Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Irrthum und Unwissenheit.
geln angewendet werden, welche eben über den Irrthum
bey der Usucapion aufgestellt worden sind (Num. XV. XVI.).

Allein das canonische Recht hat für die Verjährung
zwey neue und wichtige beschränkende Regeln aufgestellt:
die bona fides soll bey jeder Verjährung nöthig seyn, und
sie soll während der ganzen Verjährungsfrist fortdauern (a),
anstatt daß sie das Römische Recht, da wo sie überhaupt
nöthig war (bey der Usucapion und l. t. praescriptio) doch
nur für den Anfang des Besitzes erforderte. Was nun
die erste neue Bestimmung betrifft, so ist anzunehmen,
daß das canonische Recht, abweichend von dem Römi-
schen Sprachgebrauch, unter praescriptio jede durch Zeit-
lauf bewirkte Rechtsänderung begreift, also die Usucapion
und die Klagverjährung zugleich; und als Klagverjäh-
rung nicht blos die longi temporis praescriptio, sondern
gewiß auch die dreyßigjährige, welche die wichtigste unter
allen ist. Jedoch diese, nach der richtigern Meynung,
nicht in allen Fällen, sondern nur insofern sie zum Schutz
eines Besitzverhältnisses des Beklagten geltend ge-
macht wird (b). Daher schließt das unredliche Bewußt-

(a) C. 5 und C. 20 X. de prae-
script
.
(2. 26.). -- Die aus Au-
gustin genommene Stelle c. 5
C. 34 q.
1 sagt nur, daß der An-
fangs redliche Besitzer durch spä-
teres Bewußtseyn des fremden
Rechts ein injustus oder m. f.
possessor
werde. Das ist auch
schon nach R. R. wahr, aber es
folgt daraus noch nicht die Un-
terbrechung der Verjährung. Gra-
tian selbst trägt vielmehr noch
das reine Römische Recht vor.
(Additio ad c. 15 C. 16 q. 3).
Daher ist denn der Anfang des
neuen Rechtssatzes auf die ange-
führten Decretalen von Alexan-
der III. und Innocenz III. zurück
zu führen.
(b) Unterholzner Verjäh-
rungslehre § 92.

Irrthum und Unwiſſenheit.
geln angewendet werden, welche eben über den Irrthum
bey der Uſucapion aufgeſtellt worden ſind (Num. XV. XVI.).

Allein das canoniſche Recht hat für die Verjährung
zwey neue und wichtige beſchränkende Regeln aufgeſtellt:
die bona fides ſoll bey jeder Verjährung noͤthig ſeyn, und
ſie ſoll während der ganzen Verjährungsfriſt fortdauern (a),
anſtatt daß ſie das Römiſche Recht, da wo ſie überhaupt
nöthig war (bey der Uſucapion und l. t. praescriptio) doch
nur für den Anfang des Beſitzes erforderte. Was nun
die erſte neue Beſtimmung betrifft, ſo iſt anzunehmen,
daß das canoniſche Recht, abweichend von dem Roͤmi-
ſchen Sprachgebrauch, unter praescriptio jede durch Zeit-
lauf bewirkte Rechtsänderung begreift, alſo die Uſucapion
und die Klagverjährung zugleich; und als Klagverjäh-
rung nicht blos die longi temporis praescriptio, ſondern
gewiß auch die dreyßigjährige, welche die wichtigſte unter
allen iſt. Jedoch dieſe, nach der richtigern Meynung,
nicht in allen Fällen, ſondern nur inſofern ſie zum Schutz
eines Beſitzverhältniſſes des Beklagten geltend ge-
macht wird (b). Daher ſchließt das unredliche Bewußt-

