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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Irrthum und Unwissenheit.

Außerdem aber gehören dahin auch die Fälle des Straf-
rechts, worin die Frau aus Unkunde eines völlig positiven
Strafgesetzes (juris civilis) gefehlt hat. Hierin steht die
Frau mit dem Minderjährigen noch jetzt fast ganz auf
gleicher Linie. Als solche Fälle werden namentlich erwähnt:
Incestus juris civilis, Sc. Turpillianum, und das Vergehen
der Frau, welche in ein ihr dictirtes Testament Verfügun-
gen zu ihrem eigenen Vortheil aufnimmt; dieses letzte je-
doch nur unter besonderen, entschuldigenden Umständen
(Num. XXI.).

Dagegen kommt nun gewiß nicht mehr der Rechtsirr-
thum einer Frau zu gut in folgenden wichtigen Fällen:

Bey dem Titel einer Usucapion.
Bey der Frist der Bonorum Possessio (f).
Bey der Frist der Klagverjährung.

Denn für die dreyßigjährige ist ihr die Begünstigung aus-
drücklich untersagt (Num. XXVII.), für die kürzeren aber
ist sie ihr nicht besonders beygelegt, folglich kann sie dar-

aus Rechtsirrthum geleistete Zah-
lungen ausdehnen (I. 21 § 13),
und er führt zum Beweise an
die L. 5 C. de pactis (2. 3.).
Allein die Worte dieser Stelle
"cum et solutum per ignoran-
tiam
repeti potuisset"
können
eben so gut von einem factischen
Irrthum verstanden werden, be-
weisen also jene ausgedehnte Aus-
nahme nicht.
(f) Hier ist die Begünstigung
ausdrücklich verneint in L. 3 C.
h. t.,
und L. 6 C. qui admitti
(6. 9.). Beide Stellen sind älter
als die Verordnung des K. Leo.
Ob sie nun mit Rücksicht auf diese
interpolirt sind (was man ihnen
allerdings nicht ansieht), oder ob
den Frauen von jeher, bey der
B. P. allein, der Rechtsirrthum
weniger als in allen anderen Fäl-
len zu Hülfe kommen sollte, muß
unentschieden bleiben. Das Re-
sultat des neuesten Rechts ist un-
zweifelhaft.
28*
Irrthum und Unwiſſenheit.

Außerdem aber gehören dahin auch die Fälle des Straf-
rechts, worin die Frau aus Unkunde eines völlig poſitiven
Strafgeſetzes (juris civilis) gefehlt hat. Hierin ſteht die
Frau mit dem Minderjährigen noch jetzt faſt ganz auf
gleicher Linie. Als ſolche Fälle werden namentlich erwähnt:
Incestus juris civilis, Sc. Turpillianum, und das Vergehen
der Frau, welche in ein ihr dictirtes Teſtament Verfügun-
gen zu ihrem eigenen Vortheil aufnimmt; dieſes letzte je-
doch nur unter beſonderen, entſchuldigenden Umſtänden
(Num. XXI.).

Dagegen kommt nun gewiß nicht mehr der Rechtsirr-
thum einer Frau zu gut in folgenden wichtigen Fällen:

Bey dem Titel einer Uſucapion.
Bey der Friſt der Bonorum Possessio (f).
Bey der Friſt der Klagverjährung.

Denn für die dreyßigjährige iſt ihr die Begünſtigung aus-
drücklich unterſagt (Num. XXVII.), für die kürzeren aber
iſt ſie ihr nicht beſonders beygelegt, folglich kann ſie dar-

aus Rechtsirrthum geleiſtete Zah-
lungen ausdehnen (I. 21 § 13),
und er führt zum Beweiſe an
die L. 5 C. de pactis (2. 3.).
Allein die Worte dieſer Stelle
„cum et solutum per ignoran-
tiam
repeti potuisset”
können
eben ſo gut von einem factiſchen
Irrthum verſtanden werden, be-
weiſen alſo jene ausgedehnte Aus-
nahme nicht.
(f) Hier iſt die Begünſtigung
ausdrücklich verneint in L. 3 C.
h. t.,
und L. 6 C. qui admitti
(6. 9.). Beide Stellen ſind älter
als die Verordnung des K. Leo.
Ob ſie nun mit Rückſicht auf dieſe
interpolirt ſind (was man ihnen
allerdings nicht anſieht), oder ob
den Frauen von jeher, bey der
B. P. allein, der Rechtsirrthum
weniger als in allen anderen Fäl-
len zu Hülfe kommen ſollte, muß
unentſchieden bleiben. Das Re-
ſultat des neueſten Rechts iſt un-
zweifelhaft.
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[435/0447] Irrthum und Unwiſſenheit. Außerdem aber gehören dahin auch die Fälle des Straf- rechts, worin die Frau aus Unkunde eines völlig poſitiven Strafgeſetzes (juris civilis) gefehlt hat. Hierin ſteht die Frau mit dem Minderjährigen noch jetzt faſt ganz auf gleicher Linie. Als ſolche Fälle werden namentlich erwähnt: Incestus juris civilis, Sc. Turpillianum, und das Vergehen der Frau, welche in ein ihr dictirtes Teſtament Verfügun- gen zu ihrem eigenen Vortheil aufnimmt; dieſes letzte je- doch nur unter beſonderen, entſchuldigenden Umſtänden (Num. XXI.). Dagegen kommt nun gewiß nicht mehr der Rechtsirr- thum einer Frau zu gut in folgenden wichtigen Fällen: Bey dem Titel einer Uſucapion. Bey der Friſt der Bonorum Possessio (f). Bey der Friſt der Klagverjährung. Denn für die dreyßigjährige iſt ihr die Begünſtigung aus- drücklich unterſagt (Num. XXVII.), für die kürzeren aber iſt ſie ihr nicht beſonders beygelegt, folglich kann ſie dar- (e) (f) Hier iſt die Begünſtigung ausdrücklich verneint in L. 3 C. h. t., und L. 6 C. qui admitti (6. 9.). Beide Stellen ſind älter als die Verordnung des K. Leo. Ob ſie nun mit Rückſicht auf dieſe interpolirt ſind (was man ihnen allerdings nicht anſieht), oder ob den Frauen von jeher, bey der B. P. allein, der Rechtsirrthum weniger als in allen anderen Fäl- len zu Hülfe kommen ſollte, muß unentſchieden bleiben. Das Re- ſultat des neueſten Rechts iſt un- zweifelhaft. (e) aus Rechtsirrthum geleiſtete Zah- lungen ausdehnen (I. 21 § 13), und er führt zum Beweiſe an die L. 5 C. de pactis (2. 3.). Allein die Worte dieſer Stelle „cum et solutum per ignoran- tiam repeti potuisset” können eben ſo gut von einem factiſchen Irrthum verſtanden werden, be- weiſen alſo jene ausgedehnte Aus- nahme nicht. 28*

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/447>, abgerufen am 25.04.2024.