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Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 2,1. Nürnberg, 1679.

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[Spaltenumbruch] ausserhalb den Clöstern lebenden Personen/ die alle ihre Vornehmungen dem höchsten Gott widmen und zueignen. Ferner wird sie auch gewidmet zu Public- und Privat-Gebäuen/ wie auch zu Sepulturen und Begräbnüssen: Wann nur die besagte Personen/ den zu Ehren dieser Bau geschiehet/ eines Erbaren Tugendlichen Wandels gewesen. Diese Art Colonnen ist mehr mit Zieraden versehen/ als die andere vorgedachte/ iedoch sonsten der Ionica nicht ungleich. Wann nun die Base und das Capitel darzu gerechnet werden/ so ist deren Länge neun und ein und ein halber Schuh. Werden sie dann hohlgekeelet/ so sollen deren 24. seyn und die halbe Breite in der Tieffe haben. Das Spatium von einer Hohl-keele zur andern/ soll den dritten Theil/ der Architrave aber fregio und Cornice,einen Fünfftentheil der Colonnen Höhe halten.

Und Abtheilung. Zwischen der gemeinen Seulen-Reye soll zweyer Diametern Spatium gehalten werden/ wie zusehen an dem Portico di S. Maria Ritonda in Rom. Im Spacio der Bögen aber sollen die Pilastri zwey Fünfftheil des Liechts vom Bogen haben/ und der Bogen im Liecht zwey und ein halb qvart hoch/ des Bogens dicke mitgenommen.

5. Composita, die Gemengte.Die Fünffte Art wird bey den Architectonicis Composita, auch wol die Latino, oder Romanische genannt. Und ob wol Vitruvius selbige nicht beschrieben/ weil er sie für etwas zu frech und leicht gehalten/ als welche mehr tauglich/ unformliche Monstra, als Menschen/ auszubilden/ so soll doch allhier etwas davon gemeldet werden/ weil die alte Römer sich dero zu Triumphbögen bedienet/ denen auch unsere heutige Werck-Künstler Mich. Angelo hat dieser Arte viel Wercke hinterlassen. nachfolgen. Solches ist abzunehmen aus den hinterlassenen Stucken von Michael Angelo[Spaltenumbruch] Buonarotti, in der Florentinischen Sacristey/ und Bibliothec bey S. Lorenzo, allwo die Porten/ Tabernackel/ Gesimse/ Seulen/ Bögen und Tafeln/ ja alles/ auf diese neue Weiß/ und zum zierlichsten aufgeführet sind. Also und noch viel künstlicher hat er solche erwiesen an dem Farnesischen Palazzo, und an dessen Cornice, auf welchem der gantze Farnesische Bau nötig ruhet.

Austheilung. Damit ich aber bey dem vorgenommenen Zweck bleibe/ welcher ist/ daß man auch die Manier und Weise dieses Baues allhier lerne/ so ist die Maß dieser Colonne, der Corinthia in allen Theilen fast gleich: Nur in dem Capitell und Postement ist etwas unterscheid/ nemlich daß die Frise des Postaments der Composita 9. Zoll/ 7. Linien/ 2. Punct/ und die Base 19. Zoll hat; bleiben also dem Würffel 4. Schuh/ 3. Zoll/ 4. Linien/ 8. Puncten/ das Capitell ist aus Ionica und Corinthia genommen.

6. Gothica, die Gothische.Noch ist eine und die sechste Art/ Gothica genannt/ welche von den Alten/ nach Verlust der Baukunst/ an Geschickligkeit und Verstand sehr weit abgewichen/ weil sie keine richtige Ordnung/ Proportion und Maß beobachtet/ und eben so Ist ungeschickt und hält keine Proportion. bald unter das Haupt Thor/ auf welchem der gröste Last liget/ kleine schmale Seulen/ hingegen in einem Lustgarten/ zu geringern Portalen/ Centner schwere Maststücke setzet. Ja sie behänget die Seulen/ mit allerley Früchten/ oder Laubwerck bald so dick und häuffig/ als ob ein gantzes Weingebirg darauf gebauet wäre; bald aber so zart/ subtil und wenig/ als wann es kleine ausgeschnittene Kartenblätlein wären. In diesem Irrgarten haben unsere alte Teutsche lang und viel gewallet/ und solches für eine Zier gehalten: Wie dann fast alle alte Gebäue/ auch die fürnemste/ mit dergleichen Unordnung erfüllet sind.

Das X. Capittel.
Von der Bau-Richtigkeit.

Innhalt.

