Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite
Erstes Kapitel.
Hadwig, Herzogin von Schwaben.


Es war vor beinahe tausend Jahren. Die Welt wußte weder
von Pulver noch von Buchdruckerkunst.

Ueber dem Hegau lag ein trüber bleischwerer Himmel, doch war
von der Finsterniß, die bekanntlich über dem ganzen Mittelalter lastete,
im Einzelnen Nichts wahrzunehmen. Vom Bodensee her wogten die
Nebel über's Ries und verdeckten Land und Leute. Auch der Thurm
vom jungen Gotteshaus Radolf's-Zelle war eingehüllt, aber das Früh-
glöcklein war lustig durch Dunst und Dampf erklungen, wie das Wort
eines verständigen Mannes durch verfinsternden Nebel der Thoren.

Es ist ein schönes Stück deutscher Erde, was dort zwischen Schwarz-
wald und schwäbischem Meer sich aufthut. Wer's mit einem falschen
Gleichniß nicht allzu genau nimmt, mag sich der Worte des Dichters
erinnern:

Das Land der Alemannen mit seiner Berge Schnee,
Mit seinem blauen Auge, dem klaren Bodensee;
Mit seinen gelben Haaren, dem Aehrenschmuck der Auen,
Recht wie ein deutsches Antlitz ist solches Land zu schauen.

-- wiewohl die Fortführung dieses Bildes Veranlassung werden könnte,
die Hegauer Berge als die Nasen in diesem Antlitz zu preisen.

Düster ragte die Kuppe des hohen Twiel mit ihren Klingstein-
zacken in die Lüfte. Als Denksteine stürmischer Vorgeschichte unsrer
alten Mutter Erde stehen jene schroffen malerischen Bergkegel in der
Niederung, die einst gleich dem jetzigen Becken des Sees von wogen-

D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 1
Erſtes Kapitel.
Hadwig, Herzogin von Schwaben.


Es war vor beinahe tauſend Jahren. Die Welt wußte weder
von Pulver noch von Buchdruckerkunſt.

Ueber dem Hegau lag ein trüber bleiſchwerer Himmel, doch war
von der Finſterniß, die bekanntlich über dem ganzen Mittelalter laſtete,
im Einzelnen Nichts wahrzunehmen. Vom Bodenſee her wogten die
Nebel über's Ries und verdeckten Land und Leute. Auch der Thurm
vom jungen Gotteshaus Radolf's-Zelle war eingehüllt, aber das Früh-
glöcklein war luſtig durch Dunſt und Dampf erklungen, wie das Wort
eines verſtändigen Mannes durch verfinſternden Nebel der Thoren.

Es iſt ein ſchönes Stück deutſcher Erde, was dort zwiſchen Schwarz-
wald und ſchwäbiſchem Meer ſich aufthut. Wer's mit einem falſchen
Gleichniß nicht allzu genau nimmt, mag ſich der Worte des Dichters
erinnern:

Das Land der Alemannen mit ſeiner Berge Schnee,
Mit ſeinem blauen Auge, dem klaren Bodenſee;
Mit ſeinen gelben Haaren, dem Aehrenſchmuck der Auen,
Recht wie ein deutſches Antlitz iſt ſolches Land zu ſchauen.

— wiewohl die Fortführung dieſes Bildes Veranlaſſung werden könnte,
die Hegauer Berge als die Naſen in dieſem Antlitz zu preiſen.

Düſter ragte die Kuppe des hohen Twiel mit ihren Klingſtein-
zacken in die Lüfte. Als Denkſteine ſtürmiſcher Vorgeſchichte unſrer
alten Mutter Erde ſtehen jene ſchroffen maleriſchen Bergkegel in der
Niederung, die einſt gleich dem jetzigen Becken des Sees von wogen-

