Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

sanfter Unkraft, der schwermüthigen genesenden Menschen so wohl an-
steht. Sein Denken war ernst, aber nimmer bitter.

Ich hab' von den Bergen was gelernt, sprach er zu sich selber,
Toben hilft nicht, wenn auch die zauberreichste Maid vor uns sitzt,
der Mensch muß von Stein werden, wie der Säntis und kühlenden
Eispanzer ums Herz legen, kaum der Traum der Nacht soll wissen
wie es drinnen kocht und glüht, das ist besser.

Und mälig ward ihm die Trübsal der letzten Vergangenheit in
mildem Duft verklärt; er dachte an die Herzogin und Alles was auf
dem hohen Twiel geschehen, es that ihm nimmer weh. Und das ist
das Fürtreffliche gewaltiger Natur, daß sie nicht nur sich selber als
ein mächtig wirkend Bild vor den Beschauenden stellt, sondern den
Geist überhaupt ausweitend anregt und fernliegende verschwundene
Zeit im Gedächtniß wieder heraufbeschwört. Ekkehard hatte lange
nimmer auf die Tage seiner Jugend rückgeschaut, jetzt flüchtete sich
sein Denken am liebsten dorthin, als wär' es ein Paradiesgarten, aus
dem ihn der Sturm des Lebens hinausgeweht. Er hatte etliche Jahre
in der Klosterschule zu Lorsch am Rheine verbracht; damals ahnte er
nicht, was in der Frauen dunkeln Augen für herzverzehrende Gluth
verborgen glimmt, die alten Pergamente waren seine Welt.

Aber eine Gestalt stand ihm von damals fest in's Herz geschrieben,
das war der Bruder Conrad von Alzey. An ihn, den wenig Jahre
älteren, hatte Ekkehard die erste Neigung junger Freundschaft geheftet;
ihr Lebensweg ging auseinand, es war Gras gewachsen über die Tage
von Lorsch, jetzt tauchten sie strahlend vor der Betrachtung auf, gleich
dem dunkeln Hügelland der Fläche, wenn die Morgensonne ihre Strahlen
drauf geworfen.

Es ist mit des Menschen Geist wie mit der Rinde der alten Erde;
auf den Anschwemmungen der Kindheit thürmen sich in stürmischer
Hebung neue Schichten auf, Fels und Grath und hohe Bergwand, die
bis in Himmel zu reichen wähnt, und der Boden, darauf sie ruht, ist
mit Trümmern überschüttet und vergessen, -- aber wie die starren
Gipfel der Alpen oft sehnsüchtig zu Thale schauen und sich heimweh-
bewältigt hinabstürzen in die Tiefe, der sie entstiegen, so fährt die
Erinnerung zurück in die Jugend und gräbt nach den Schätzen, die
sie unbeachtet beim tauben Gestein zurückließ.

ſanfter Unkraft, der ſchwermüthigen geneſenden Menſchen ſo wohl an-
ſteht. Sein Denken war ernſt, aber nimmer bitter.

Ich hab' von den Bergen was gelernt, ſprach er zu ſich ſelber,
Toben hilft nicht, wenn auch die zauberreichſte Maid vor uns ſitzt,
der Menſch muß von Stein werden, wie der Säntis und kühlenden
Eispanzer ums Herz legen, kaum der Traum der Nacht ſoll wiſſen
wie es drinnen kocht und glüht, das iſt beſſer.

Und mälig ward ihm die Trübſal der letzten Vergangenheit in
mildem Duft verklärt; er dachte an die Herzogin und Alles was auf
dem hohen Twiel geſchehen, es that ihm nimmer weh. Und das iſt
das Fürtreffliche gewaltiger Natur, daß ſie nicht nur ſich ſelber als
ein mächtig wirkend Bild vor den Beſchauenden ſtellt, ſondern den
Geiſt überhaupt ausweitend anregt und fernliegende verſchwundene
Zeit im Gedächtniß wieder heraufbeſchwört. Ekkehard hatte lange
nimmer auf die Tage ſeiner Jugend rückgeſchaut, jetzt flüchtete ſich
ſein Denken am liebſten dorthin, als wär' es ein Paradiesgarten, aus
dem ihn der Sturm des Lebens hinausgeweht. Er hatte etliche Jahre
in der Kloſterſchule zu Lorſch am Rheine verbracht; damals ahnte er
nicht, was in der Frauen dunkeln Augen für herzverzehrende Gluth
verborgen glimmt, die alten Pergamente waren ſeine Welt.