Examen eines vollkommenen Baues: Dessen Ort/ Grund/ Austheilung/ Dicke und Höhe. Vorbild eines vollkommenen Baues: Der soll einem wol proportionirten Menschen gleich sehen. Das Auswendige: Das Thor und die Porte/ die Fenster und Zieraden/ der Dachstuhl. Das Innwendige/ der Vorhoff und Hoff/ die Stiegen. Correspondenz der Gemächer. Von Diminution der Mauren und deren Abtheilung. Wie die Angulen/ oder Eckmauren einzurichten.

[Spaltenumbruch]

ICh würde mich in eine sonderbare Weite einlassen/ wann ich von allen absonderlichen Sachen/ so der Architectur, oder Baukunst zugehörig/ reden wolte. Demnach will ich zugegen allein beybringen/ wie und worinn ein vollkommener Bau zuerkennen/ und was zu einem schönen und nutzlichen Gebäue gehörig sey. Wann man nun von einem Bau urtheilen[Spaltenumbruch] will/ ob er von einem Kunstreichen und vollkommenen Meister geführet worden/ und ob der seinem vernünfftigen Bauherrn ein Gnügen geleistet/ so sind dabey folgende Stuck zuerwegen:

Examen eines vollkommenen Baues. Erstlich/ ob er den Ort wol ausgesehen/ und abgemessen/ daß er ihn fähig und weit genug habe/ seinen Bau dahin zu bringen? Ferner ob er den Grund und dessen Güte in acht genommen? Wiederum/ ob er nicht geirret/ in Austheilung der Gemächer und Zimmer? ob er in acht gezogen/ was

[Spaltenumbruch] ausserhalb den Clöstern lebenden Personen/ die alle ihre Vornehmungen dem höchsten Gott widmen und zueignen. Ferner wird sie auch gewidmet zu Public- und Privat-Gebäuen/ wie auch zu Sepulturen und Begräbnüssen: Wann nur die besagte Personen/ den zu Ehren dieser Bau geschiehet/ eines Erbaren Tugendlichen Wandels gewesen. Diese Art Colonnen ist mehr mit Zieraden versehen/ als die andere vorgedachte/ iedoch sonsten der Ionica nicht ungleich. Wann nun die Base und das Capitel darzu gerechnet werden/ so ist deren Länge neun und ein und ein halber Schuh. Werden sie dann hohlgekeelet/ so sollen deren 24. seyn und die halbe Breite in der Tieffe haben. Das Spatium von einer Hohl-keele zur andern/ soll den dritten Theil/ der Architrave aber fregio und Cornice,einen Fünfftentheil der Colonnen Höhe halten.

Und Abtheilung. Zwischen der gemeinen Seulen-Reye soll zweyer Diametern Spatium gehalten werden/ wie zusehen an dem Portico di S. Maria Ritonda in Rom. Im Spacio der Bögen aber sollen die Pilastri zwey Fünfftheil des Liechts vom Bogen haben/ und der Bogen im Liecht zwey und ein halb qvart hoch/ des Bogens dicke mitgenommen.

5. Composita, die Gemengte.Die Fünffte Art wird bey den Architectonicis Composita, auch wol die Latino, oder Romanische genannt. Und ob wol Vitruvius selbige nicht beschrieben/ weil er sie für etwas zu frech und leicht gehalten/ als welche mehr tauglich/ unformliche Monstra, als Menschen/ auszubilden/ so soll doch allhier etwas davon gemeldet werden/ weil die alte Römer sich dero zu Triumphbögen bedienet/ denen auch unsere heutige Werck-Künstler Mich. Angelo hat dieser Arte viel Wercke hinterlassen. nachfolgen. Solches ist abzunehmen aus den hinterlassenen Stucken von Michael Angelo[Spaltenumbruch] Buonarotti, in der Florentinischen Sacristey/ und Bibliothec bey S. Lorenzo, allwo die Porten/ Tabernackel/ Gesimse/ Seulen/ Bögen und Tafeln/ ja alles/ auf diese neue Weiß/ und zum zierlichsten aufgeführet sind. Also und noch viel künstlicher hat er solche erwiesen an dem Farnesischen Palazzo, und an dessen Cornice, auf welchem der gantze Farnesische Bau nötig ruhet.

Austheilung. Damit ich aber bey dem vorgenommenen Zweck bleibe/ welcher ist/ daß man auch die Manier und Weise dieses Baues allhier lerne/ so ist die Maß dieser Colonne, der Corinthia in allen Theilen fast gleich: Nur in dem Capitell und Postement ist etwas unterscheid/ nemlich daß die Frise des Postaments der Composita 9. Zoll/ 7. Linien/ 2. Punct/ und die Base 19. Zoll hat; bleiben also dem Würffel 4. Schuh/ 3. Zoll/ 4. Linien/ 8. Puncten/ das Capitell ist aus Ionica und Corinthia genommen.

