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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Gesetze.
es das Principium allerdings für die Decrete, wenn sie
Endurtheile sind, vorschreibt: vergleicht man beide Theile
der Stelle mit einander, so kann man über die gänzliche
Verschiedenheit des Ausdrucks, wie der Gründe der Be-
handlung beider Fälle, nicht zweifelhaft seyn.

Die zweyte Verordnung Justinians über die Auslegung
findet sich mitten in dem Publicationspatent über die Di-
gesten vom J. 533, d. h. in L. 2 § 21 C. de vet. jure
enucl.
(1. 17.). Sie steht in Verbindung mit dem Ver-
bot, juristische Bücher zu schreiben (§ 26), und ergänzt
dasselbe auf folgende Weise: "Eigentliche Bücher, ins-
besondere Commentare über die Gesetze, werden verboten.
Findet sich aber irgend ein Zweifel über den Sinn eines
Gesetzes (p), so sollen diesen die Richter dem Kaiser zur
Entscheidung vortragen, denn dieser ist, wie der einzige
Gesetzgeber, so auch der einzige rechtmäßige Interpret (q).

§. 48.
Aussprüche des Römischen Rechts über die Auslegung.
(Fortsetzung.)

Beide übereinstimmende Gesetze sind von so schroffem
Inhalt, daß man augenblicklich Bedenken haben könnte,

(p) "Si quid vero ... ambi-
guum
fuerit visum" etc.
Das
darf keinesweges blos von zwey-
deutigen Ausdrücken eines Ge-
setzes verstanden werden, die ja
von Justinians Standpunkt aus
unmöglich als etwas Besonderes
angesehen werden konnten, son-
dern es bezeichnet Zweifel und
Schwierigkeiten jeder Art, also
alles Auslegungsbedürfniß über-
haupt, gerade wie die omnes
ambiguitates judicum
in L. 12
§ 1 cit.
(q) "Cui soli concessum est le-
ges et condere et interpretari."

Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.
es das Principium allerdings für die Decrete, wenn ſie
Endurtheile ſind, vorſchreibt: vergleicht man beide Theile
der Stelle mit einander, ſo kann man über die gänzliche
Verſchiedenheit des Ausdrucks, wie der Gründe der Be-
handlung beider Fälle, nicht zweifelhaft ſeyn.

Die zweyte Verordnung Juſtinians über die Auslegung
findet ſich mitten in dem Publicationspatent über die Di-
geſten vom J. 533, d. h. in L. 2 § 21 C. de vet. jure
enucl.
(1. 17.). Sie ſteht in Verbindung mit dem Ver-
bot, juriſtiſche Bücher zu ſchreiben (§ 26), und ergänzt
daſſelbe auf folgende Weiſe: „Eigentliche Bücher, ins-
beſondere Commentare über die Geſetze, werden verboten.
Findet ſich aber irgend ein Zweifel über den Sinn eines
Geſetzes (p), ſo ſollen dieſen die Richter dem Kaiſer zur
Entſcheidung vortragen, denn dieſer iſt, wie der einzige
Geſetzgeber, ſo auch der einzige rechtmäßige Interpret (q).

§. 48.
Ausſprüche des Römiſchen Rechts über die Auslegung.
(Fortſetzung.)

Beide übereinſtimmende Geſetze ſind von ſo ſchroffem
Inhalt, daß man augenblicklich Bedenken haben könnte,

(p) „Si quid vero … ambi-
guum
fuerit visum“ etc.
Das
darf keinesweges blos von zwey-
deutigen Ausdrücken eines Ge-
ſetzes verſtanden werden, die ja
von Juſtinians Standpunkt aus
unmöglich als etwas Beſonderes
angeſehen werden konnten, ſon-
dern es bezeichnet Zweifel und
Schwierigkeiten jeder Art, alſo
alles Auslegungsbedürfniß über-
haupt, gerade wie die omnes
ambiguitates judicum
in L. 12
§ 1 cit.
(q) „Cui soli concessum est le-
ges et condere et interpretari.“
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[304/0360] Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze. es das Principium allerdings für die Decrete, wenn ſie Endurtheile ſind, vorſchreibt: vergleicht man beide Theile der Stelle mit einander, ſo kann man über die gänzliche Verſchiedenheit des Ausdrucks, wie der Gründe der Be- handlung beider Fälle, nicht zweifelhaft ſeyn. Die zweyte Verordnung Juſtinians über die Auslegung findet ſich mitten in dem Publicationspatent über die Di- geſten vom J. 533, d. h. in L. 2 § 21 C. de vet. jure enucl. (1. 17.). Sie ſteht in Verbindung mit dem Ver- bot, juriſtiſche Bücher zu ſchreiben (§ 26), und ergänzt daſſelbe auf folgende Weiſe: „Eigentliche Bücher, ins- beſondere Commentare über die Geſetze, werden verboten. Findet ſich aber irgend ein Zweifel über den Sinn eines Geſetzes (p), ſo ſollen dieſen die Richter dem Kaiſer zur Entſcheidung vortragen, denn dieſer iſt, wie der einzige Geſetzgeber, ſo auch der einzige rechtmäßige Interpret (q). §. 48. Ausſprüche des Römiſchen Rechts über die Auslegung. (Fortſetzung.) Beide übereinſtimmende Geſetze ſind von ſo ſchroffem Inhalt, daß man augenblicklich Bedenken haben könnte, (p) „Si quid vero … ambi- guum fuerit visum“ etc. Das darf keinesweges blos von zwey- deutigen Ausdrücken eines Ge- ſetzes verſtanden werden, die ja von Juſtinians Standpunkt aus unmöglich als etwas Beſonderes angeſehen werden konnten, ſon- dern es bezeichnet Zweifel und Schwierigkeiten jeder Art, alſo alles Auslegungsbedürfniß über- haupt, gerade wie die omnes ambiguitates judicum in L. 12 § 1 cit. (q) „Cui soli concessum est le- ges et condere et interpretari.“

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/360>, abgerufen am 29.03.2024.