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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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schaukelndem Kahn über den Bodensee und nistete mich bei der
alten Linde am Abhang des Hohentwiel ein, wo jetzt ein treff-
licher schwäbischer Schultheiß die Trümmer der alten Feste be-
hütet, und stieg schließlich auch zu den luftigen Alpenhöhen des
Säntis, wo das Wildkirchlein keck wie ein Adlerhorst herunter-
schaut auf die grünen Appenzeller Thäler. Dort in den Revieren
des schwäbischen Meeres, die Seele erfüllt von dem Walten er-
loschener Geschlechter, das Herz erquickt von warmem Sonnen-
schein und würziger Bergluft, hab' ich diese Erzählung entworfen
und zum größten Theil niedergeschrieben.

Daß nicht viel darin gesagt ist, was sich nicht auf gewissen-
hafte culturgeschichtliche Studien stützt, darf wohl behauptet wer-
den, wenn auch Personen und Jahrzahlen, vielleicht Jahrzehnte
mitunter ein weniges in einander verschoben wurden. Der Dich-
ter darf sich, der innern Oeconomie seines Werkes zu lieb,
Manches erlauben, was dem strengen Historiker als Sünde an-
zurechnen wäre. Sagt doch selbst der unübertroffene Geschicht-
schreiber Macaulay: Gern will ich den Vorwurf tragen, die
würdige Höhe der Geschichte nicht eingehalten zu haben, wenn
es mir nur gelingt, den Engländern des neunzehnten Jahrhun-
derts ein treues Gemälde des Lebens ihrer Vorfahren vor-
zuführen.

Dem Wunsche sachverständiger Freunde entsprechend, sind in
Anmerkungen einige Zeugnisse und Nachweise der Quellen an-
geführt, zur Beruhigung derer, die sonst nur Fabel und müßige
Erfindung in dem Dargestellten zu wittern geneigt sein könnten.
Wer aber auch ohne solche Nachweise Vertrauen auf eine gewisse

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ſchaukelndem Kahn über den Bodenſee und niſtete mich bei der
alten Linde am Abhang des Hohentwiel ein, wo jetzt ein treff-
licher ſchwäbiſcher Schultheiß die Trümmer der alten Feſte be-
hütet, und ſtieg ſchließlich auch zu den luftigen Alpenhöhen des
Säntis, wo das Wildkirchlein keck wie ein Adlerhorſt herunter-
ſchaut auf die grünen Appenzeller Thäler. Dort in den Revieren
des ſchwäbiſchen Meeres, die Seele erfüllt von dem Walten er-
loſchener Geſchlechter, das Herz erquickt von warmem Sonnen-
ſchein und würziger Bergluft, hab' ich dieſe Erzählung entworfen
und zum größten Theil niedergeſchrieben.

Daß nicht viel darin geſagt iſt, was ſich nicht auf gewiſſen-
hafte culturgeſchichtliche Studien ſtützt, darf wohl behauptet wer-
den, wenn auch Perſonen und Jahrzahlen, vielleicht Jahrzehnte
mitunter ein weniges in einander verſchoben wurden. Der Dich-
ter darf ſich, der innern Oeconomie ſeines Werkes zu lieb,
Manches erlauben, was dem ſtrengen Hiſtoriker als Sünde an-
zurechnen wäre. Sagt doch ſelbſt der unübertroffene Geſchicht-
ſchreiber Macaulay: Gern will ich den Vorwurf tragen, die
würdige Höhe der Geſchichte nicht eingehalten zu haben, wenn
es mir nur gelingt, den Engländern des neunzehnten Jahrhun-
derts ein treues Gemälde des Lebens ihrer Vorfahren vor-
zuführen.

Dem Wunſche ſachverſtändiger Freunde entſprechend, ſind in
Anmerkungen einige Zeugniſſe und Nachweiſe der Quellen an-
geführt, zur Beruhigung derer, die ſonſt nur Fabel und müßige
Erfindung in dem Dargeſtellten zu wittern geneigt ſein könnten.
Wer aber auch ohne ſolche Nachweiſe Vertrauen auf eine gewiſſe

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[IX/0019] ſchaukelndem Kahn über den Bodenſee und niſtete mich bei der alten Linde am Abhang des Hohentwiel ein, wo jetzt ein treff- licher ſchwäbiſcher Schultheiß die Trümmer der alten Feſte be- hütet, und ſtieg ſchließlich auch zu den luftigen Alpenhöhen des Säntis, wo das Wildkirchlein keck wie ein Adlerhorſt herunter- ſchaut auf die grünen Appenzeller Thäler. Dort in den Revieren des ſchwäbiſchen Meeres, die Seele erfüllt von dem Walten er- loſchener Geſchlechter, das Herz erquickt von warmem Sonnen- ſchein und würziger Bergluft, hab' ich dieſe Erzählung entworfen und zum größten Theil niedergeſchrieben. Daß nicht viel darin geſagt iſt, was ſich nicht auf gewiſſen- hafte culturgeſchichtliche Studien ſtützt, darf wohl behauptet wer- den, wenn auch Perſonen und Jahrzahlen, vielleicht Jahrzehnte mitunter ein weniges in einander verſchoben wurden. Der Dich- ter darf ſich, der innern Oeconomie ſeines Werkes zu lieb, Manches erlauben, was dem ſtrengen Hiſtoriker als Sünde an- zurechnen wäre. Sagt doch ſelbſt der unübertroffene Geſchicht- ſchreiber Macaulay: Gern will ich den Vorwurf tragen, die würdige Höhe der Geſchichte nicht eingehalten zu haben, wenn es mir nur gelingt, den Engländern des neunzehnten Jahrhun- derts ein treues Gemälde des Lebens ihrer Vorfahren vor- zuführen. Dem Wunſche ſachverſtändiger Freunde entſprechend, ſind in Anmerkungen einige Zeugniſſe und Nachweiſe der Quellen an- geführt, zur Beruhigung derer, die ſonſt nur Fabel und müßige Erfindung in dem Dargeſtellten zu wittern geneigt ſein könnten. Wer aber auch ohne ſolche Nachweiſe Vertrauen auf eine gewiſſe 30*

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. IX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/19>, abgerufen am 20.04.2024.