Ich will zuerst in einzelnen Sätzen zusammen stellen, was für die juristische Natur der Infamie aus der Be- trachtung der aufgezählten einzelnen Fälle unmittelbar folgt.
1) Es muß ein scharf bestimmter Begriff derselben an- gegeben werden können, da nicht nur das Edict die Fälle einzeln aufzählt, sondern auch die alten Juristen über die Gränzen dieser einzelnen Fälle genaue Untersuchungen an- stellen. Eben darauf deutet der Ausdruck, mit welchem die Ausdehnung der Infamie auf einen neuen Fall bezeich- net wird: et videlicet omni honore, quasi infamis, ex Senatusconsulto carebit(a). Offenbar wurde hier der technische Ausdruck eines festen, bekannten Rechtsbegriffs vom Senat auf einen neuen Fall angewendet.
2) Hieraus folgt aber weiter, daß mit der Infamie bestimmte Wirkungen verknüpft seyn mußten, weil außer- dem die genaue Bestimmung des Begriffs für den prakti- schen Sinn der alten Juristen kein Interesse gehabt ha- ben würde.
3) Die aufgezählten Fälle sind von zweyerley Art. In einigen wird die Infamie abhängig gemacht von einem richterlichen Urtheil, ohne welches sie nie eintreten kann: in anderen dagegen von irgend einer außergerichtlichen
(a)L. 1 pr. ad L. Jul. de vi priv. (48. 7.).
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. II. Perſonen.
§. 78. Juriſtiſche Bedeutung der Infamie.
Ich will zuerſt in einzelnen Sätzen zuſammen ſtellen, was für die juriſtiſche Natur der Infamie aus der Be- trachtung der aufgezählten einzelnen Fälle unmittelbar folgt.
1) Es muß ein ſcharf beſtimmter Begriff derſelben an- gegeben werden können, da nicht nur das Edict die Fälle einzeln aufzählt, ſondern auch die alten Juriſten über die Gränzen dieſer einzelnen Fälle genaue Unterſuchungen an- ſtellen. Eben darauf deutet der Ausdruck, mit welchem die Ausdehnung der Infamie auf einen neuen Fall bezeich- net wird: et videlicet omni honore, quasi infamis, ex Senatusconsulto carebit(a). Offenbar wurde hier der techniſche Ausdruck eines feſten, bekannten Rechtsbegriffs vom Senat auf einen neuen Fall angewendet.
2) Hieraus folgt aber weiter, daß mit der Infamie beſtimmte Wirkungen verknüpft ſeyn mußten, weil außer- dem die genaue Beſtimmung des Begriffs für den prakti- ſchen Sinn der alten Juriſten kein Intereſſe gehabt ha- ben würde.
3) Die aufgezählten Fälle ſind von zweyerley Art. In einigen wird die Infamie abhängig gemacht von einem richterlichen Urtheil, ohne welches ſie nie eintreten kann: in anderen dagegen von irgend einer außergerichtlichen
(a)L. 1 pr. ad L. Jul. de vi priv. (48. 7.).
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[186/0200]
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. II. Perſonen.
§. 78.
Juriſtiſche Bedeutung der Infamie.
Ich will zuerſt in einzelnen Sätzen zuſammen ſtellen,
was für die juriſtiſche Natur der Infamie aus der Be-
trachtung der aufgezählten einzelnen Fälle unmittelbar folgt.
1) Es muß ein ſcharf beſtimmter Begriff derſelben an-
gegeben werden können, da nicht nur das Edict die Fälle
einzeln aufzählt, ſondern auch die alten Juriſten über die
Gränzen dieſer einzelnen Fälle genaue Unterſuchungen an-
ſtellen. Eben darauf deutet der Ausdruck, mit welchem
die Ausdehnung der Infamie auf einen neuen Fall bezeich-
net wird: et videlicet omni honore, quasi infamis, ex
Senatusconsulto carebit (a). Offenbar wurde hier der
techniſche Ausdruck eines feſten, bekannten Rechtsbegriffs
vom Senat auf einen neuen Fall angewendet.
2) Hieraus folgt aber weiter, daß mit der Infamie
beſtimmte Wirkungen verknüpft ſeyn mußten, weil außer-
dem die genaue Beſtimmung des Begriffs für den prakti-
ſchen Sinn der alten Juriſten kein Intereſſe gehabt ha-
ben würde.
3) Die aufgezählten Fälle ſind von zweyerley Art. In
einigen wird die Infamie abhängig gemacht von einem
richterlichen Urtheil, ohne welches ſie nie eintreten kann:
in anderen dagegen von irgend einer außergerichtlichen
(a) L. 1 pr. ad L. Jul. de vi priv. (48. 7.).
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/200>, abgerufen am 25.04.2024.
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