6. Gothica, die Gothische.Noch ist eine und die sechste Art/ Gothica genannt/ welche von den Alten/ nach Verlust der Baukunst/ an Geschickligkeit und Verstand sehr weit abgewichen/ weil sie keine richtige Ordnung/ Proportion und Maß beobachtet/ und eben so Ist ungeschickt und hält keine Proportion. bald unter das Haupt Thor/ auf welchem der gröste Last liget/ kleine schmale Seulen/ hingegen in einem Lustgarten/ zu geringern Portalen/ Centner schwere Maststücke setzet. Ja sie behänget die Seulen/ mit allerley Früchten/ oder Laubwerck bald so dick und häuffig/ als ob ein gantzes Weingebirg darauf gebauet wäre; bald aber so zart/ subtil und wenig/ als wann es kleine ausgeschnittene Kartenblätlein wären. In diesem Irrgarten haben unsere alte Teutsche lang und viel gewallet/ und solches für eine Zier gehalten: Wie dann fast alle alte Gebäue/ auch die fürnemste/ mit dergleichen Unordnung erfüllet sind.

Das X. Capittel.
Von der Bau-Richtigkeit.

Innhalt.

Examen eines vollkommenen Baues: Dessen Ort/ Grund/ Austheilung/ Dicke und Höhe. Vorbild eines vollkommenen Baues: Der soll einem wol proportionirten Menschen gleich sehen. Das Auswendige: Das Thor und die Porte/ die Fenster und Zieraden/ der Dachstuhl. Das Innwendige/ der Vorhoff und Hoff/ die Stiegen. Correspondenz der Gemächer. Von Diminution der Mauren und deren Abtheilung. Wie die Angulen/ oder Eckmauren einzurichten.

[Spaltenumbruch]

ICh würde mich in eine sonderbare Weite einlassen/ wann ich von allen absonderlichen Sachen/ so der Architectur, oder Baukunst zugehörig/ reden wolte. Demnach will ich zugegen allein beybringen/ wie und worinn ein vollkommener Bau zuerkennen/ und was zu einem schönen und nutzlichen Gebäue gehörig sey. Wann man nun von einem Bau urtheilen[Spaltenumbruch] will/ ob er von einem Kunstreichen und vollkommenen Meister geführet worden/ und ob der seinem vernünfftigen Bauherrn ein Gnügen geleistet/ so sind dabey folgende Stuck zuerwegen:

Examen eines vollkommenen Baues. Erstlich/ ob er den Ort wol ausgesehen/ und abgemessen/ daß er ihn fähig und weit genug habe/ seinen Bau dahin zu bringen? Ferner ob er den Grund und dessen Güte in acht genommen? Wiederum/ ob er nicht geirret/ in Austheilung der Gemächer und Zimmer? ob er in acht gezogen/ was

