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Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

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6.
Unser Beruf zur Gesetzgebung.

Von den Gründen, auf welche das Bedürfniß eines
Gesetzbuchs für Deutschland gebaut zu werden pflegt,
ist im vorigen Abschnitt gesprochen worden: wir ha-
ben jetzt die Fähigkeit zu dieser Arbeit zu untersuchen.
Sollte es an dieser fehlen, so müßte durch ein Gesetz-
buch unser Zustand, den wir bessern wollen, noth-
wendig verschlimmert werden.

Baco forderte, daß die Zeit, in welcher ein Ge-
setzbuch gemacht werde, an Einsicht die vorhergehen-
den Zeiten übertreffe, wovon die nothwendige Folge
ist, daß manchem Zeitalter, welches in anderer Rück-
sicht für gebildet gelten mag, gerade diese Fähigkeit
abgesprochen werden muß. In den neuesten Zeiten
haben sich besonders die Gegner des Römischen Rechts
über solche Ansichten nicht selten entrüstet: denn die
Vernunft sey allen Völkern und allen Zeiten gemein,
und da wir überdem die Erfahrung voriger Zeiten
benutzen können, so müsse unfehlbar, was wir ver
fertigen, besser als alles vorige werden. Aber eben
diese Meynung, daß jedes Zeitalter zu allem berufen
sey, ist das verderblichste Vorurtheil. In den schö-
nen Künsten müssen wir wohl das Gegentheil aner-

6.
Unſer Beruf zur Geſetzgebung.

Von den Gründen, auf welche das Bedürfniß eines
Geſetzbuchs für Deutſchland gebaut zu werden pflegt,
iſt im vorigen Abſchnitt geſprochen worden: wir ha-
ben jetzt die Fähigkeit zu dieſer Arbeit zu unterſuchen.
Sollte es an dieſer fehlen, ſo müßte durch ein Geſetz-
buch unſer Zuſtand, den wir beſſern wollen, noth-
wendig verſchlimmert werden.

Baco forderte, daß die Zeit, in welcher ein Ge-
ſetzbuch gemacht werde, an Einſicht die vorhergehen-
den Zeiten übertreffe, wovon die nothwendige Folge
iſt, daß manchem Zeitalter, welches in anderer Rück-
ſicht für gebildet gelten mag, gerade dieſe Fähigkeit
abgeſprochen werden muß. In den neueſten Zeiten
haben ſich beſonders die Gegner des Römiſchen Rechts
über ſolche Anſichten nicht ſelten entrüſtet: denn die
Vernunft ſey allen Völkern und allen Zeiten gemein,
und da wir überdem die Erfahrung voriger Zeiten
benutzen können, ſo müſſe unfehlbar, was wir ver
fertigen, beſſer als alles vorige werden. Aber eben
dieſe Meynung, daß jedes Zeitalter zu allem berufen
ſey, iſt das verderblichſte Vorurtheil. In den ſchö-
nen Künſten müſſen wir wohl das Gegentheil aner-

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[45/0055] 6. Unſer Beruf zur Geſetzgebung. Von den Gründen, auf welche das Bedürfniß eines Geſetzbuchs für Deutſchland gebaut zu werden pflegt, iſt im vorigen Abſchnitt geſprochen worden: wir ha- ben jetzt die Fähigkeit zu dieſer Arbeit zu unterſuchen. Sollte es an dieſer fehlen, ſo müßte durch ein Geſetz- buch unſer Zuſtand, den wir beſſern wollen, noth- wendig verſchlimmert werden. Baco forderte, daß die Zeit, in welcher ein Ge- ſetzbuch gemacht werde, an Einſicht die vorhergehen- den Zeiten übertreffe, wovon die nothwendige Folge iſt, daß manchem Zeitalter, welches in anderer Rück- ſicht für gebildet gelten mag, gerade dieſe Fähigkeit abgeſprochen werden muß. In den neueſten Zeiten haben ſich beſonders die Gegner des Römiſchen Rechts über ſolche Anſichten nicht ſelten entrüſtet: denn die Vernunft ſey allen Völkern und allen Zeiten gemein, und da wir überdem die Erfahrung voriger Zeiten benutzen können, ſo müſſe unfehlbar, was wir ver fertigen, beſſer als alles vorige werden. Aber eben dieſe Meynung, daß jedes Zeitalter zu allem berufen ſey, iſt das verderblichſte Vorurtheil. In den ſchö- nen Künſten müſſen wir wohl das Gegentheil aner-

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/55>, abgerufen am 18.04.2024.