Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Gesetze.
ben Text vorlegen, vielleicht das Rechte treffen. Solche Er-
fahrungen lassen sich besonders an den zahlreichen Rechtsfäl-
len machen, woraus ein so großer und lehrreicher Theil
der Digesten besteht.

Das Ziel der Auslegung geht bey jedem Gesetze dahin,
gerade aus ihm so viel als möglich an wirklicher Rechts-
kenntniß zu gewinnen; die Auslegung also soll von der
einen Seite individuell, von der andern reichhaltig in Re-
sultaten seyn (c). Dieser Erfolg kann in verschiedenen
Graden erreicht werden, und es ist diese Verschiedenheit
abhängig theils von der Kunst des Auslegers, theils aber
auch von der Kunst des Gesetzgebers, in dem Gesetze viel
von sicherer Rechtskenntniß niederzulegen, also von diesem
Punkte aus das Recht so viel als möglich zu beherrschen.
Es besteht also hierin eine Wechselwirkung zwischen treff-
licher Gesetzgebung und trefflicher Auslegung, indem der
Erfolg einer jeden durch die andere bedingt und ge-
sichert ist.

§. 34.
Grund des Gesetzes.

Ist es nun die Aufgabe der Auslegung, uns den In-

(c) Dieses Ziel des Verfahrens
auszudrücken, ist der Name Aus-
legung
(explicatio) besonders
geeignet, indem er darauf geht,
daß das in dem Wort Einge-
schlossene an das Licht gezogen
und dadurch öffenbar gemacht
werde. Der Name Erklärung
dagegen deutet mehr darauf hin,
daß der (zufällige) Zustand der
Unklarheit aufgehoben und in
Klarheit verwandelt werde, be-
zeichnet also weniger die allge-
meine Natur des Geschäfts.

Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.
ben Text vorlegen, vielleicht das Rechte treffen. Solche Er-
fahrungen laſſen ſich beſonders an den zahlreichen Rechtsfäl-
len machen, woraus ein ſo großer und lehrreicher Theil
der Digeſten beſteht.

Das Ziel der Auslegung geht bey jedem Geſetze dahin,
gerade aus ihm ſo viel als möglich an wirklicher Rechts-
kenntniß zu gewinnen; die Auslegung alſo ſoll von der
einen Seite individuell, von der andern reichhaltig in Re-
ſultaten ſeyn (c). Dieſer Erfolg kann in verſchiedenen
Graden erreicht werden, und es iſt dieſe Verſchiedenheit
abhängig theils von der Kunſt des Auslegers, theils aber
auch von der Kunſt des Geſetzgebers, in dem Geſetze viel
von ſicherer Rechtskenntniß niederzulegen, alſo von dieſem
Punkte aus das Recht ſo viel als möglich zu beherrſchen.
Es beſteht alſo hierin eine Wechſelwirkung zwiſchen treff-
licher Geſetzgebung und trefflicher Auslegung, indem der
Erfolg einer jeden durch die andere bedingt und ge-
ſichert iſt.

§. 34.
Grund des Geſetzes.

