Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

geschiedener Klosterzelle mitnimmt, läßt sich nicht über Nacht ver-
wischen. Und Ekkehard gedachte, wie er oftmals möge von seiner
Betrachtung abgezogen werden, wenn geharnischter Fußtritt und Sporen-
klang oder leises Huschen dienender Mägde an seiner Thür vorüber-
streife oder wenn er sie selber, die Herrin der Burg, möge einher
gehen hören -- unbefangen wandte er sich an Frau Hadwig: Ich hab
ein Anliegen, hohe Frau!

Redet, sagte sie mild.

Möchtet Ihr mir nicht zu fothanem Gelaß ein fern gelegen Stüb-
lein zu weisen, -- und wenn's unterm Dach oder in einem der Wart-
thürme wäre. Der Wissenschaft wie des Gebetes Pflege heischt ein-
same Stille, Ihr kennet ja des Klosters Brauch.

Da legte sich eine leise Falte über Frau Hadwig's Stirn, eine
Wolke war's nicht, aber ein Wölklein. Ihr sehnet Euch danach, oft-
mals allein zu sein, frug sie spöttisch. Warum seid Ihr nicht in
Sanct Gallen geblieben?

Ekkehard neigte sich und schwieg.

Halt an, rief Frau Hadwig, es soll Euch geholfen werden. Seht
Euch das Gelaß an, in dem Vincentius, unser Capellan, bis an sein
selig End gehaust hat, der hat auch so einen Raubvogelgeschmack ge-
habt und war lieber der höchste auf Twiel als der bequemste. Praxe-
dis, hol' den großen Schlüsselbund und geleite unsern Gast.

Praxedis that nach dem Gebot. Das Gemach des seligen Capel-
lans war hoch oben im viereckigen Hauptthurm der Burg, langsam
stieg sie mit Ekkehard die finstere Wendeltreppe hinauf, der Schlüssel
knarrte schwer im lang nicht gedrehten Schloß. Sie traten ein. Da
sah's gut aus.

Wo ein gelehrter Mann gehaust, braucht's ein Stück Zeit, um
seine Spuren zu verwischen. Es war ein mäßiger Geviertraum, weiße
Wände, wenig Hausrath, Staub und Spinnweb allenthalb; auf dem
Eichentisch stand ein Büchslein mit Schreibsaft, längst war's einge-
trocknet, im Winkel ein Krug, drin vielleicht einst Wein gefunkelt, auf
einem Brett der Wandnische glänzten einige Bücher, aufgeschlagene
Pergamentrollen lagen dabei, aber, o Leidwesen! der Sturm hatte das
Fensterlein zerschlagen, der Paß in Vincentius Stube war seit seinem
Tod für Sonne und Regen, Mücken und Vögel frei geworden; eine

geſchiedener Kloſterzelle mitnimmt, läßt ſich nicht über Nacht ver-
wiſchen. Und Ekkehard gedachte, wie er oftmals möge von ſeiner
Betrachtung abgezogen werden, wenn geharniſchter Fußtritt und Sporen-
klang oder leiſes Huſchen dienender Mägde an ſeiner Thür vorüber-
ſtreife oder wenn er ſie ſelber, die Herrin der Burg, möge einher
gehen hören — unbefangen wandte er ſich an Frau Hadwig: Ich hab
ein Anliegen, hohe Frau!

Redet, ſagte ſie mild.

Möchtet Ihr mir nicht zu fothanem Gelaß ein fern gelegen Stüb-
lein zu weiſen, — und wenn's unterm Dach oder in einem der Wart-
thürme wäre. Der Wiſſenſchaft wie des Gebetes Pflege heiſcht ein-
ſame Stille, Ihr kennet ja des Kloſters Brauch.

Da legte ſich eine leiſe Falte über Frau Hadwig's Stirn, eine
Wolke war's nicht, aber ein Wölklein. Ihr ſehnet Euch danach, oft-
mals allein zu ſein, frug ſie ſpöttiſch. Warum ſeid Ihr nicht in
Sanct Gallen geblieben?

Ekkehard neigte ſich und ſchwieg.

