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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Irrthum und Unwissenheit.
Rechtsirrthum besonders angegeben, daß er dem Irrenden
nicht nütze (b).

Fragen wir jedoch nach dem Grund dieser verschiede-
nen Behandlung, so werden wir dadurch sogleich auf ein
höheres Princip zurückgeführt, welches uns zugleich nö-
thigt, jene beiden Regeln sehr zu beschränken.

Der Grund nämlich der günstigen Behandlung des fac-
tischen Irrthums wird darin gesetzt, daß es oft schwer,
ja unmöglich sey ihn zu vermeiden (c). Hieran knüpft sich
aber sogleich die natürliche Beschränkung, daß er Dem-
jenigen nicht zu gut kommen soll, welcher sich dabey in
einer groben Nachlässigkeit befindet (d). -- Die Anwen-
dung dieser beschränkenden Bestimmung kann nur in jedem
einzelnen Fall mit Sicherheit gemacht werden. Im Allge-
meinen wird angenommen, daß der Irrthum über eine
eigene Handlung oder über den eigenen Rechtszustand un-
zulässig sey, weil man darüber nicht ohne große Nachläs-
sigkeit irren könne (e). Doch darf dieses nur als eine Ver-
muthung gelten, indem auch ein solcher Irrthum zulässig
seyn kann, theils wegen der besonderen Beschaffenheit der
irrenden Person (f), theils wegen der eigenthümlichen, den

(b) L. 7 h. t., L. 11. 12 C. h. t.
(c) L. 2 h. t. "cum ... facti
interpretatio plerumque etiam
prudentissimos fallat."
(d) L. 3 § 1 L. 6 L. 9 §. 2
h. t., L. 11 § 11 de interrog.
(11. 1.), L. 3 pr. ad Sc. Mac.
(14. 6.), L. 15 § 1 de contr. emt.
(18. 1.), L. 14 § 10 L. 55 de ae-
dil. ed.
(21. 1.), L. 3 § 7. 8 L. 4
quod vi
(43. 24.).
(e) L. 3 pr. h. t., L. 6. 7 ad
Sc. Vell.
(16. 1.), L. 5 § 1 pro
suo
(41. 10.), L. 42 de R. J. (50.
17.).
(f) L. 2 § 7 de j. fisci (49. 14.)
"si ea persona sit, quae igno-
rare propter rusticitatem vel

Irrthum und Unwiſſenheit.
Rechtsirrthum beſonders angegeben, daß er dem Irrenden
nicht nütze (b).

Fragen wir jedoch nach dem Grund dieſer verſchiede-
nen Behandlung, ſo werden wir dadurch ſogleich auf ein
höheres Princip zurückgeführt, welches uns zugleich nö-
thigt, jene beiden Regeln ſehr zu beſchränken.

Der Grund nämlich der günſtigen Behandlung des fac-
tiſchen Irrthums wird darin geſetzt, daß es oft ſchwer,
ja unmöglich ſey ihn zu vermeiden (c). Hieran knüpft ſich
aber ſogleich die natürliche Beſchränkung, daß er Dem-
jenigen nicht zu gut kommen ſoll, welcher ſich dabey in
einer groben Nachläſſigkeit befindet (d). — Die Anwen-
dung dieſer beſchränkenden Beſtimmung kann nur in jedem
einzelnen Fall mit Sicherheit gemacht werden. Im Allge-
meinen wird angenommen, daß der Irrthum über eine
eigene Handlung oder über den eigenen Rechtszuſtand un-
zuläſſig ſey, weil man darüber nicht ohne große Nachläſ-
ſigkeit irren könne (e). Doch darf dieſes nur als eine Ver-
muthung gelten, indem auch ein ſolcher Irrthum zuläſſig
ſeyn kann, theils wegen der beſonderen Beſchaffenheit der
irrenden Perſon (f), theils wegen der eigenthümlichen, den

(b) L. 7 h. t., L. 11. 12 C. h. t.
(c) L. 2 h. t. „cum … facti
interpretatio plerumque etiam
prudentissimos fallat.”
(d) L. 3 § 1 L. 6 L. 9 §. 2
h. t., L. 11 § 11 de interrog.
(11. 1.), L. 3 pr. ad Sc. Mac.
(14. 6.), L. 15 § 1 de contr. emt.
(18. 1.), L. 14 § 10 L. 55 de ae-
dil. ed.
(21. 1.), L. 3 § 7. 8 L. 4
quod vi
(43. 24.).
(e) L. 3 pr. h. t., L. 6. 7 ad
Sc. Vell.
(16. 1.), L. 5 § 1 pro
suo
(41. 10.), L. 42 de R. J. (50.
17.).
(f) L. 2 § 7 de j. fisci (49. 14.)
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rare propter rusticitatem vel
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[333/0345] Irrthum und Unwiſſenheit. Rechtsirrthum beſonders angegeben, daß er dem Irrenden nicht nütze (b). Fragen wir jedoch nach dem Grund dieſer verſchiede- nen Behandlung, ſo werden wir dadurch ſogleich auf ein höheres Princip zurückgeführt, welches uns zugleich nö- thigt, jene beiden Regeln ſehr zu beſchränken. Der Grund nämlich der günſtigen Behandlung des fac- tiſchen Irrthums wird darin geſetzt, daß es oft ſchwer, ja unmöglich ſey ihn zu vermeiden (c). Hieran knüpft ſich aber ſogleich die natürliche Beſchränkung, daß er Dem- jenigen nicht zu gut kommen ſoll, welcher ſich dabey in einer groben Nachläſſigkeit befindet (d). — Die Anwen- dung dieſer beſchränkenden Beſtimmung kann nur in jedem einzelnen Fall mit Sicherheit gemacht werden. Im Allge- meinen wird angenommen, daß der Irrthum über eine eigene Handlung oder über den eigenen Rechtszuſtand un- zuläſſig ſey, weil man darüber nicht ohne große Nachläſ- ſigkeit irren könne (e). Doch darf dieſes nur als eine Ver- muthung gelten, indem auch ein ſolcher Irrthum zuläſſig ſeyn kann, theils wegen der beſonderen Beſchaffenheit der irrenden Perſon (f), theils wegen der eigenthümlichen, den (b) L. 7 h. t., L. 11. 12 C. h. t. (c) L. 2 h. t. „cum … facti interpretatio plerumque etiam prudentissimos fallat.” (d) L. 3 § 1 L. 6 L. 9 §. 2 h. t., L. 11 § 11 de interrog. (11. 1.), L. 3 pr. ad Sc. Mac. (14. 6.), L. 15 § 1 de contr. emt. (18. 1.), L. 14 § 10 L. 55 de ae- dil. ed. (21. 1.), L. 3 § 7. 8 L. 4 quod vi (43. 24.). (e) L. 3 pr. h. t., L. 6. 7 ad Sc. Vell. (16. 1.), L. 5 § 1 pro suo (41. 10.), L. 42 de R. J. (50. 17.). (f) L. 2 § 7 de j. fisci (49. 14.) „si ea persona sit, quae igno- rare propter rusticitatem vel

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/345>, abgerufen am 25.04.2024.