Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
§. 79. Infamie. Juristische Bedeutung. (Fortsetzung.)
§. 79.
Juristische Bedeutung der Infamie. (Fortsetzung.)

Nach der bisherigen Untersuchung hat der Prätor die
Infamie als ein Rechtsinstitut nicht eingeführt, sondern
vorgefunden. Welche Bedeutung hatte sie nun schon vor
dem Edict?

Wir denken uns dieselbe in unsren Zeiten zunächst als
ein Strafmittel, mag sie allein eintreten, oder als Erhö-
hung einer andern Strafe; sie ist dann der sehr wirksame
Ausdruck der Verachtung, die der Staat durch seine Or-
gane gegen einen Einzelnen ausspricht. Allein um so zu
wirken, muß sie im einzelnen Fall besonders ausgespro-
chen werden; so lange sie blos auf einer allgemeinen Re-
gel beruht, bleibt sie ohne lebendige Wirkung. Oder mit
anderen Worten: diese Ansicht möchte noch etwa passen
auf die sogenannte mediata infamia (weil dabey der Rich-
ter ein Urtheil ausspricht), auf die immediata paßt sie
gar nicht. Und auch selbst bey der mediata wird sie da-
durch bedenklich, daß die Römer sie doch auch nur als
die natürliche Folge des Urtheils ansahen, nie im Urtheil
selbst aussprachen, welches gerade den lebendigen Eindruck
der als Strafe gedachten Infamie so sehr verstärkt hätte.

Eine öffentliche Meynung über Ehre oder Unehre der
Einzelnen findet sich überall: doppelt wichtig aber ist sie
in einer Republik wie Rom, wo alle Macht und Hoheit

13*
§. 79. Infamie. Juriſtiſche Bedeutung. (Fortſetzung.)
§. 79.
Juriſtiſche Bedeutung der Infamie. (Fortſetzung.)

Nach der bisherigen Unterſuchung hat der Prätor die
Infamie als ein Rechtsinſtitut nicht eingeführt, ſondern
vorgefunden. Welche Bedeutung hatte ſie nun ſchon vor
dem Edict?

Wir denken uns dieſelbe in unſren Zeiten zunächſt als
ein Strafmittel, mag ſie allein eintreten, oder als Erhö-
hung einer andern Strafe; ſie iſt dann der ſehr wirkſame
Ausdruck der Verachtung, die der Staat durch ſeine Or-
gane gegen einen Einzelnen ausſpricht. Allein um ſo zu
wirken, muß ſie im einzelnen Fall beſonders ausgeſpro-
chen werden; ſo lange ſie blos auf einer allgemeinen Re-
gel beruht, bleibt ſie ohne lebendige Wirkung. Oder mit
anderen Worten: dieſe Anſicht möchte noch etwa paſſen
auf die ſogenannte mediata infamia (weil dabey der Rich-
ter ein Urtheil ausſpricht), auf die immediata paßt ſie
gar nicht. Und auch ſelbſt bey der mediata wird ſie da-
durch bedenklich, daß die Römer ſie doch auch nur als
die natürliche Folge des Urtheils anſahen, nie im Urtheil
ſelbſt ausſprachen, welches gerade den lebendigen Eindruck
der als Strafe gedachten Infamie ſo ſehr verſtärkt hätte.

Eine öffentliche Meynung über Ehre oder Unehre der
Einzelnen findet ſich überall: doppelt wichtig aber iſt ſie
in einer Republik wie Rom, wo alle Macht und Hoheit

