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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Irrthum und Unwissenheit.
Tradition ist vollgültig. In dieser regelmäßigen Unwirk-
samkeit des Irrthums liegt sogar die einzige Rettung des
Verkehrs gegen gränzenlose Unsicherheit und Willkühr. Sie
muß zugleich behauptet werden im Gegensatz jeder an sich
denkbaren Form der Einwirkung (Num. II.). Es ist also
der durch Irrthum veranlaßte Vertrag weder schon an sich
selbst ungültig, noch auch durch eine gewöhnliche Klage
oder durch eine Restitution zu entkräften möglich (a).

Der aufgestellte Satz ist gleich wahr, der Irrthum mag
nun den Werth und die Brauchbarkeit des Gegenstandes
(welches der häufigste Fall ist) betreffen, oder aber das
Rechtsverhältniß des Irrenden zu diesem Gegenstand. Wenn
ich also meine Sache, deren Eigenthum ich dem Titius
irrig zuschreibe, im Auftrag des Titius veräußere, so ist
diese Veräußerung dennoch für mich bindend (b). -- Fer-
ner ist der Satz wahr, nicht blos in der gewöhnlich be-
achteten Bedeutung, daß der Irrende nicht verlangen kann,
um des Irrthums willen von den nachtheiligen Folgen des
Geschäfts befreyt zu werden; sondern auch in der umge-
kehrten Bedeutung, daß der Irrende die Vortheile des an
sich gültigen Geschäfts behaupten kann, wenngleich er irrig

(a) Der hier aufgestellte Grund-
satz ist auch schon dargestellt und
gegen die widersprechenden Be-
hauptungen anderer Schriftsteller
vertheidigt worden von Thi-
baut
, Versuche B. 2 Abhand-
lung 4 Num. II.
(b) L. 49 § 1 mandati (17. 1.).
Scheinbar widersprechend ist L. 35
de adqu. rer. dom.
(41. 1.), die
jedoch von der Verwechslung
zweyer verschiedener Sachen bey
der Tradition (error in corpore)
verstanden werden muß. Vgl.
Thibaut Versuche B. 2 S. 107.
23*

Irrthum und Unwiſſenheit.
Tradition iſt vollgültig. In dieſer regelmäßigen Unwirk-
ſamkeit des Irrthums liegt ſogar die einzige Rettung des
Verkehrs gegen gränzenloſe Unſicherheit und Willkühr. Sie
muß zugleich behauptet werden im Gegenſatz jeder an ſich
denkbaren Form der Einwirkung (Num. II.). Es iſt alſo
der durch Irrthum veranlaßte Vertrag weder ſchon an ſich
ſelbſt ungültig, noch auch durch eine gewöhnliche Klage
oder durch eine Reſtitution zu entkräften möglich (a).

Der aufgeſtellte Satz iſt gleich wahr, der Irrthum mag
nun den Werth und die Brauchbarkeit des Gegenſtandes
(welches der häufigſte Fall iſt) betreffen, oder aber das
Rechtsverhältniß des Irrenden zu dieſem Gegenſtand. Wenn
ich alſo meine Sache, deren Eigenthum ich dem Titius
irrig zuſchreibe, im Auftrag des Titius veräußere, ſo iſt
dieſe Veräußerung dennoch für mich bindend (b). — Fer-
ner iſt der Satz wahr, nicht blos in der gewoͤhnlich be-
achteten Bedeutung, daß der Irrende nicht verlangen kann,
um des Irrthums willen von den nachtheiligen Folgen des
Geſchäfts befreyt zu werden; ſondern auch in der umge-
kehrten Bedeutung, daß der Irrende die Vortheile des an
ſich gültigen Geſchäfts behaupten kann, wenngleich er irrig

(a) Der hier aufgeſtellte Grund-
ſatz iſt auch ſchon dargeſtellt und
gegen die widerſprechenden Be-
hauptungen anderer Schriftſteller
vertheidigt worden von Thi-
baut
, Verſuche B. 2 Abhand-
lung 4 Num. II.
(b) L. 49 § 1 mandati (17. 1.).
Scheinbar widerſprechend iſt L. 35
de adqu. rer. dom.
(41. 1.), die
jedoch von der Verwechslung
zweyer verſchiedener Sachen bey
der Tradition (error in corpore)
verſtanden werden muß. Vgl.
Thibaut Verſuche B. 2 S. 107.
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[355/0367] Irrthum und Unwiſſenheit. Tradition iſt vollgültig. In dieſer regelmäßigen Unwirk- ſamkeit des Irrthums liegt ſogar die einzige Rettung des Verkehrs gegen gränzenloſe Unſicherheit und Willkühr. Sie muß zugleich behauptet werden im Gegenſatz jeder an ſich denkbaren Form der Einwirkung (Num. II.). Es iſt alſo der durch Irrthum veranlaßte Vertrag weder ſchon an ſich ſelbſt ungültig, noch auch durch eine gewöhnliche Klage oder durch eine Reſtitution zu entkräften möglich (a). Der aufgeſtellte Satz iſt gleich wahr, der Irrthum mag nun den Werth und die Brauchbarkeit des Gegenſtandes (welches der häufigſte Fall iſt) betreffen, oder aber das Rechtsverhältniß des Irrenden zu dieſem Gegenſtand. Wenn ich alſo meine Sache, deren Eigenthum ich dem Titius irrig zuſchreibe, im Auftrag des Titius veräußere, ſo iſt dieſe Veräußerung dennoch für mich bindend (b). — Fer- ner iſt der Satz wahr, nicht blos in der gewoͤhnlich be- achteten Bedeutung, daß der Irrende nicht verlangen kann, um des Irrthums willen von den nachtheiligen Folgen des Geſchäfts befreyt zu werden; ſondern auch in der umge- kehrten Bedeutung, daß der Irrende die Vortheile des an ſich gültigen Geſchäfts behaupten kann, wenngleich er irrig (a) Der hier aufgeſtellte Grund- ſatz iſt auch ſchon dargeſtellt und gegen die widerſprechenden Be- hauptungen anderer Schriftſteller vertheidigt worden von Thi- baut, Verſuche B. 2 Abhand- lung 4 Num. II. (b) L. 49 § 1 mandati (17. 1.). Scheinbar widerſprechend iſt L. 35 de adqu. rer. dom. (41. 1.), die jedoch von der Verwechslung zweyer verſchiedener Sachen bey der Tradition (error in corpore) verſtanden werden muß. Vgl. Thibaut Verſuche B. 2 S. 107. 23*

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/367>, abgerufen am 28.03.2024.