wirthe, die für das Recht, ein Kaffeehaus zu
halten, viel an die Obrigkeit und viel an den Eigenthü-
mer des Hauses bezahlen müssen, werden doch reich, wenn
sie unten 2-3. Billards, und oben Lombertische halten.
Die Billards stehn meist Tag und Nacht nicht leer. Am
Tage kostet die Parthie 4, Nachts 7. Kreuzer, daher
man ein Billard des Tags leicht auf 15. Gulden rechnen
kan. -- Es sind Häuser in der Stadt von der Art, wo
den ganzen Tag durch kein Mensch hingeht, aber Nachts
um 10. Uhr fängt das Spiel an. Erstaunend ists, was

mancher,

Wenn ich mit dem Wiener Getuͤmmel den Laͤrm
auf den Pariſer Straſſen vergleiche, ſo bemerke ich zum
Ruhm der hieſigen Einwohner, daß das ſchreckliche Schwoͤ-
ren und Fluchen nicht Mode iſt. Man hoͤrt es auch
von Kutſchern und Stallknechten hier nicht. Wenn
man lange zum Fenſter hinausſieht, hoͤrt man auch im
Gedraͤnge ſelten eine unanſtaͤndige Rede. Ueberhaupt
geht jeder ſtill ſeinen deutſchen Gang weg, und man tril-
lert nicht beſtaͤndig, wie die Franzoſen. Wo nicht ge-
fahren wird, da iſt auch da, wo viele Kramladen ſtehen,
faſt gar kein Getuͤmmel. Das iſt der Unterſchied des
Karakters in der Nation.

Die Groſſen und Reichen, die gar kein Amt und
keine Geſchaͤfte haben, wollen faſt vor Langerweile
ſterben, wenn ſie nicht des Wetters wegen um 12. Uhr
herumlaufen koͤnnen, und koͤnnen den Abend kaum erwar-
ten, wo das ewige Spiel die Zeit toͤdtet. Als es hies,
daß die Hazardſpiele wieder erlaubt werden ſollten,
freuten ſich ſchon viele Leute darauf, und vertheidigten ſie
damit, „das Geld bleibe ja im Staat, es gehe nur aus
„einer Hand in die andre ꝛc.“

Wirthe, die fuͤr das Recht, ein Kaffeehaus zu
halten, viel an die Obrigkeit und viel an den Eigenthuͤ-
mer des Hauſes bezahlen muͤſſen, werden doch reich, wenn
ſie unten 2-3. Billards, und oben Lombertiſche halten.
Die Billards ſtehn meiſt Tag und Nacht nicht leer. Am
Tage koſtet die Parthie 4, Nachts 7. Kreuzer, daher
man ein Billard des Tags leicht auf 15. Gulden rechnen
kan. — Es ſind Haͤuſer in der Stadt von der Art, wo
den ganzen Tag durch kein Menſch hingeht, aber Nachts
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mancher,
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[528/0566] Wenn ich mit dem Wiener Getuͤmmel den Laͤrm auf den Pariſer Straſſen vergleiche, ſo bemerke ich zum Ruhm der hieſigen Einwohner, daß das ſchreckliche Schwoͤ- ren und Fluchen nicht Mode iſt. Man hoͤrt es auch von Kutſchern und Stallknechten hier nicht. Wenn man lange zum Fenſter hinausſieht, hoͤrt man auch im Gedraͤnge ſelten eine unanſtaͤndige Rede. Ueberhaupt geht jeder ſtill ſeinen deutſchen Gang weg, und man tril- lert nicht beſtaͤndig, wie die Franzoſen. Wo nicht ge- fahren wird, da iſt auch da, wo viele Kramladen ſtehen, faſt gar kein Getuͤmmel. Das iſt der Unterſchied des Karakters in der Nation. Die Groſſen und Reichen, die gar kein Amt und keine Geſchaͤfte haben, wollen faſt vor Langerweile ſterben, wenn ſie nicht des Wetters wegen um 12. Uhr herumlaufen koͤnnen, und koͤnnen den Abend kaum erwar- ten, wo das ewige Spiel die Zeit toͤdtet. Als es hies, daß die Hazardſpiele wieder erlaubt werden ſollten, freuten ſich ſchon viele Leute darauf, und vertheidigten ſie damit, „das Geld bleibe ja im Staat, es gehe nur aus „einer Hand in die andre ꝛc.“ Wirthe, die fuͤr das Recht, ein Kaffeehaus zu halten, viel an die Obrigkeit und viel an den Eigenthuͤ- mer des Hauſes bezahlen muͤſſen, werden doch reich, wenn ſie unten 2-3. Billards, und oben Lombertiſche halten. Die Billards ſtehn meiſt Tag und Nacht nicht leer. Am Tage koſtet die Parthie 4, Nachts 7. Kreuzer, daher man ein Billard des Tags leicht auf 15. Gulden rechnen kan. — Es ſind Haͤuſer in der Stadt von der Art, wo den ganzen Tag durch kein Menſch hingeht, aber Nachts um 10. Uhr faͤngt das Spiel an. Erſtaunend iſts, was mancher,

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/566>, abgerufen am 28.03.2024.