Aber eine Geſtalt ſtand ihm von damals feſt in's Herz geſchrieben,
das war der Bruder Conrad von Alzey. An ihn, den wenig Jahre
älteren, hatte Ekkehard die erſte Neigung junger Freundſchaft geheftet;
ihr Lebensweg ging auseinand, es war Gras gewachſen über die Tage
von Lorſch, jetzt tauchten ſie ſtrahlend vor der Betrachtung auf, gleich
dem dunkeln Hügelland der Fläche, wenn die Morgenſonne ihre Strahlen
drauf geworfen.

Es iſt mit des Menſchen Geiſt wie mit der Rinde der alten Erde;
auf den Anſchwemmungen der Kindheit thürmen ſich in ſtürmiſcher
Hebung neue Schichten auf, Fels und Grath und hohe Bergwand, die
bis in Himmel zu reichen wähnt, und der Boden, darauf ſie ruht, iſt
mit Trümmern überſchüttet und vergeſſen, — aber wie die ſtarren
Gipfel der Alpen oft ſehnſüchtig zu Thale ſchauen und ſich heimweh-
bewältigt hinabſtürzen in die Tiefe, der ſie entſtiegen, ſo fährt die
Erinnerung zurück in die Jugend und gräbt nach den Schätzen, die
ſie unbeachtet beim tauben Geſtein zurückließ.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0353" n="331"/>
&#x017F;anfter Unkraft, der &#x017F;chwermüthigen gene&#x017F;enden Men&#x017F;chen &#x017F;o wohl an-<lb/>
&#x017F;teht. Sein Denken war ern&#x017F;t, aber nimmer bitter.</p><lb/>
        <p>Ich hab' von den Bergen was gelernt, &#x017F;prach er zu &#x017F;ich &#x017F;elber,<lb/>
Toben hilft nicht, wenn auch die zauberreich&#x017F;te Maid vor uns &#x017F;itzt,<lb/>
der Men&#x017F;ch muß von Stein werden, wie der Säntis und kühlenden<lb/>
Eispanzer ums Herz legen, kaum der Traum der Nacht &#x017F;oll wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
wie es drinnen kocht und glüht, das i&#x017F;t be&#x017F;&#x017F;er.</p><lb/>
        <p>Und mälig ward ihm die Trüb&#x017F;al der letzten Vergangenheit in<lb/>
mildem Duft verklärt; er dachte an die Herzogin und Alles was auf<lb/>
dem hohen Twiel ge&#x017F;chehen, es that ihm nimmer weh. Und das i&#x017F;t<lb/>
das Fürtreffliche gewaltiger Natur, daß &#x017F;ie nicht nur &#x017F;ich &#x017F;elber als<lb/>
ein mächtig wirkend Bild vor den Be&#x017F;chauenden &#x017F;tellt, &#x017F;ondern den<lb/>
Gei&#x017F;t überhaupt ausweitend anregt und fernliegende ver&#x017F;chwundene<lb/>
Zeit im Gedächtniß wieder heraufbe&#x017F;chwört. Ekkehard hatte lange<lb/>
nimmer auf die Tage &#x017F;einer Jugend rückge&#x017F;chaut, jetzt flüchtete &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;ein Denken am lieb&#x017F;ten dorthin, als wär' es ein Paradiesgarten, aus<lb/>
dem ihn der Sturm des Lebens hinausgeweht. Er hatte etliche Jahre<lb/>
in der Klo&#x017F;ter&#x017F;chule zu Lor&#x017F;ch am Rheine verbracht; damals ahnte er<lb/>
nicht, was in der Frauen dunkeln Augen für herzverzehrende Gluth<lb/>
verborgen glimmt, die alten Pergamente waren &#x017F;eine Welt.</p><lb/>
        <p>Aber eine Ge&#x017F;talt &#x017F;tand ihm von damals fe&#x017F;t in's Herz ge&#x017F;chrieben,<lb/>
das war der Bruder Conrad von Alzey. An ihn, den wenig Jahre<lb/>
älteren, hatte Ekkehard die er&#x017F;te Neigung junger Freund&#x017F;chaft geheftet;<lb/>
ihr Lebensweg ging auseinand, es war Gras gewach&#x017F;en über die Tage<lb/>
von Lor&#x017F;ch, jetzt tauchten &#x017F;ie &#x017F;trahlend vor der Betrachtung auf, gleich<lb/>
dem dunkeln Hügelland der Fläche, wenn die Morgen&#x017F;onne ihre Strahlen<lb/>
