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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen.
der Staatsgewalt untergeordnet (d). Die weltumfassende
Natur des Christenthums schließt diese rein nationelle Be-
handlung aus. Im Mittelalter versuchte die Kirche, die
Staaten selbst sich unterzuordnen und zu beherrschen. Wir
können die verschiedenen christlichen Kirchen nur betrach-
ten als neben dem Staate, aber in mannichfaltiger und
inniger Berührung mit demselben, stehend. Daher ist uns
das Kirchenrecht ein für sich bestehendes Rechtsgebiet, das
weder dem öffentlichen noch dem Privatrecht untergeordnet
werden darf.

§. 10.
Abweichende Meynungen über den Staat.

Es fehlt aber viel, daß die hier aufgestellte Ansicht
von der Entstehung und dem Wesen des Staats allgemein
Anerkennung fände.

Zuvörderst ist es auch hier wieder der unbestimmte
Begriff einer Menge überhaupt, abstrahirt von der Volks-
einheit, welcher häufig als Subject des Staats gedacht
wird. Dieser Behauptung aber widerspricht vor Allem
die Thatsache, daß es zu allen Zeiten Völker waren, welche
in der organischen Gestalt von Staaten aufgetreten sind,
und wo auch der Versuch im Großen gemacht worden ist,
Massen von Menschen ohne Rücksicht auf gänzliche Stamm-
verschiedenheit willkührlich zusammen zu bringen, wie in
den Amerikanischen Sklavenstaaten, da ist der Erfolg sehr
unglücklich gewesen, und es haben sich der Staatenbildung

(d) L. 1. §. 2. de just. et jure (I. 1.).

Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen.
der Staatsgewalt untergeordnet (d). Die weltumfaſſende
Natur des Chriſtenthums ſchließt dieſe rein nationelle Be-
handlung aus. Im Mittelalter verſuchte die Kirche, die
Staaten ſelbſt ſich unterzuordnen und zu beherrſchen. Wir
können die verſchiedenen chriſtlichen Kirchen nur betrach-
ten als neben dem Staate, aber in mannichfaltiger und
inniger Berührung mit demſelben, ſtehend. Daher iſt uns
das Kirchenrecht ein für ſich beſtehendes Rechtsgebiet, das
weder dem öffentlichen noch dem Privatrecht untergeordnet
werden darf.

§. 10.
Abweichende Meynungen über den Staat.

Es fehlt aber viel, daß die hier aufgeſtellte Anſicht
von der Entſtehung und dem Weſen des Staats allgemein
Anerkennung fände.

Zuvörderſt iſt es auch hier wieder der unbeſtimmte
Begriff einer Menge überhaupt, abſtrahirt von der Volks-
einheit, welcher häufig als Subject des Staats gedacht
wird. Dieſer Behauptung aber widerſpricht vor Allem
die Thatſache, daß es zu allen Zeiten Völker waren, welche
in der organiſchen Geſtalt von Staaten aufgetreten ſind,
und wo auch der Verſuch im Großen gemacht worden iſt,
Maſſen von Menſchen ohne Rückſicht auf gänzliche Stamm-
verſchiedenheit willkührlich zuſammen zu bringen, wie in
den Amerikaniſchen Sklavenſtaaten, da iſt der Erfolg ſehr
unglücklich geweſen, und es haben ſich der Staatenbildung

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[28/0084] Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen. der Staatsgewalt untergeordnet (d). Die weltumfaſſende Natur des Chriſtenthums ſchließt dieſe rein nationelle Be- handlung aus. Im Mittelalter verſuchte die Kirche, die Staaten ſelbſt ſich unterzuordnen und zu beherrſchen. Wir können die verſchiedenen chriſtlichen Kirchen nur betrach- ten als neben dem Staate, aber in mannichfaltiger und inniger Berührung mit demſelben, ſtehend. Daher iſt uns das Kirchenrecht ein für ſich beſtehendes Rechtsgebiet, das weder dem öffentlichen noch dem Privatrecht untergeordnet werden darf. §. 10. Abweichende Meynungen über den Staat. Es fehlt aber viel, daß die hier aufgeſtellte Anſicht von der Entſtehung und dem Weſen des Staats allgemein Anerkennung fände. Zuvörderſt iſt es auch hier wieder der unbeſtimmte Begriff einer Menge überhaupt, abſtrahirt von der Volks- einheit, welcher häufig als Subject des Staats gedacht wird. Dieſer Behauptung aber widerſpricht vor Allem die Thatſache, daß es zu allen Zeiten Völker waren, welche in der organiſchen Geſtalt von Staaten aufgetreten ſind, und wo auch der Verſuch im Großen gemacht worden iſt, Maſſen von Menſchen ohne Rückſicht auf gänzliche Stamm- verſchiedenheit willkührlich zuſammen zu bringen, wie in den Amerikaniſchen Sklavenſtaaten, da iſt der Erfolg ſehr unglücklich geweſen, und es haben ſich der Staatenbildung (d) L. 1. §. 2. de just. et jure (I. 1.).

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/84>, abgerufen am 25.04.2024.