Halt an, rief Frau Hadwig, es ſoll Euch geholfen werden. Seht
Euch das Gelaß an, in dem Vincentius, unſer Capellan, bis an ſein
ſelig End gehaust hat, der hat auch ſo einen Raubvogelgeſchmack ge-
habt und war lieber der höchſte auf Twiel als der bequemſte. Praxe-
dis, hol' den großen Schlüſſelbund und geleite unſern Gaſt.

Praxedis that nach dem Gebot. Das Gemach des ſeligen Capel-
lans war hoch oben im viereckigen Hauptthurm der Burg, langſam
ſtieg ſie mit Ekkehard die finſtere Wendeltreppe hinauf, der Schlüſſel
knarrte ſchwer im lang nicht gedrehten Schloß. Sie traten ein. Da
ſah's gut aus.

Wo ein gelehrter Mann gehaust, braucht's ein Stück Zeit, um
ſeine Spuren zu verwiſchen. Es war ein mäßiger Geviertraum, weiße
Wände, wenig Hausrath, Staub und Spinnweb allenthalb; auf dem
Eichentiſch ſtand ein Büchslein mit Schreibſaft, längſt war's einge-
trocknet, im Winkel ein Krug, drin vielleicht einſt Wein gefunkelt, auf
einem Brett der Wandniſche glänzten einige Bücher, aufgeſchlagene
Pergamentrollen lagen dabei, aber, o Leidweſen! der Sturm hatte das
Fenſterlein zerſchlagen, der Paß in Vincentius Stube war ſeit ſeinem
Tod für Sonne und Regen, Mücken und Vögel frei geworden; eine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0101" n="79"/>
ge&#x017F;chiedener Klo&#x017F;terzelle mitnimmt, läßt &#x017F;ich nicht über Nacht ver-<lb/>
wi&#x017F;chen. Und Ekkehard gedachte, wie er oftmals möge von &#x017F;einer<lb/>
Betrachtung abgezogen werden, wenn geharni&#x017F;chter Fußtritt und Sporen-<lb/>
klang oder lei&#x017F;es Hu&#x017F;chen dienender Mägde an &#x017F;einer Thür vorüber-<lb/>
&#x017F;treife oder wenn er &#x017F;ie &#x017F;elber, die Herrin der Burg, möge einher<lb/>
gehen hören &#x2014; unbefangen wandte er &#x017F;ich an Frau Hadwig: Ich hab<lb/>
ein Anliegen, hohe Frau!</p><lb/>
        <p>Redet, &#x017F;agte &#x017F;ie mild.</p><lb/>
        <p>Möchtet Ihr mir nicht zu fothanem Gelaß ein fern gelegen Stüb-<lb/>
lein zu wei&#x017F;en, &#x2014; und wenn's unterm Dach oder in einem der Wart-<lb/>
thürme wäre. Der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft wie des Gebetes Pflege hei&#x017F;cht ein-<lb/>
&#x017F;ame Stille, Ihr kennet ja des Klo&#x017F;ters Brauch.</p><lb/>
        <p>Da legte &#x017F;ich eine lei&#x017F;e Falte über Frau Hadwig's Stirn, eine<lb/>
Wolke war's nicht, aber ein Wölklein. Ihr &#x017F;ehnet Euch danach, oft-<lb/>
mals allein zu &#x017F;ein, frug &#x017F;ie &#x017F;pötti&#x017F;ch. Warum &#x017F;eid Ihr nicht in<lb/>
Sanct Gallen geblieben?</p><lb/>
        <p>Ekkehard neigte &#x017F;ich und &#x017F;chwieg.</p><lb/>
        <p>Halt an, rief Frau Hadwig, es &#x017F;oll Euch geholfen werden. Seht<lb/>
Euch das Gelaß an, in dem Vincentius, un&#x017F;er Capellan, bis an &#x017F;ein<lb/>
&#x017F;elig End gehaust hat, der hat auch &#x017F;o einen Raubvogelge&#x017F;chmack ge-<lb/>
habt und war lieber der höch&#x017F;te auf Twiel als der bequem&#x017F;te. Praxe-<lb/>
dis, hol' den großen Schlü&#x017F;&#x017F;elbund und geleite un&#x017F;ern Ga&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Praxedis that nach dem Gebot. Das Gemach des &#x017F;eligen Capel-<lb/>
lans war hoch oben im viereckigen Hauptthurm der Burg, lang&#x017F;am<lb/>
