Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 45. Rechtsquellen als Ganzes. Widerspruch. Fortsetzung.
ten, wenn sie gleichzeitig verfaßt wären. Dieses ist z. B.
anzunehmen bey solchen Streitfragen, die sich Jahrhun-
derte lang bey den Römischen Juristen fortgepflanzt ha-
ben; wenn sich eine solche noch in die Digesten verloren
hat, so ist es ja ganz gleichgültig, daß vielleicht die eine
Stelle von Julian, die andere von Modestin herrührt, in-
dem auch Gleichzeitige ganz auf dieselbe Weise gegen ein-
ander stritten. In solchen Fällen ist die ältere Stelle
kein Zeugniß für das ältere Recht, also konnte auch ihre
Aufnahme keinen historischen Zweck haben, und es muß
daher die historische Vereinigung unterbleiben, weil diese
überhaupt nicht durch das verschiedene Alter an sich, son-
dern allein durch den historischen Zweck begründet werden
kann, welcher nur aus der erweislichen Fortbildung des
Rechts zu folgern ist. Eben daher muß aber die histori-
sche Vereinigung auch bey denjenigen ungleichzeitigen Stel-
len unterbleiben, bey welchen es nur unentschieden ist, wel-
ches der beiden Verhältnisse zum Grunde liegen möge: in-
dem nur der erweisliche historische Zweck jene Vereini-
gungsart zu rechtfertigen vermag.

§. 45.
Auslegung der Rechtsquellen im Ganzen.
(Widerspruch)
. Fortsetzung.

Wenden wir diese Regeln auf die einzelnen Rechtsbü-
cher an, so ergiebt sich zunächst für den Codex eine sehr
ausgedehnte Zulässigkeit der historischen Vereinigung. Ist

§. 45. Rechtsquellen als Ganzes. Widerſpruch. Fortſetzung.
ten, wenn ſie gleichzeitig verfaßt wären. Dieſes iſt z. B.
anzunehmen bey ſolchen Streitfragen, die ſich Jahrhun-
derte lang bey den Römiſchen Juriſten fortgepflanzt ha-
ben; wenn ſich eine ſolche noch in die Digeſten verloren
hat, ſo iſt es ja ganz gleichgültig, daß vielleicht die eine
Stelle von Julian, die andere von Modeſtin herrührt, in-
dem auch Gleichzeitige ganz auf dieſelbe Weiſe gegen ein-
ander ſtritten. In ſolchen Fällen iſt die ältere Stelle
kein Zeugniß für das ältere Recht, alſo konnte auch ihre
Aufnahme keinen hiſtoriſchen Zweck haben, und es muß
daher die hiſtoriſche Vereinigung unterbleiben, weil dieſe
überhaupt nicht durch das verſchiedene Alter an ſich, ſon-
dern allein durch den hiſtoriſchen Zweck begründet werden
kann, welcher nur aus der erweislichen Fortbildung des
Rechts zu folgern iſt. Eben daher muß aber die hiſtori-
ſche Vereinigung auch bey denjenigen ungleichzeitigen Stel-
len unterbleiben, bey welchen es nur unentſchieden iſt, wel-
ches der beiden Verhältniſſe zum Grunde liegen möge: in-
dem nur der erweisliche hiſtoriſche Zweck jene Vereini-
gungsart zu rechtfertigen vermag.

§. 45.
Auslegung der Rechtsquellen im Ganzen.
(Widerſpruch)
. Fortſetzung.