(a) C. 5 und C. 20 X. de prae-
script
.
(2. 26.). — Die aus Au-
guſtin genommene Stelle c. 5
C. 34 q.
1 ſagt nur, daß der An-
fangs redliche Beſitzer durch ſpä-
teres Bewußtſeyn des fremden
Rechts ein injustus oder m. f.
possessor
werde. Das iſt auch
ſchon nach R. R. wahr, aber es
folgt daraus noch nicht die Un-
terbrechung der Verjährung. Gra-
tian ſelbſt trägt vielmehr noch
das reine Römiſche Recht vor.
(Additio ad c. 15 C. 16 q. 3).
Daher iſt denn der Anfang des
neuen Rechtsſatzes auf die ange-
führten Decretalen von Alexan-
der III. und Innocenz III. zurück
zu führen.
(b) Unterholzner Verjäh-
rungslehre § 92.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0411" n="399"/><fw place="top" type="header">Irrthum und Unwi&#x017F;&#x017F;enheit.</fw><lb/>
geln angewendet werden, welche eben über den Irrthum<lb/>
bey der U&#x017F;ucapion aufge&#x017F;tellt worden &#x017F;ind (Num. <hi rendition="#aq">XV. XVI.</hi>).</p><lb/>
          <p>Allein das canoni&#x017F;che Recht hat für die Verjährung<lb/>
zwey neue und wichtige be&#x017F;chränkende Regeln aufge&#x017F;tellt:<lb/>
die <hi rendition="#aq">bona fides</hi> &#x017F;oll bey jeder Verjährung no&#x0364;thig &#x017F;eyn, und<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;oll während der ganzen Verjährungsfri&#x017F;t fortdauern <note place="foot" n="(a)"><hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">C.</hi></hi> 5 und <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">C.</hi> 20 X. <hi rendition="#i">de prae-<lb/>
script</hi>.</hi> (2. 26.). &#x2014; Die aus Au-<lb/>
gu&#x017F;tin genommene Stelle <hi rendition="#aq">c. 5<lb/>
C. 34 q.</hi> 1 &#x017F;agt nur, daß der An-<lb/>
fangs redliche Be&#x017F;itzer durch &#x017F;pä-<lb/>
teres Bewußt&#x017F;eyn des fremden<lb/>
Rechts ein <hi rendition="#aq">injustus</hi> oder <hi rendition="#aq">m. f.<lb/>
possessor</hi> werde. Das i&#x017F;t auch<lb/>
&#x017F;chon nach R. R. wahr, aber es<lb/>
folgt daraus noch nicht die Un-<lb/>
terbrechung der Verjährung. Gra-<lb/>
tian &#x017F;elb&#x017F;t trägt vielmehr noch<lb/>
das reine Römi&#x017F;che Recht vor.<lb/>
(<hi rendition="#aq">Additio ad c. 15 C. 16 q.</hi> 3).<lb/>
Daher i&#x017F;t denn der Anfang des<lb/>
neuen Rechts&#x017F;atzes auf die ange-<lb/>
führten Decretalen von Alexan-<lb/>
der <hi rendition="#aq">III.</hi> und Innocenz <hi rendition="#aq">III.</hi> zurück<lb/>
zu führen.</note>,<lb/>
an&#x017F;tatt daß &#x017F;ie das Römi&#x017F;che Recht, da wo &#x017F;ie überhaupt<lb/>
nöthig war (bey der U&#x017F;ucapion und <hi rendition="#aq">l. t. praescriptio</hi>) doch<lb/>
nur für den Anfang des Be&#x017F;itzes erforderte. Was nun<lb/>
die er&#x017F;te neue Be&#x017F;timmung betrifft, &#x017F;o i&#x017F;t anzunehmen,<lb/>
daß das canoni&#x017F;che Recht, abweichend von dem Ro&#x0364;mi-<lb/>
&#x017F;chen Sprachgebrauch, unter <hi rendition="#aq">praescriptio</hi> jede durch Zeit-<lb/>
lauf bewirkte Rechtsänderung begreift, al&#x017F;o die U&#x017F;ucapion<lb/>
und die Klagverjährung zugleich; und als Klagverjäh-<lb/>
rung nicht blos die <hi rendition="#aq">longi temporis praescriptio,</hi> &#x017F;ondern<lb/>
gewiß auch die dreyßigjährige, welche die wichtig&#x017F;te unter<lb/>
allen i&#x017F;t. Jedoch die&#x017F;e, nach der richtigern Meynung,<lb/>
nicht in allen Fällen, &#x017F;ondern nur in&#x017F;ofern &#x017F;ie zum Schutz<lb/>
eines <hi rendition="#g">Be&#x017F;itzverhältni&#x017F;&#x017F;es</hi> des Beklagten geltend ge-<lb/>
macht wird <note place="foot" n="(b)"><hi rendition="#g">Unterholzner</hi> Verjäh-<lb/>
rungslehre § 92.</note>. Daher &#x017F;chließt das unredliche Bewußt-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[399/0411] Irrthum und Unwiſſenheit. geln angewendet werden, welche eben über den Irrthum bey der Uſucapion aufgeſtellt worden ſind (Num. XV. XVI.). Allein das canoniſche Recht hat für die Verjährung zwey neue und wichtige beſchränkende Regeln aufgeſtellt: die bona fides ſoll bey jeder Verjährung noͤthig ſeyn, und ſie ſoll während der ganzen Verjährungsfriſt fortdauern (a), anſtatt daß ſie das Römiſche Recht, da wo ſie überhaupt nöthig war (bey der Uſucapion und l. t. praescriptio) doch nur für den Anfang des Beſitzes erforderte. Was nun die erſte neue Beſtimmung betrifft, ſo iſt anzunehmen, daß das canoniſche Recht, abweichend von dem Roͤmi- ſchen Sprachgebrauch, unter praescriptio jede durch Zeit- lauf bewirkte Rechtsänderung begreift, alſo die Uſucapion und die Klagverjährung zugleich; und als Klagverjäh- rung nicht blos die longi temporis praescriptio, ſondern gewiß auch die dreyßigjährige, welche die wichtigſte unter allen iſt. Jedoch dieſe, nach der richtigern Meynung, nicht in allen Fällen, ſondern nur inſofern ſie zum Schutz eines Beſitzverhältniſſes des Beklagten geltend ge- macht wird (b). Daher ſchließt das unredliche Bewußt- (a) C. 5 und C. 20 X. de prae- script. (2. 26.). — Die aus Au- guſtin genommene Stelle c. 5 C. 34 q. 1 ſagt nur, daß der An- fangs redliche Beſitzer durch ſpä- teres Bewußtſeyn des fremden Rechts ein injustus oder m. f. possessor werde. Das iſt auch ſchon nach R. R. wahr, aber es folgt daraus noch nicht die Un- terbrechung der Verjährung. Gra- tian ſelbſt trägt vielmehr noch das reine Römiſche Recht vor. (Additio ad c. 15 C. 16 q. 3). Daher iſt denn der Anfang des neuen Rechtsſatzes auf die ange- führten Decretalen von Alexan- der III. und Innocenz III. zurück zu führen. (b) Unterholzner Verjäh- rungslehre § 92.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/411
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/411>, abgerufen am 25.04.2024.