Iſt es nun die Aufgabe der Auslegung, uns den In-

(c) Dieſes Ziel des Verfahrens
auszudrücken, iſt der Name Aus-
legung
(explicatio) beſonders
geeignet, indem er darauf geht,
daß das in dem Wort Einge-
ſchloſſene an das Licht gezogen
und dadurch öffenbar gemacht
werde. Der Name Erklärung
dagegen deutet mehr darauf hin,
daß der (zufällige) Zuſtand der
Unklarheit aufgehoben und in
Klarheit verwandelt werde, be-
zeichnet alſo weniger die allge-
meine Natur des Geſchäfts.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0272" n="216"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">I.</hi> Quellen. Kap. <hi rendition="#aq">IV.</hi> Auslegung der Ge&#x017F;etze.</fw><lb/>
ben Text vorlegen, vielleicht das Rechte treffen. Solche Er-<lb/>
fahrungen la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich be&#x017F;onders an den zahlreichen Rechtsfäl-<lb/>
len machen, woraus ein &#x017F;o großer und lehrreicher Theil<lb/>
der Dige&#x017F;ten be&#x017F;teht.</p><lb/>
            <p>Das Ziel der Auslegung geht bey jedem Ge&#x017F;etze dahin,<lb/>
gerade aus ihm &#x017F;o viel als möglich an wirklicher Rechts-<lb/>
kenntniß zu gewinnen; die Auslegung al&#x017F;o &#x017F;oll von der<lb/>
einen Seite individuell, von der andern reichhaltig in Re-<lb/>
&#x017F;ultaten &#x017F;eyn <note place="foot" n="(c)">Die&#x017F;es Ziel des Verfahrens<lb/>
auszudrücken, i&#x017F;t der Name <hi rendition="#g">Aus-<lb/>
legung</hi> (<hi rendition="#aq">explicatio</hi>) be&#x017F;onders<lb/>
geeignet, indem er darauf geht,<lb/>
daß das in dem Wort Einge-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene an das Licht gezogen<lb/>
und dadurch öffenbar gemacht<lb/>
werde. Der Name <hi rendition="#g">Erklärung</hi><lb/>
dagegen deutet mehr darauf hin,<lb/>
daß der (zufällige) Zu&#x017F;tand der<lb/>
Unklarheit aufgehoben und in<lb/>
Klarheit verwandelt werde, be-<lb/>
zeichnet al&#x017F;o weniger die allge-<lb/>
meine Natur des Ge&#x017F;chäfts.</note>. Die&#x017F;er Erfolg kann in ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Graden erreicht werden, und es i&#x017F;t die&#x017F;e Ver&#x017F;chiedenheit<lb/>
abhängig theils von der Kun&#x017F;t des Auslegers, theils aber<lb/>
auch von der Kun&#x017F;t des Ge&#x017F;etzgebers, in dem Ge&#x017F;etze viel<lb/>
von &#x017F;icherer Rechtskenntniß niederzulegen, al&#x017F;o von die&#x017F;em<lb/>
Punkte aus das Recht &#x017F;o viel als möglich zu beherr&#x017F;chen.<lb/>
Es be&#x017F;teht al&#x017F;o hierin eine Wech&#x017F;elwirkung zwi&#x017F;chen treff-<lb/>
licher Ge&#x017F;etzgebung und trefflicher Auslegung, indem der<lb/>
Erfolg einer jeden durch die andere bedingt und ge-<lb/>
&#x017F;ichert i&#x017F;t.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 34.<lb/><hi rendition="#g">Grund des Ge&#x017F;etzes</hi>.</head><lb/>
            <p>I&#x017F;t es nun die Aufgabe der Auslegung, uns den In-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[216/0272] Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze. ben Text vorlegen, vielleicht das Rechte treffen. Solche Er- fahrungen laſſen ſich beſonders an den zahlreichen Rechtsfäl- len machen, woraus ein ſo großer und lehrreicher Theil der Digeſten beſteht. Das Ziel der Auslegung geht bey jedem Geſetze dahin, gerade aus ihm ſo viel als möglich an wirklicher Rechts- kenntniß zu gewinnen; die Auslegung alſo ſoll von der einen Seite individuell, von der andern reichhaltig in Re- ſultaten ſeyn (c). Dieſer Erfolg kann in verſchiedenen Graden erreicht werden, und es iſt dieſe Verſchiedenheit abhängig theils von der Kunſt des Auslegers, theils aber auch von der Kunſt des Geſetzgebers, in dem Geſetze viel von ſicherer Rechtskenntniß niederzulegen, alſo von dieſem Punkte aus das Recht ſo viel als möglich zu beherrſchen. Es beſteht alſo hierin eine Wechſelwirkung zwiſchen treff- licher Geſetzgebung und trefflicher Auslegung, indem der Erfolg einer jeden durch die andere bedingt und ge- ſichert iſt. §. 34. Grund des Geſetzes. Iſt es nun die Aufgabe der Auslegung, uns den In- (c) Dieſes Ziel des Verfahrens auszudrücken, iſt der Name Aus- legung (explicatio) beſonders geeignet, indem er darauf geht, daß das in dem Wort Einge- ſchloſſene an das Licht gezogen und dadurch öffenbar gemacht werde. Der Name Erklärung dagegen deutet mehr darauf hin, daß der (zufällige) Zuſtand der Unklarheit aufgehoben und in Klarheit verwandelt werde, be- zeichnet alſo weniger die allge- meine Natur des Geſchäfts.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/272
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/272>, abgerufen am 28.03.2024.