Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

schwang Einer über'm Haupt wie zum Einhauen: es thut sich! sprach
er, ich geh' auch mit!

An die Thüren der Pfarrherrn, der Alten und Bresthaften ward
geklopft; wer nicht ausziehen kann, soll beten; an alle Ufer des
Sees ging die Kunde, auch hinüber nach Sanct Gallen.

Auf die friedliche Insel Reichenau ging Ekkehard; die Herzogin
gebot's. Der Gang wär' ihm sauer gefallen, hätt' es sich um An-
deres gehandelt. Er brachte dem gesammten Kloster die Einladung
auf den hohen Twiel für die Zeit der Gefahr.

Dort war schon Alles in Bewegung. Beim Springbrunnen im
Klostergarten ergingen sich die Brüder; es war ein linder Frühlings-
tag; aber Keiner dachte ernsthaft dran, sich des blauen Himmels zu
freuen; sie sprachen von den bösen Zeiten und rathschlagten; es wollt'
ihnen schwer einleuchten, daß sie aus ihren stillen Mauern ausziehen
sollten.

Der heilige Marcus, hatte Einer gesagt, wird seine Schutzbefoh-
lenen schirmen und den Feind mit Blindheit schlagen, daß er vorbei-
reitet, oder das Grundgewelle des Bodensees aufschäumen lassen, daß
es ihn verschlinge wie das rothe Meer die Aegypter.

Aber der alte Simon Bardo sprach: Die Rechnung ist nicht ganz
sicher, und wenn ein Platz nicht sonst mit Thurm und Mauern um-
wallt ist, bleibt Abziehen räthlicher. Wo aber noch eines Schillings
Werth zu finden ist, da reitet kein Hunne vorbei; legt einem Todten
ein Goldstück auf's Grab, so wächst ihm noch die Hand aus der
Erde und greift danach.

Heiliger Pirminius! klagte der Bruder Gärtner, wer soll den
Kraut- und Gemüsgarten bestellen, wenn wir fort müssen? Und die
Hühner? sprach ein Anderer, dessen theuerste Kurzweil in Pflege des
Hühnerhofes bestund, haben wir die drei Dutzend welsche Hahnen für
den Feind ankaufen müssen?

Wenn man ihnen einen eindringlichen Brief schriebe, meinte ein
Dritter; sie werden doch keine solche Unmenschen sein, Gott und seine
Heiligen zu kränken.

Simon Bardo lächelte: Werd' ein Lämmerhirt, sprach er mitlei-
dig, und trink' einen Absud vom Kraut Camomilla, der du den
Hunnen eindringliche Briefe schreiben willst. O daß ich meinen alten

10*

ſchwang Einer über'm Haupt wie zum Einhauen: es thut ſich! ſprach
er, ich geh' auch mit!

An die Thüren der Pfarrherrn, der Alten und Breſthaften ward
geklopft; wer nicht ausziehen kann, ſoll beten; an alle Ufer des
Sees ging die Kunde, auch hinüber nach Sanct Gallen.

Auf die friedliche Inſel Reichenau ging Ekkehard; die Herzogin
gebot's. Der Gang wär' ihm ſauer gefallen, hätt' es ſich um An-
deres gehandelt. Er brachte dem geſammten Kloſter die Einladung
auf den hohen Twiel für die Zeit der Gefahr.

Dort war ſchon Alles in Bewegung. Beim Springbrunnen im
Kloſtergarten ergingen ſich die Brüder; es war ein linder Frühlings-
tag; aber Keiner dachte ernſthaft dran, ſich des blauen Himmels zu
freuen; ſie ſprachen von den böſen Zeiten und rathſchlagten; es wollt'
ihnen ſchwer einleuchten, daß ſie aus ihren ſtillen Mauern ausziehen
ſollten.

Der heilige Marcus, hatte Einer geſagt, wird ſeine Schutzbefoh-
lenen ſchirmen und den Feind mit Blindheit ſchlagen, daß er vorbei-
reitet, oder das Grundgewelle des Bodenſees aufſchäumen laſſen, daß
es ihn verſchlinge wie das rothe Meer die Aegypter.