D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 1
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0023"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Er&#x017F;tes Kapitel</hi>.<lb/>
Hadwig, Herzogin von Schwaben.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p><hi rendition="#in">E</hi>s war vor beinahe tau&#x017F;end Jahren. Die Welt wußte weder<lb/>
von Pulver noch von Buchdruckerkun&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Ueber dem Hegau lag ein trüber blei&#x017F;chwerer Himmel, doch war<lb/>
von der Fin&#x017F;terniß, die bekanntlich über dem ganzen Mittelalter la&#x017F;tete,<lb/>
im Einzelnen Nichts wahrzunehmen. Vom Boden&#x017F;ee her wogten die<lb/>
Nebel über's Ries und verdeckten Land und Leute. Auch der Thurm<lb/>
vom jungen Gotteshaus Radolf's-Zelle war eingehüllt, aber das Früh-<lb/>
glöcklein war lu&#x017F;tig durch Dun&#x017F;t und Dampf erklungen, wie das Wort<lb/>
eines ver&#x017F;tändigen Mannes durch verfin&#x017F;ternden Nebel der Thoren.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t ein &#x017F;chönes Stück deut&#x017F;cher Erde, was dort zwi&#x017F;chen Schwarz-<lb/>
wald und &#x017F;chwäbi&#x017F;chem Meer &#x017F;ich aufthut. Wer's mit einem fal&#x017F;chen<lb/>
Gleichniß nicht allzu genau nimmt, mag &#x017F;ich der Worte des Dichters<lb/>
erinnern:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Das Land der Alemannen mit &#x017F;einer Berge Schnee,</l><lb/>
          <l>Mit &#x017F;einem blauen Auge, dem klaren Boden&#x017F;ee;</l><lb/>
          <l>Mit &#x017F;einen gelben Haaren, dem Aehren&#x017F;chmuck der Auen,</l><lb/>
          <l>Recht wie ein deut&#x017F;ches Antlitz i&#x017F;t &#x017F;olches Land zu &#x017F;chauen.</l>
        </lg><lb/>
        <p>&#x2014; wiewohl die Fortführung die&#x017F;es Bildes Veranla&#x017F;&#x017F;ung werden könnte,<lb/>
die Hegauer Berge als die Na&#x017F;en in die&#x017F;em Antlitz zu prei&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>&#x017F;ter ragte die Kuppe des hohen Twiel mit ihren Kling&#x017F;tein-<lb/>
zacken in die Lüfte. Als Denk&#x017F;teine &#x017F;türmi&#x017F;cher Vorge&#x017F;chichte un&#x017F;rer<lb/>
alten Mutter Erde &#x017F;tehen jene &#x017F;chroffen maleri&#x017F;chen Bergkegel in der<lb/>
Niederung, die ein&#x017F;t gleich dem jetzigen Becken des Sees von wogen-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D. B. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">VII.</hi></hi> Scheffel, Ekkehard. 1</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0023] Erſtes Kapitel. Hadwig, Herzogin von Schwaben. Es war vor beinahe tauſend Jahren. Die Welt wußte weder von Pulver noch von Buchdruckerkunſt. Ueber dem Hegau lag ein trüber bleiſchwerer Himmel, doch war von der Finſterniß, die bekanntlich über dem ganzen Mittelalter laſtete, im Einzelnen Nichts wahrzunehmen. Vom Bodenſee her wogten die Nebel über's Ries und verdeckten Land und Leute. Auch der Thurm vom jungen Gotteshaus Radolf's-Zelle war eingehüllt, aber das Früh- glöcklein war luſtig durch Dunſt und Dampf erklungen, wie das Wort eines verſtändigen Mannes durch verfinſternden Nebel der Thoren. Es iſt ein ſchönes Stück deutſcher Erde, was dort zwiſchen Schwarz- wald und ſchwäbiſchem Meer ſich aufthut. Wer's mit einem falſchen Gleichniß nicht allzu genau nimmt, mag ſich der Worte des Dichters erinnern: Das Land der Alemannen mit ſeiner Berge Schnee, Mit ſeinem blauen Auge, dem klaren Bodenſee; Mit ſeinen gelben Haaren, dem Aehrenſchmuck der Auen, Recht wie ein deutſches Antlitz iſt ſolches Land zu ſchauen. — wiewohl die Fortführung dieſes Bildes Veranlaſſung werden könnte, die Hegauer Berge als die Naſen in dieſem Antlitz zu preiſen. Düſter ragte die Kuppe des hohen Twiel mit ihren Klingſtein- zacken in die Lüfte. Als Denkſteine ſtürmiſcher Vorgeſchichte unſrer alten Mutter Erde ſtehen jene ſchroffen maleriſchen Bergkegel in der Niederung, die einſt gleich dem jetzigen Becken des Sees von wogen- D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 1

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/23
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/23>, abgerufen am 28.03.2024.