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Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

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liche Detail, wovon wir in den Pandekten einen
Auszug besitzen, muß es jeder für ganz unmöglich
erkennen. Diese Schwierigkeit führt uns auf eine
neue Ansicht der Entwicklung des Rechts. Bey stei-
gender Cultur nämlich sondern sich alle Thätigkeiten
des Volkes immer mehr, und was sonst gemeinschaft-
lich betrieben wurde, fällt jetzt einzelnen Ständen an-
heim. Als ein solcher abgesonderter Stand erscheinen
nunmehr auch die Juristen. Das Recht bildet sich
nunmehr in der Sprache aus, es nimmt eine wissen-
schaftliche Richtung, und wie es vorher im Bewußt-
seyn des gesammten Volkes lebte, so fällt es jetzt dem
Bewußtseyn der Juristen anheim, von welchen das
Volk nunmehr in dieser Function repräsentirt wird.
Das Daseyn des Rechts ist von nun an künstlicher
und verwickelter, indem es ein doppeltes Leben hat,
einmal als Theil des ganzen Volkslebens, was es zu
seyn nicht aufhört, dann als besondere Wissenschaft
in den Händen der Juristen. Aus dem Zusammen-
wirken dieses doppelten Lebensprincips erklären sich
alle spätere Erscheinungen, und es ist nunmehr be-
greiflich, wie auch jenes ungeheure Detail ganz auf
organische Weise, ohne eigentliche Willkühr und Ab-
sicht, entstehen konnte. Der Kürze wegen nennen
wir künftig den Zusammenhang des Rechts mit dem
allgemeinen Volksleben das politische Element, das
abgesonderte wissenschaftliche Leben des Rechts aber
das technische Element desselben.

liche Detail, wovon wir in den Pandekten einen
Auszug beſitzen, muß es jeder für ganz unmöglich
erkennen. Dieſe Schwierigkeit führt uns auf eine
neue Anſicht der Entwicklung des Rechts. Bey ſtei-
gender Cultur nämlich ſondern ſich alle Thätigkeiten
des Volkes immer mehr, und was ſonſt gemeinſchaft-
lich betrieben wurde, fällt jetzt einzelnen Ständen an-
heim. Als ein ſolcher abgeſonderter Stand erſcheinen
nunmehr auch die Juriſten. Das Recht bildet ſich
nunmehr in der Sprache aus, es nimmt eine wiſſen-
ſchaftliche Richtung, und wie es vorher im Bewußt-
ſeyn des geſammten Volkes lebte, ſo fällt es jetzt dem
Bewußtſeyn der Juriſten anheim, von welchen das
Volk nunmehr in dieſer Function repräſentirt wird.
Das Daſeyn des Rechts iſt von nun an künſtlicher
und verwickelter, indem es ein doppeltes Leben hat,
einmal als Theil des ganzen Volkslebens, was es zu
ſeyn nicht aufhört, dann als beſondere Wiſſenſchaft
in den Händen der Juriſten. Aus dem Zuſammen-
wirken dieſes doppelten Lebensprincips erklären ſich
alle ſpätere Erſcheinungen, und es iſt nunmehr be-
greiflich, wie auch jenes ungeheure Detail ganz auf
organiſche Weiſe, ohne eigentliche Willkühr und Ab-
ſicht, entſtehen konnte. Der Kürze wegen nennen
wir künftig den Zuſammenhang des Rechts mit dem
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[12/0022] liche Detail, wovon wir in den Pandekten einen Auszug beſitzen, muß es jeder für ganz unmöglich erkennen. Dieſe Schwierigkeit führt uns auf eine neue Anſicht der Entwicklung des Rechts. Bey ſtei- gender Cultur nämlich ſondern ſich alle Thätigkeiten des Volkes immer mehr, und was ſonſt gemeinſchaft- lich betrieben wurde, fällt jetzt einzelnen Ständen an- heim. Als ein ſolcher abgeſonderter Stand erſcheinen nunmehr auch die Juriſten. Das Recht bildet ſich nunmehr in der Sprache aus, es nimmt eine wiſſen- ſchaftliche Richtung, und wie es vorher im Bewußt- ſeyn des geſammten Volkes lebte, ſo fällt es jetzt dem Bewußtſeyn der Juriſten anheim, von welchen das Volk nunmehr in dieſer Function repräſentirt wird. Das Daſeyn des Rechts iſt von nun an künſtlicher und verwickelter, indem es ein doppeltes Leben hat, einmal als Theil des ganzen Volkslebens, was es zu ſeyn nicht aufhört, dann als beſondere Wiſſenſchaft in den Händen der Juriſten. Aus dem Zuſammen- wirken dieſes doppelten Lebensprincips erklären ſich alle ſpätere Erſcheinungen, und es iſt nunmehr be- greiflich, wie auch jenes ungeheure Detail ganz auf organiſche Weiſe, ohne eigentliche Willkühr und Ab- ſicht, entſtehen konnte. Der Kürze wegen nennen wir künftig den Zuſammenhang des Rechts mit dem allgemeinen Volksleben das politiſche Element, das abgeſonderte wiſſenſchaftliche Leben des Rechts aber das techniſche Element deſſelben.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/22>, abgerufen am 20.04.2024.