13*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0209" n="195"/>
          <fw place="top" type="header">§. 79. Infamie. Juri&#x017F;ti&#x017F;che Bedeutung. (Fort&#x017F;etzung.)</fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 79.<lb/><hi rendition="#g">Juri&#x017F;ti&#x017F;che Bedeutung der Infamie</hi>. (Fort&#x017F;etzung.)</head><lb/>
            <p>Nach der bisherigen Unter&#x017F;uchung hat der Prätor die<lb/>
Infamie als ein Rechtsin&#x017F;titut nicht eingeführt, &#x017F;ondern<lb/>
vorgefunden. Welche Bedeutung hatte &#x017F;ie nun &#x017F;chon vor<lb/>
dem Edict?</p><lb/>
            <p>Wir denken uns die&#x017F;elbe in un&#x017F;ren Zeiten zunäch&#x017F;t als<lb/>
ein Strafmittel, mag &#x017F;ie allein eintreten, oder als Erhö-<lb/>
hung einer andern Strafe; &#x017F;ie i&#x017F;t dann der &#x017F;ehr wirk&#x017F;ame<lb/>
Ausdruck der Verachtung, die der Staat durch &#x017F;eine Or-<lb/>
gane gegen einen Einzelnen aus&#x017F;pricht. Allein um &#x017F;o zu<lb/>
wirken, muß &#x017F;ie im einzelnen Fall be&#x017F;onders ausge&#x017F;pro-<lb/>
chen werden; &#x017F;o lange &#x017F;ie blos auf einer allgemeinen Re-<lb/>
gel beruht, bleibt &#x017F;ie ohne lebendige Wirkung. Oder mit<lb/>
anderen Worten: die&#x017F;e An&#x017F;icht möchte noch etwa pa&#x017F;&#x017F;en<lb/>
auf die &#x017F;ogenannte <hi rendition="#aq">mediata infamia</hi> (weil dabey der Rich-<lb/>
ter ein Urtheil aus&#x017F;pricht), auf die <hi rendition="#aq">immediata</hi> paßt &#x017F;ie<lb/>
gar nicht. Und auch &#x017F;elb&#x017F;t bey der <hi rendition="#aq">mediata</hi> wird &#x017F;ie da-<lb/>
durch bedenklich, daß die Römer &#x017F;ie doch auch nur als<lb/>
die natürliche Folge des Urtheils an&#x017F;ahen, nie im Urtheil<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t aus&#x017F;prachen, welches gerade den lebendigen Eindruck<lb/>
der als Strafe gedachten Infamie &#x017F;o &#x017F;ehr ver&#x017F;tärkt hätte.</p><lb/>
            <p>Eine öffentliche Meynung über Ehre oder Unehre der<lb/>
Einzelnen findet &#x017F;ich überall: doppelt wichtig aber i&#x017F;t &#x017F;ie<lb/>
in einer Republik wie Rom, wo alle Macht und Hoheit<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">13*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[195/0209] §. 79. Infamie. Juriſtiſche Bedeutung. (Fortſetzung.) §. 79. Juriſtiſche Bedeutung der Infamie. (Fortſetzung.) Nach der bisherigen Unterſuchung hat der Prätor die Infamie als ein Rechtsinſtitut nicht eingeführt, ſondern vorgefunden. Welche Bedeutung hatte ſie nun ſchon vor dem Edict? Wir denken uns dieſelbe in unſren Zeiten zunächſt als ein Strafmittel, mag ſie allein eintreten, oder als Erhö- hung einer andern Strafe; ſie iſt dann der ſehr wirkſame Ausdruck der Verachtung, die der Staat durch ſeine Or- gane gegen einen Einzelnen ausſpricht. Allein um ſo zu wirken, muß ſie im einzelnen Fall beſonders ausgeſpro- chen werden; ſo lange ſie blos auf einer allgemeinen Re- gel beruht, bleibt ſie ohne lebendige Wirkung. Oder mit anderen Worten: dieſe Anſicht möchte noch etwa paſſen auf die ſogenannte mediata infamia (weil dabey der Rich- ter ein Urtheil ausſpricht), auf die immediata paßt ſie gar nicht. Und auch ſelbſt bey der mediata wird ſie da- durch bedenklich, daß die Römer ſie doch auch nur als die natürliche Folge des Urtheils anſahen, nie im Urtheil ſelbſt ausſprachen, welches gerade den lebendigen Eindruck der als Strafe gedachten Infamie ſo ſehr verſtärkt hätte. Eine öffentliche Meynung über Ehre oder Unehre der Einzelnen findet ſich überall: doppelt wichtig aber iſt ſie in einer Republik wie Rom, wo alle Macht und Hoheit 13*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/209
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/209>, abgerufen am 19.04.2024.