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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Irrthum und Unwissenheit.
Unbekanntschaft mit dem Strafgesetz gegen den Diebstahl
würde ihn, da der Diebstahl schon nach dem jus gentium
verboten ist, selbst dann nicht schützen, wenn er zu jenen
begünstigten Klassen von Personen gehörte (Num. XX.).

Eben so, wer eine Sache, die er für sein hält, mit
Gewalt wegnimmt, unbekannt mit dem Verbot der Selbst-
hülfe, ist frey von der actio vi bonorum raptorum, weil
zu dieser das Bewußtseyn der Eigenthumsverletzung erfor-
dert wird. Um dieser Entschuldigung zu begegnen, haben
daher die Kaiser auch schon die bloße Selbsthülfe mit
schwerer Strafe bedroht (b). Offenbar liegt dabey die
Voraussetzung zum Grunde, die Unbekanntschaft mit dem
Gesetz gegen die Selbsthülfe befreye nicht von der Strafe
der Selbsthülfe, so wie die Unbekanntschaft mit dem Edict
vi bonorum raptorum nicht von dieser prätorischen Straf-
klage befreye. Beide Strafbestimmungen hatten auch nicht
einmal eine streng positive Natur, sie waren vielmehr in
dem natürlichen Rechtsgefühl gegründet.

Der Incest wird natürlich immer ausgeschlossen durch
die factische Unbekanntschaft mit dem Verwandtschaftsver-
hältniß (c). Dagegen soll der Rechtsirrthum, das heißt
die Unbekanntschaft mit dem Eheverbot, nur ausnahms-
weise entschuldigen: 1. die Frauen, jedoch nur wenn der
Incest juris civilis, nicht gentium, also begangen mit Sei-
tenverwandten, nicht mit Ascendenten oder Descendenten,

(b) § 1 J. de vi bon. rapt.
(4. 2.).
(c) L. 4 C. de incestis (5. 5.).

Irrthum und Unwiſſenheit.
Unbekanntſchaft mit dem Strafgeſetz gegen den Diebſtahl
würde ihn, da der Diebſtahl ſchon nach dem jus gentium
verboten iſt, ſelbſt dann nicht ſchützen, wenn er zu jenen
begünſtigten Klaſſen von Perſonen gehörte (Num. XX.).

Eben ſo, wer eine Sache, die er für ſein hält, mit
Gewalt wegnimmt, unbekannt mit dem Verbot der Selbſt-
hülfe, iſt frey von der actio vi bonorum raptorum, weil
zu dieſer das Bewußtſeyn der Eigenthumsverletzung erfor-
dert wird. Um dieſer Entſchuldigung zu begegnen, haben
daher die Kaiſer auch ſchon die bloße Selbſthülfe mit
ſchwerer Strafe bedroht (b). Offenbar liegt dabey die
Vorausſetzung zum Grunde, die Unbekanntſchaft mit dem
Geſetz gegen die Selbſthülfe befreye nicht von der Strafe
der Selbſthülfe, ſo wie die Unbekanntſchaft mit dem Edict
vi bonorum raptorum nicht von dieſer prätoriſchen Straf-
klage befreye. Beide Strafbeſtimmungen hatten auch nicht
einmal eine ſtreng poſitive Natur, ſie waren vielmehr in
dem natürlichen Rechtsgefühl gegründet.

Der Inceſt wird natürlich immer ausgeſchloſſen durch
die factiſche Unbekanntſchaft mit dem Verwandtſchaftsver-
hältniß (c). Dagegen ſoll der Rechtsirrthum, das heißt
die Unbekanntſchaft mit dem Eheverbot, nur ausnahms-
weiſe entſchuldigen: 1. die Frauen, jedoch nur wenn der
Inceſt juris civilis, nicht gentium, alſo begangen mit Sei-
tenverwandten, nicht mit Aſcendenten oder Deſcendenten,

(b) § 1 J. de vi bon. rapt.
(4. 2.).
(c) L. 4 C. de incestis (5. 5.).
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[391/0403] Irrthum und Unwiſſenheit. Unbekanntſchaft mit dem Strafgeſetz gegen den Diebſtahl würde ihn, da der Diebſtahl ſchon nach dem jus gentium verboten iſt, ſelbſt dann nicht ſchützen, wenn er zu jenen begünſtigten Klaſſen von Perſonen gehörte (Num. XX.). Eben ſo, wer eine Sache, die er für ſein hält, mit Gewalt wegnimmt, unbekannt mit dem Verbot der Selbſt- hülfe, iſt frey von der actio vi bonorum raptorum, weil zu dieſer das Bewußtſeyn der Eigenthumsverletzung erfor- dert wird. Um dieſer Entſchuldigung zu begegnen, haben daher die Kaiſer auch ſchon die bloße Selbſthülfe mit ſchwerer Strafe bedroht (b). Offenbar liegt dabey die Vorausſetzung zum Grunde, die Unbekanntſchaft mit dem Geſetz gegen die Selbſthülfe befreye nicht von der Strafe der Selbſthülfe, ſo wie die Unbekanntſchaft mit dem Edict vi bonorum raptorum nicht von dieſer prätoriſchen Straf- klage befreye. Beide Strafbeſtimmungen hatten auch nicht einmal eine ſtreng poſitive Natur, ſie waren vielmehr in dem natürlichen Rechtsgefühl gegründet. Der Inceſt wird natürlich immer ausgeſchloſſen durch die factiſche Unbekanntſchaft mit dem Verwandtſchaftsver- hältniß (c). Dagegen ſoll der Rechtsirrthum, das heißt die Unbekanntſchaft mit dem Eheverbot, nur ausnahms- weiſe entſchuldigen: 1. die Frauen, jedoch nur wenn der Inceſt juris civilis, nicht gentium, alſo begangen mit Sei- tenverwandten, nicht mit Aſcendenten oder Deſcendenten, (b) § 1 J. de vi bon. rapt. (4. 2.). (c) L. 4 C. de incestis (5. 5.).

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/403>, abgerufen am 24.04.2024.