Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Jetzt war ein sonniger Spätherbsttag, da trieb er seine Ziegen an
den felsigen Hang des Berges und saß auf einem Steinblock und
schaute hinaus in's Land; hinter dunkelm Tannenwald leuchtete der
Bo[d]ensee, vorn war Alles herbstlich gefärbt -- dürres rothes Laub
trieb im Winde. Audifax aber saß und weinte bitterlich.

Damals hütete, was an Gänsen und Enten zum Hofe der Burg
gehörte, ein Mägdlein, deß Name war Hadumoth, die war einer alten
Magd Tochter und hatte ihren Vater nie gesehen. Es war Hadu-
moth ein braves Kind, rothwangig, blauäugig, und ließ das Haar in
zwei Zöpfe geflochten vom Haupt herunterfallen. Ihre Gänse hielt
sie in Zucht und guter Ordnung, sie reckten Manchem den langen
Hals entgegen und schnatterten wie thörichte Weiber, aber der Hirtin
trotzte keine, wenn sie ihren Stab schwang, gingen sie züchtig und sitt-
sam einher und enthielten sich jeglichen Lärmens. Oft weideten sie
vermischt zwischen den Ziegen des Audifax, denn Hadumoth hatte den
kurzgeschorenen Ziegenhirten nicht ungern und saß oft bei ihm und
schaute mit ihm in die blaue Luft hinaus -- und die Thiere merkten,
wie ihre Hüter zusammen standen, da hielten auch sie Freundschaft
miteinand. Jetzt trieb Hadumoth ihre Gänse auf die Berghalde her-
unter, und da sie der Ziegen Glöcklein drüben läuten hörte, sah sie
sich nach dem Hirten um. Und sie erschaute ihn, wie er weinte, und
ging hinüber, setzte sich zu ihm und sprach: Audifax, warum weinst
du? Der gab keine Antwort. Da legte Hadumoth ihren Arm um
seine Schulter, wendete sein lockenloses Haupt zu sich herüber und
sprach betrübt: Audifax, wenn du weinst, so will ich mit dir weinen.

Audifax aber suchte seine Thränen zu trockenen: Du brauchst nicht
zu weinen, sagte er, ich muß. Es ist Etwas in mir, daß ich wei-
nen muß.

Was ist in dir, daß du weinen mußt? frug sie. Da nahm er
einen der Steine, wie sie von den twieler Felswänden abgelöst da-
lagen, und warf ihn auf die anderen Steine. Der Stein war dünn
und gab einen Klang.

Hast du's gehört?

Ich hab's gehört, sagte Hadumoth, es klingt wie immer.

Hast du den Klang auch verstanden?

Nein.

Jetzt war ein ſonniger Spätherbſttag, da trieb er ſeine Ziegen an
den felſigen Hang des Berges und ſaß auf einem Steinblock und
ſchaute hinaus in's Land; hinter dunkelm Tannenwald leuchtete der
Bo[d]enſee, vorn war Alles herbſtlich gefärbt — dürres rothes Laub
trieb im Winde. Audifax aber ſaß und weinte bitterlich.

Damals hütete, was an Gänſen und Enten zum Hofe der Burg
gehörte, ein Mägdlein, deß Name war Hadumoth, die war einer alten
Magd Tochter und hatte ihren Vater nie geſehen. Es war Hadu-
moth ein braves Kind, rothwangig, blauäugig, und ließ das Haar in
zwei Zöpfe geflochten vom Haupt herunterfallen. Ihre Gänſe hielt
ſie in Zucht und guter Ordnung, ſie reckten Manchem den langen
Hals entgegen und ſchnatterten wie thörichte Weiber, aber der Hirtin
trotzte keine, wenn ſie ihren Stab ſchwang, gingen ſie züchtig und ſitt-
ſam einher und enthielten ſich jeglichen Lärmens. Oft weideten ſie
vermiſcht zwiſchen den Ziegen des Audifax, denn Hadumoth hatte den
kurzgeſchorenen Ziegenhirten nicht ungern und ſaß oft bei ihm und
ſchaute mit ihm in die blaue Luft hinaus — und die Thiere merkten,
wie ihre Hüter zuſammen ſtanden, da hielten auch ſie Freundſchaft
miteinand. Jetzt trieb Hadumoth ihre Gänſe auf die Berghalde her-
unter, und da ſie der Ziegen Glöcklein drüben läuten hörte, ſah ſie
ſich nach dem Hirten um. Und ſie erſchaute ihn, wie er weinte, und
ging hinüber, ſetzte ſich zu ihm und ſprach: Audifax, warum weinſt
du? Der gab keine Antwort. Da legte Hadumoth ihren Arm um
ſeine Schulter, wendete ſein lockenloſes Haupt zu ſich herüber und
ſprach betrübt: Audifax, wenn du weinſt, ſo will ich mit dir weinen.