Wenden wir dieſe Regeln auf die einzelnen Rechtsbü-
cher an, ſo ergiebt ſich zunächſt für den Codex eine ſehr
ausgedehnte Zuläſſigkeit der hiſtoriſchen Vereinigung. Iſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0339" n="283"/><fw place="top" type="header">§. 45. Rechtsquellen als Ganzes. Wider&#x017F;pruch. Fort&#x017F;etzung.</fw><lb/>
ten, wenn &#x017F;ie gleichzeitig verfaßt wären. Die&#x017F;es i&#x017F;t z. B.<lb/>
anzunehmen bey &#x017F;olchen Streitfragen, die &#x017F;ich Jahrhun-<lb/>
derte lang bey den Römi&#x017F;chen Juri&#x017F;ten fortgepflanzt ha-<lb/>
ben; wenn &#x017F;ich eine &#x017F;olche noch in die Dige&#x017F;ten verloren<lb/>
hat, &#x017F;o i&#x017F;t es ja ganz gleichgültig, daß vielleicht die eine<lb/>
Stelle von Julian, die andere von Mode&#x017F;tin herrührt, in-<lb/>
dem auch Gleichzeitige ganz auf die&#x017F;elbe Wei&#x017F;e gegen ein-<lb/>
ander &#x017F;tritten. In &#x017F;olchen Fällen i&#x017F;t die ältere Stelle<lb/>
kein Zeugniß für das ältere Recht, al&#x017F;o konnte auch ihre<lb/>
Aufnahme keinen hi&#x017F;tori&#x017F;chen Zweck haben, und es muß<lb/>
daher die hi&#x017F;tori&#x017F;che Vereinigung unterbleiben, weil die&#x017F;e<lb/>
überhaupt nicht durch das ver&#x017F;chiedene Alter an &#x017F;ich, &#x017F;on-<lb/>
dern allein durch den hi&#x017F;tori&#x017F;chen Zweck begründet werden<lb/>
kann, welcher nur aus der erweislichen Fortbildung des<lb/>
Rechts zu folgern i&#x017F;t. Eben daher muß aber die hi&#x017F;tori-<lb/>
&#x017F;che Vereinigung auch bey denjenigen ungleichzeitigen Stel-<lb/>
len unterbleiben, bey welchen es nur unent&#x017F;chieden i&#x017F;t, wel-<lb/>
ches der beiden Verhältni&#x017F;&#x017F;e zum Grunde liegen möge: in-<lb/>
dem nur der erweisliche hi&#x017F;tori&#x017F;che Zweck jene Vereini-<lb/>
gungsart zu rechtfertigen vermag.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 45.<lb/><hi rendition="#g">Auslegung der Rechtsquellen im Ganzen.<lb/>
(Wider&#x017F;pruch)</hi>. Fort&#x017F;etzung.</head><lb/>
            <p>Wenden wir die&#x017F;e Regeln auf die einzelnen Rechtsbü-<lb/>
cher an, &#x017F;o ergiebt &#x017F;ich zunäch&#x017F;t für den <hi rendition="#g">Codex</hi> eine &#x017F;ehr<lb/>
ausgedehnte Zulä&#x017F;&#x017F;igkeit der hi&#x017F;tori&#x017F;chen Vereinigung. I&#x017F;t<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[283/0339] §. 45. Rechtsquellen als Ganzes. Widerſpruch. Fortſetzung. ten, wenn ſie gleichzeitig verfaßt wären. Dieſes iſt z. B. anzunehmen bey ſolchen Streitfragen, die ſich Jahrhun- derte lang bey den Römiſchen Juriſten fortgepflanzt ha- ben; wenn ſich eine ſolche noch in die Digeſten verloren hat, ſo iſt es ja ganz gleichgültig, daß vielleicht die eine Stelle von Julian, die andere von Modeſtin herrührt, in- dem auch Gleichzeitige ganz auf dieſelbe Weiſe gegen ein- ander ſtritten. In ſolchen Fällen iſt die ältere Stelle kein Zeugniß für das ältere Recht, alſo konnte auch ihre Aufnahme keinen hiſtoriſchen Zweck haben, und es muß daher die hiſtoriſche Vereinigung unterbleiben, weil dieſe überhaupt nicht durch das verſchiedene Alter an ſich, ſon- dern allein durch den hiſtoriſchen Zweck begründet werden kann, welcher nur aus der erweislichen Fortbildung des Rechts zu folgern iſt. Eben daher muß aber die hiſtori- ſche Vereinigung auch bey denjenigen ungleichzeitigen Stel- len unterbleiben, bey welchen es nur unentſchieden iſt, wel- ches der beiden Verhältniſſe zum Grunde liegen möge: in- dem nur der erweisliche hiſtoriſche Zweck jene Vereini- gungsart zu rechtfertigen vermag. §. 45. Auslegung der Rechtsquellen im Ganzen. (Widerſpruch). Fortſetzung. Wenden wir dieſe Regeln auf die einzelnen Rechtsbü- cher an, ſo ergiebt ſich zunächſt für den Codex eine ſehr ausgedehnte Zuläſſigkeit der hiſtoriſchen Vereinigung. Iſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/339
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/339>, abgerufen am 25.04.2024.