&#x017F;tieg &#x017F;ie mit Ekkehard die fin&#x017F;tere Wendeltreppe hinauf, der Schlü&#x017F;&#x017F;el<lb/>
knarrte &#x017F;chwer im lang nicht gedrehten Schloß. Sie traten ein. Da<lb/>
&#x017F;ah's gut aus.</p><lb/>
        <p>Wo ein gelehrter Mann gehaust, braucht's ein Stück Zeit, um<lb/>
&#x017F;eine Spuren zu verwi&#x017F;chen. Es war ein mäßiger Geviertraum, weiße<lb/>
Wände, wenig Hausrath, Staub und Spinnweb allenthalb; auf dem<lb/>
Eichenti&#x017F;ch &#x017F;tand ein Büchslein mit Schreib&#x017F;aft, läng&#x017F;t war's einge-<lb/>
trocknet, im Winkel ein Krug, drin vielleicht ein&#x017F;t Wein gefunkelt, auf<lb/>
einem Brett der Wandni&#x017F;che glänzten einige Bücher, aufge&#x017F;chlagene<lb/>
Pergamentrollen lagen dabei, aber, o Leidwe&#x017F;en! der Sturm hatte das<lb/>
Fen&#x017F;terlein zer&#x017F;chlagen, der Paß in Vincentius Stube war &#x017F;eit &#x017F;einem<lb/>
Tod für Sonne und Regen, Mücken und Vögel frei geworden; eine<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0101] geſchiedener Kloſterzelle mitnimmt, läßt ſich nicht über Nacht ver- wiſchen. Und Ekkehard gedachte, wie er oftmals möge von ſeiner Betrachtung abgezogen werden, wenn geharniſchter Fußtritt und Sporen- klang oder leiſes Huſchen dienender Mägde an ſeiner Thür vorüber- ſtreife oder wenn er ſie ſelber, die Herrin der Burg, möge einher gehen hören — unbefangen wandte er ſich an Frau Hadwig: Ich hab ein Anliegen, hohe Frau! Redet, ſagte ſie mild. Möchtet Ihr mir nicht zu fothanem Gelaß ein fern gelegen Stüb- lein zu weiſen, — und wenn's unterm Dach oder in einem der Wart- thürme wäre. Der Wiſſenſchaft wie des Gebetes Pflege heiſcht ein- ſame Stille, Ihr kennet ja des Kloſters Brauch. Da legte ſich eine leiſe Falte über Frau Hadwig's Stirn, eine Wolke war's nicht, aber ein Wölklein. Ihr ſehnet Euch danach, oft- mals allein zu ſein, frug ſie ſpöttiſch. Warum ſeid Ihr nicht in Sanct Gallen geblieben? Ekkehard neigte ſich und ſchwieg. Halt an, rief Frau Hadwig, es ſoll Euch geholfen werden. Seht Euch das Gelaß an, in dem Vincentius, unſer Capellan, bis an ſein ſelig End gehaust hat, der hat auch ſo einen Raubvogelgeſchmack ge- habt und war lieber der höchſte auf Twiel als der bequemſte. Praxe- dis, hol' den großen Schlüſſelbund und geleite unſern Gaſt. Praxedis that nach dem Gebot. Das Gemach des ſeligen Capel- lans war hoch oben im viereckigen Hauptthurm der Burg, langſam ſtieg ſie mit Ekkehard die finſtere Wendeltreppe hinauf, der Schlüſſel knarrte ſchwer im lang nicht gedrehten Schloß. Sie traten ein. Da ſah's gut aus. Wo ein gelehrter Mann gehaust, braucht's ein Stück Zeit, um ſeine Spuren zu verwiſchen. Es war ein mäßiger Geviertraum, weiße Wände, wenig Hausrath, Staub und Spinnweb allenthalb; auf dem Eichentiſch ſtand ein Büchslein mit Schreibſaft, längſt war's einge- trocknet, im Winkel ein Krug, drin vielleicht einſt Wein gefunkelt, auf einem Brett der Wandniſche glänzten einige Bücher, aufgeſchlagene Pergamentrollen lagen dabei, aber, o Leidweſen! der Sturm hatte das Fenſterlein zerſchlagen, der Paß in Vincentius Stube war ſeit ſeinem Tod für Sonne und Regen, Mücken und Vögel frei geworden; eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/101
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/101>, abgerufen am 24.04.2024.