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[[I (Architektur), S. 12]/0209] ausserhalb den Clöstern lebenden Personen/ die alle ihre Vornehmungen dem höchsten Gott widmen und zueignen. Ferner wird sie auch gewidmet zu Public- und Privat-Gebäuen/ wie auch zu Sepulturen und Begräbnüssen: Wann nur die besagte Personen/ den zu Ehren dieser Bau geschiehet/ eines Erbaren Tugendlichen Wandels gewesen. Diese Art Colonnen ist mehr mit Zieraden versehen/ als die andere vorgedachte/ iedoch sonsten der Ionica nicht ungleich. Wann nun die Base und das Capitel darzu gerechnet werden/ so ist deren Länge neun und ein und ein halber Schuh. Werden sie dann hohlgekeelet/ so sollen deren 24. seyn und die halbe Breite in der Tieffe haben. Das Spatium von einer Hohl-keele zur andern/ soll den dritten Theil/ der Architrave aber fregio und Cornice,einen Fünfftentheil der Colonnen Höhe halten. Zwischen der gemeinen Seulen-Reye soll zweyer Diametern Spatium gehalten werden/ wie zusehen an dem Portico di S. Maria Ritonda in Rom. Im Spacio der Bögen aber sollen die Pilastri zwey Fünfftheil des Liechts vom Bogen haben/ und der Bogen im Liecht zwey und ein halb qvart hoch/ des Bogens dicke mitgenommen. Und Abtheilung.Die Fünffte Art wird bey den Architectonicis Composita, auch wol die Latino, oder Romanische genannt. Und ob wol Vitruvius selbige nicht beschrieben/ weil er sie für etwas zu frech und leicht gehalten/ als welche mehr tauglich/ unformliche Monstra, als Menschen/ auszubilden/ so soll doch allhier etwas davon gemeldet werden/ weil die alte Römer sich dero zu Triumphbögen bedienet/ denen auch unsere heutige Werck-Künstler nachfolgen. Solches ist abzunehmen aus den hinterlassenen Stucken von Michael Angelo Buonarotti, in der Florentinischen Sacristey/ und Bibliothec bey S. Lorenzo, allwo die Porten/ Tabernackel/ Gesimse/ Seulen/ Bögen und Tafeln/ ja alles/ auf diese neue Weiß/ und zum zierlichsten aufgeführet sind. Also und noch viel künstlicher hat er solche erwiesen an dem Farnesischen Palazzo, und an dessen Cornice, auf welchem der gantze Farnesische Bau nötig ruhet. 5. Composita, die Gemengte. Mich. Angelo hat dieser Arte viel Wercke hinterlassen. Damit ich aber bey dem vorgenommenen Zweck bleibe/ welcher ist/ daß man auch die Manier und Weise dieses Baues allhier lerne/ so ist die Maß dieser Colonne, der Corinthia in allen Theilen fast gleich: Nur in dem Capitell und Postement ist etwas unterscheid/ nemlich daß die Frise des Postaments der Composita 9. Zoll/ 7. Linien/ 2. Punct/ und die Base 19. Zoll hat; bleiben also dem Würffel 4. Schuh/ 3. Zoll/ 4. Linien/ 8. Puncten/ das Capitell ist aus Ionica und Corinthia genommen. Austheilung.Noch ist eine und die sechste Art/ Gothica genannt/ welche von den Alten/ nach Verlust der Baukunst/ an Geschickligkeit und Verstand sehr weit abgewichen/ weil sie keine richtige Ordnung/ Proportion und Maß beobachtet/ und eben so bald unter das Haupt Thor/ auf welchem der gröste Last liget/ kleine schmale Seulen/ hingegen in einem Lustgarten/ zu geringern Portalen/ Centner schwere Maststücke setzet. Ja sie behänget die Seulen/ mit allerley Früchten/ oder Laubwerck bald so dick und häuffig/ als ob ein gantzes Weingebirg darauf gebauet wäre; bald aber so zart/ subtil und wenig/ als wann es kleine ausgeschnittene Kartenblätlein wären. In diesem Irrgarten haben unsere alte Teutsche lang und viel gewallet/ und solches für eine Zier gehalten: Wie dann fast alle alte Gebäue/ auch die fürnemste/ mit dergleichen Unordnung erfüllet sind. 6. Gothica, die Gothische. Ist ungeschickt und hält keine Proportion. Das X. Capittel. Von der Bau-Richtigkeit. Innhalt. Examen eines vollkommenen Baues: Dessen Ort/ Grund/ Austheilung/ Dicke und Höhe. Vorbild eines vollkommenen Baues: Der soll einem wol proportionirten Menschen gleich sehen. Das Auswendige: Das Thor und die Porte/ die Fenster und Zieraden/ der Dachstuhl. Das Innwendige/ der Vorhoff und Hoff/ die Stiegen. Correspondenz der Gemächer. Von Diminution der Mauren und deren Abtheilung. Wie die Angulen/ oder Eckmauren einzurichten. ICh würde mich in eine sonderbare Weite einlassen/ wann ich von allen absonderlichen Sachen/ so der Architectur, oder Baukunst zugehörig/ reden wolte. Demnach will ich zugegen allein beybringen/ wie und worinn ein vollkommener Bau zuerkennen/ und was zu einem schönen und nutzlichen Gebäue gehörig sey. Wann man nun von einem Bau urtheilen will/ ob er von einem Kunstreichen und vollkommenen Meister geführet worden/ und ob der seinem vernünfftigen Bauherrn ein Gnügen geleistet/ so sind dabey folgende Stuck zuerwegen: Erstlich/ ob er den Ort wol ausgesehen/ und abgemessen/ daß er ihn fähig und weit genug habe/ seinen Bau dahin zu bringen? Ferner ob er den Grund und dessen Güte in acht genommen? Wiederum/ ob er nicht geirret/ in Austheilung der Gemächer und Zimmer? ob er in acht gezogen/ was Examen eines vollkommenen Baues.

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Zitationshilfe: Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 2,1. Nürnberg, 1679, S. [I (Architektur), S. 12]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sandrart_academie0201_1679/209>, abgerufen am 28.03.2024.