Audifax aber ſuchte ſeine Thränen zu trockenen: Du brauchſt nicht
zu weinen, ſagte er, ich muß. Es iſt Etwas in mir, daß ich wei-
nen muß.

Was iſt in dir, daß du weinen mußt? frug ſie. Da nahm er
einen der Steine, wie ſie von den twieler Felswänden abgelöst da-
lagen, und warf ihn auf die anderen Steine. Der Stein war dünn
und gab einen Klang.

Haſt du's gehört?

Ich hab's gehört, ſagte Hadumoth, es klingt wie immer.

Haſt du den Klang auch verſtanden?

Nein.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0112" n="90"/>
        <p>Jetzt war ein &#x017F;onniger Spätherb&#x017F;ttag, da trieb er &#x017F;eine Ziegen an<lb/>
den fel&#x017F;igen Hang des Berges und &#x017F;aß auf einem Steinblock und<lb/>
&#x017F;chaute hinaus in's Land; hinter dunkelm Tannenwald leuchtete der<lb/>
Bo<supplied>d</supplied>en&#x017F;ee, vorn war Alles herb&#x017F;tlich gefärbt &#x2014; dürres rothes Laub<lb/>
trieb im Winde. Audifax aber &#x017F;aß und weinte bitterlich.</p><lb/>
        <p>Damals hütete, was an Gän&#x017F;en und Enten zum Hofe der Burg<lb/>
gehörte, ein Mägdlein, deß Name war Hadumoth, die war einer alten<lb/>
Magd Tochter und hatte ihren Vater nie ge&#x017F;ehen. Es war Hadu-<lb/>
moth ein braves Kind, rothwangig, blauäugig, und ließ das Haar in<lb/>
zwei Zöpfe geflochten vom Haupt herunterfallen. Ihre Gän&#x017F;e hielt<lb/>
&#x017F;ie in Zucht und guter Ordnung, &#x017F;ie reckten Manchem den langen<lb/>
Hals entgegen und &#x017F;chnatterten wie thörichte Weiber, aber der Hirtin<lb/>
trotzte keine, wenn &#x017F;ie ihren Stab &#x017F;chwang, gingen &#x017F;ie züchtig und &#x017F;itt-<lb/>
&#x017F;am einher und enthielten &#x017F;ich jeglichen Lärmens. Oft weideten &#x017F;ie<lb/>
vermi&#x017F;cht zwi&#x017F;chen den Ziegen des Audifax, denn Hadumoth hatte den<lb/>
kurzge&#x017F;chorenen Ziegenhirten nicht ungern und &#x017F;aß oft bei ihm und<lb/>
&#x017F;chaute mit ihm in die blaue Luft hinaus &#x2014; und die Thiere merkten,<lb/>
wie ihre Hüter zu&#x017F;ammen &#x017F;tanden, da hielten auch &#x017F;ie Freund&#x017F;chaft<lb/>
miteinand. Jetzt trieb Hadumoth ihre Gän&#x017F;e auf die Berghalde her-<lb/>
unter, und da &#x017F;ie der Ziegen Glöcklein drüben läuten hörte, &#x017F;ah &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich nach dem Hirten um. Und &#x017F;ie er&#x017F;chaute ihn, wie er weinte, und<lb/>
ging hinüber, &#x017F;etzte &#x017F;ich zu ihm und &#x017F;prach: Audifax, warum wein&#x017F;t<lb/>
du? Der gab keine Antwort. Da legte Hadumoth ihren Arm um<lb/>
&#x017F;eine Schulter, wendete &#x017F;ein lockenlo&#x017F;es Haupt zu &#x017F;ich herüber und<lb/>
&#x017F;prach betrübt: Audifax, wenn du wein&#x017F;t, &#x017F;o will ich mit dir weinen.</p><lb/>
        <p>Audifax aber &#x017F;uchte &#x017F;eine Thränen zu trockenen: Du brauch&#x017F;t nicht<lb/>