Aber der alte Simon Bardo ſprach: Die Rechnung iſt nicht ganz
ſicher, und wenn ein Platz nicht ſonſt mit Thurm und Mauern um-
wallt iſt, bleibt Abziehen räthlicher. Wo aber noch eines Schillings
Werth zu finden iſt, da reitet kein Hunne vorbei; legt einem Todten
ein Goldſtück auf's Grab, ſo wächst ihm noch die Hand aus der
Erde und greift danach.

Heiliger Pirminius! klagte der Bruder Gärtner, wer ſoll den
Kraut- und Gemüsgarten beſtellen, wenn wir fort müſſen? Und die
Hühner? ſprach ein Anderer, deſſen theuerſte Kurzweil in Pflege des
Hühnerhofes beſtund, haben wir die drei Dutzend welſche Hahnen für
den Feind ankaufen müſſen?

Wenn man ihnen einen eindringlichen Brief ſchriebe, meinte ein
Dritter; ſie werden doch keine ſolche Unmenſchen ſein, Gott und ſeine
Heiligen zu kränken.

Simon Bardo lächelte: Werd' ein Lämmerhirt, ſprach er mitlei-
dig, und trink' einen Abſud vom Kraut Camomilla, der du den
Hunnen eindringliche Briefe ſchreiben willſt. O daß ich meinen alten