drauf geworfen.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t mit des Men&#x017F;chen Gei&#x017F;t wie mit der Rinde der alten Erde;<lb/>
auf den An&#x017F;chwemmungen der Kindheit thürmen &#x017F;ich in &#x017F;türmi&#x017F;cher<lb/>
Hebung neue Schichten auf, Fels und Grath und hohe Bergwand, die<lb/>
bis in Himmel zu reichen wähnt, und der Boden, darauf &#x017F;ie ruht, i&#x017F;t<lb/>
mit Trümmern über&#x017F;chüttet und verge&#x017F;&#x017F;en, &#x2014; aber wie die &#x017F;tarren<lb/>
Gipfel der Alpen oft &#x017F;ehn&#x017F;üchtig zu Thale &#x017F;chauen und &#x017F;ich heimweh-<lb/>
bewältigt hinab&#x017F;türzen in die Tiefe, der &#x017F;ie ent&#x017F;tiegen, &#x017F;o fährt die<lb/>
Erinnerung zurück in die Jugend und gräbt nach den Schätzen, die<lb/>
&#x017F;ie unbeachtet beim tauben Ge&#x017F;tein zurückließ.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[331/0353] ſanfter Unkraft, der ſchwermüthigen geneſenden Menſchen ſo wohl an- ſteht. Sein Denken war ernſt, aber nimmer bitter. Ich hab' von den Bergen was gelernt, ſprach er zu ſich ſelber, Toben hilft nicht, wenn auch die zauberreichſte Maid vor uns ſitzt, der Menſch muß von Stein werden, wie der Säntis und kühlenden Eispanzer ums Herz legen, kaum der Traum der Nacht ſoll wiſſen wie es drinnen kocht und glüht, das iſt beſſer. Und mälig ward ihm die Trübſal der letzten Vergangenheit in mildem Duft verklärt; er dachte an die Herzogin und Alles was auf dem hohen Twiel geſchehen, es that ihm nimmer weh. Und das iſt das Fürtreffliche gewaltiger Natur, daß ſie nicht nur ſich ſelber als ein mächtig wirkend Bild vor den Beſchauenden ſtellt, ſondern den Geiſt überhaupt ausweitend anregt und fernliegende verſchwundene Zeit im Gedächtniß wieder heraufbeſchwört. Ekkehard hatte lange nimmer auf die Tage ſeiner Jugend rückgeſchaut, jetzt flüchtete ſich ſein Denken am liebſten dorthin, als wär' es ein Paradiesgarten, aus dem ihn der Sturm des Lebens hinausgeweht. Er hatte etliche Jahre in der Kloſterſchule zu Lorſch am Rheine verbracht; damals ahnte er nicht, was in der Frauen dunkeln Augen für herzverzehrende Gluth verborgen glimmt, die alten Pergamente waren ſeine Welt. Aber eine Geſtalt ſtand ihm von damals feſt in's Herz geſchrieben, das war der Bruder Conrad von Alzey. An ihn, den wenig Jahre älteren, hatte Ekkehard die erſte Neigung junger Freundſchaft geheftet; ihr Lebensweg ging auseinand, es war Gras gewachſen über die Tage von Lorſch, jetzt tauchten ſie ſtrahlend vor der Betrachtung auf, gleich dem dunkeln Hügelland der Fläche, wenn die Morgenſonne ihre Strahlen drauf geworfen. Es iſt mit des Menſchen Geiſt wie mit der Rinde der alten Erde; auf den Anſchwemmungen der Kindheit thürmen ſich in ſtürmiſcher Hebung neue Schichten auf, Fels und Grath und hohe Bergwand, die bis in Himmel zu reichen wähnt, und der Boden, darauf ſie ruht, iſt mit Trümmern überſchüttet und vergeſſen, — aber wie die ſtarren Gipfel der Alpen oft ſehnſüchtig zu Thale ſchauen und ſich heimweh- bewältigt hinabſtürzen in die Tiefe, der ſie entſtiegen, ſo fährt die Erinnerung zurück in die Jugend und gräbt nach den Schätzen, die ſie unbeachtet beim tauben Geſtein zurückließ.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/353
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/353>, abgerufen am 19.04.2024.