zu weinen, &#x017F;agte er, ich muß. Es i&#x017F;t Etwas in mir, daß ich wei-<lb/>
nen muß.</p><lb/>
        <p>Was i&#x017F;t in dir, daß du weinen mußt? frug &#x017F;ie. Da nahm er<lb/>
einen der Steine, wie &#x017F;ie von den twieler Felswänden abgelöst da-<lb/>
lagen, und warf ihn auf die anderen Steine. Der Stein war dünn<lb/>
und gab einen Klang.</p><lb/>
        <p>Ha&#x017F;t du's gehört?</p><lb/>
        <p>Ich hab's gehört, &#x017F;agte Hadumoth, es klingt wie immer.</p><lb/>
        <p>Ha&#x017F;t du den Klang auch ver&#x017F;tanden?</p><lb/>
        <p>Nein.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0112] Jetzt war ein ſonniger Spätherbſttag, da trieb er ſeine Ziegen an den felſigen Hang des Berges und ſaß auf einem Steinblock und ſchaute hinaus in's Land; hinter dunkelm Tannenwald leuchtete der Bodenſee, vorn war Alles herbſtlich gefärbt — dürres rothes Laub trieb im Winde. Audifax aber ſaß und weinte bitterlich. Damals hütete, was an Gänſen und Enten zum Hofe der Burg gehörte, ein Mägdlein, deß Name war Hadumoth, die war einer alten Magd Tochter und hatte ihren Vater nie geſehen. Es war Hadu- moth ein braves Kind, rothwangig, blauäugig, und ließ das Haar in zwei Zöpfe geflochten vom Haupt herunterfallen. Ihre Gänſe hielt ſie in Zucht und guter Ordnung, ſie reckten Manchem den langen Hals entgegen und ſchnatterten wie thörichte Weiber, aber der Hirtin trotzte keine, wenn ſie ihren Stab ſchwang, gingen ſie züchtig und ſitt- ſam einher und enthielten ſich jeglichen Lärmens. Oft weideten ſie vermiſcht zwiſchen den Ziegen des Audifax, denn Hadumoth hatte den kurzgeſchorenen Ziegenhirten nicht ungern und ſaß oft bei ihm und ſchaute mit ihm in die blaue Luft hinaus — und die Thiere merkten, wie ihre Hüter zuſammen ſtanden, da hielten auch ſie Freundſchaft miteinand. Jetzt trieb Hadumoth ihre Gänſe auf die Berghalde her- unter, und da ſie der Ziegen Glöcklein drüben läuten hörte, ſah ſie ſich nach dem Hirten um. Und ſie erſchaute ihn, wie er weinte, und ging hinüber, ſetzte ſich zu ihm und ſprach: Audifax, warum weinſt du? Der gab keine Antwort. Da legte Hadumoth ihren Arm um ſeine Schulter, wendete ſein lockenloſes Haupt zu ſich herüber und ſprach betrübt: Audifax, wenn du weinſt, ſo will ich mit dir weinen. Audifax aber ſuchte ſeine Thränen zu trockenen: Du brauchſt nicht zu weinen, ſagte er, ich muß. Es iſt Etwas in mir, daß ich wei- nen muß. Was iſt in dir, daß du weinen mußt? frug ſie. Da nahm er einen der Steine, wie ſie von den twieler Felswänden abgelöst da- lagen, und warf ihn auf die anderen Steine. Der Stein war dünn und gab einen Klang. Haſt du's gehört? Ich hab's gehört, ſagte Hadumoth, es klingt wie immer. Haſt du den Klang auch verſtanden? Nein.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/112
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/112>, abgerufen am 29.03.2024.