10*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0169" n="147"/>
&#x017F;chwang Einer über'm Haupt wie zum Einhauen: es thut &#x017F;ich! &#x017F;prach<lb/>
er, ich geh' auch mit!</p><lb/>
        <p>An die Thüren der Pfarrherrn, der Alten und Bre&#x017F;thaften ward<lb/>
geklopft; wer nicht ausziehen kann, &#x017F;oll beten; an alle Ufer des<lb/>
Sees ging die Kunde, auch hinüber nach Sanct Gallen.</p><lb/>
        <p>Auf die friedliche In&#x017F;el Reichenau ging Ekkehard; die Herzogin<lb/>
gebot's. Der Gang wär' ihm &#x017F;auer gefallen, hätt' es &#x017F;ich um An-<lb/>
deres gehandelt. Er brachte dem ge&#x017F;ammten Klo&#x017F;ter die Einladung<lb/>
auf den hohen Twiel für die Zeit der Gefahr.</p><lb/>
        <p>Dort war &#x017F;chon Alles in Bewegung. Beim Springbrunnen im<lb/>
Klo&#x017F;tergarten ergingen &#x017F;ich die Brüder; es war ein linder Frühlings-<lb/>
tag; aber Keiner dachte ern&#x017F;thaft dran, &#x017F;ich des blauen Himmels zu<lb/>
freuen; &#x017F;ie &#x017F;prachen von den bö&#x017F;en Zeiten und rath&#x017F;chlagten; es wollt'<lb/>
ihnen &#x017F;chwer einleuchten, daß &#x017F;ie aus ihren &#x017F;tillen Mauern ausziehen<lb/>
&#x017F;ollten.</p><lb/>
        <p>Der heilige Marcus, hatte Einer ge&#x017F;agt, wird &#x017F;eine Schutzbefoh-<lb/>
lenen &#x017F;chirmen und den Feind mit Blindheit &#x017F;chlagen, daß er vorbei-<lb/>
reitet, oder das Grundgewelle des Boden&#x017F;ees auf&#x017F;chäumen la&#x017F;&#x017F;en, daß<lb/>
es ihn ver&#x017F;chlinge wie das rothe Meer die Aegypter.</p><lb/>
        <p>Aber der alte Simon Bardo &#x017F;prach: Die Rechnung i&#x017F;t nicht ganz<lb/>
&#x017F;icher, und wenn ein Platz nicht &#x017F;on&#x017F;t mit Thurm und Mauern um-<lb/>
wallt i&#x017F;t, bleibt Abziehen räthlicher. Wo aber noch eines Schillings<lb/>
Werth zu finden i&#x017F;t, da reitet kein Hunne vorbei; legt einem Todten<lb/>
ein Gold&#x017F;tück auf's Grab, &#x017F;o wächst ihm noch die Hand aus der<lb/>
Erde und greift danach.</p><lb/>
        <p>Heiliger Pirminius! klagte der Bruder Gärtner, wer &#x017F;oll den<lb/>
Kraut- und Gemüsgarten be&#x017F;tellen, wenn wir fort mü&#x017F;&#x017F;en? Und die<lb/>
Hühner? &#x017F;prach ein Anderer, de&#x017F;&#x017F;en theuer&#x017F;te Kurzweil in Pflege des<lb/>
Hühnerhofes be&#x017F;tund, haben wir die drei Dutzend wel&#x017F;che Hahnen für<lb/>
den Feind ankaufen mü&#x017F;&#x017F;en?</p><lb/>
        <p>Wenn man ihnen einen eindringlichen Brief &#x017F;chriebe, meinte ein<lb/>
Dritter; &#x017F;ie werden doch keine &#x017F;olche Unmen&#x017F;chen &#x017F;ein, Gott und &#x017F;eine<lb/>
Heiligen zu kränken.</p><lb/>
        <p>Simon Bardo lächelte: Werd' ein Lämmerhirt, &#x017F;prach er mitlei-<lb/>
dig, und trink' einen Ab&#x017F;ud vom Kraut Camomilla, der du den<lb/>
Hunnen eindringliche Briefe &#x017F;chreiben will&#x017F;t. O daß ich meinen alten<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">10*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[147/0169] ſchwang Einer über'm Haupt wie zum Einhauen: es thut ſich! ſprach er, ich geh' auch mit! An die Thüren der Pfarrherrn, der Alten und Breſthaften ward geklopft; wer nicht ausziehen kann, ſoll beten; an alle Ufer des Sees ging die Kunde, auch hinüber nach Sanct Gallen. Auf die friedliche Inſel Reichenau ging Ekkehard; die Herzogin gebot's. Der Gang wär' ihm ſauer gefallen, hätt' es ſich um An- deres gehandelt. Er brachte dem geſammten Kloſter die Einladung auf den hohen Twiel für die Zeit der Gefahr. Dort war ſchon Alles in Bewegung. Beim Springbrunnen im Kloſtergarten ergingen ſich die Brüder; es war ein linder Frühlings- tag; aber Keiner dachte ernſthaft dran, ſich des blauen Himmels zu freuen; ſie ſprachen von den böſen Zeiten und rathſchlagten; es wollt' ihnen ſchwer einleuchten, daß ſie aus ihren ſtillen Mauern ausziehen ſollten. Der heilige Marcus, hatte Einer geſagt, wird ſeine Schutzbefoh- lenen ſchirmen und den Feind mit Blindheit ſchlagen, daß er vorbei- reitet, oder das Grundgewelle des Bodenſees aufſchäumen laſſen, daß es ihn verſchlinge wie das rothe Meer die Aegypter. Aber der alte Simon Bardo ſprach: Die Rechnung iſt nicht ganz ſicher, und wenn ein Platz nicht ſonſt mit Thurm und Mauern um- wallt iſt, bleibt Abziehen räthlicher. Wo aber noch eines Schillings Werth zu finden iſt, da reitet kein Hunne vorbei; legt einem Todten ein Goldſtück auf's Grab, ſo wächst ihm noch die Hand aus der Erde und greift danach. Heiliger Pirminius! klagte der Bruder Gärtner, wer ſoll den Kraut- und Gemüsgarten beſtellen, wenn wir fort müſſen? Und die Hühner? ſprach ein Anderer, deſſen theuerſte Kurzweil in Pflege des Hühnerhofes beſtund, haben wir die drei Dutzend welſche Hahnen für den Feind ankaufen müſſen? Wenn man ihnen einen eindringlichen Brief ſchriebe, meinte ein Dritter; ſie werden doch keine ſolche Unmenſchen ſein, Gott und ſeine Heiligen zu kränken. Simon Bardo lächelte: Werd' ein Lämmerhirt, ſprach er mitlei- dig, und trink' einen Abſud vom Kraut Camomilla, der du den Hunnen eindringliche Briefe ſchreiben willſt. O daß ich meinen alten 10*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/169
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/169>, abgerufen am 19.04.2024.