Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Maße gleich, und Borsten, so hoch wie die Tannen des Forstes, und
Zähne zwölf Ellen lang36) -- und ward zusehends artiger, denn wie
die Griechin einmal ihren Schritt hemmte, um einer Drossel Schlag zu
belauschen, hielt auch Romeias geduldig an, wiewohl ihm sonst ein
Singvogel ein viel zu erbärmlich Stück Wild war, als daß er ihn
großen Aufmerkens gewürdigt. Und wie Praxedis sich nach einem
schönen Goldkäfer bückte, der im röthlichen Moos herum kletterte,
wollte ihr Romeias dienstwillig den Käfer mit schwerbesohltem Fuß
zur Hand schieben, und daß er ihn bei solcher Gelegenheit zertrat, war
nicht seine Absicht.

Sie stiegen einen düstern Bergpfad hinauf; über zerklüftete Nagel-
fluhfelsen rann die Schwarza zu Thale. An jenem Abhang war einst
der heilige Gall in die Dornen gefallen und hatte zum Begleiter, der
ihn aufrichten wollte, gesprochen: Laß mich liegen, hier soll meine
Ruhe sein und mein Haus für alle Zeit!37)

Sie waren nicht lang bergan geklommen, da kamen sie an einen
freien tannwaldumsäumten Platz. An schirmende Felswand ange-
lehnt stand dort eine schlichte Capelle in Form eines Kreuzes. Nah
dabei war ein viereckig Häuslein gemauert, das mit der Rückseite auch
an den Fels anstieß; nur eine einzige niedere Fensteröffnung, mit
einem Holzladen verschließbar, war dran zu schauen; nirgends eine
Thüre oder anderweiter Eingang, und war nicht abzusehen, wie ein
Mensch in solch Gebäu Einlaß finden mochte, wofern er nicht durch
eine Lucke im Dach von Seiten der Felswand sich hinabließ. Genüber
stund ein gleiches Gelaß, so ebenfalls nur ein einzig Fensterlein hatte.

Es war häufiger Brauch dazumal, daß solche, die Neigung zum
Mönchsleben verspürten und die sich, wie der heilige Benedict sagt,38) stark genug fühlten, den Kampf mit dem Teufel ohne Beihilfe from-
mer Genossenschaft auf eigene Faust zu bestehen, sich in solch einen
Gaden einmauern ließen. Man hieß sie Reclausi, Eingeschlossene,
Klausner, und war ihre Nutzbarkeit und Lebensabsicht der der Säulen-
heiligen in Aegyptenland zu vergleichen; scharfer Winterswind und
Schneefall macht freilich diesseits der Alpen die Absperrung in frischer
Luft unmöglich, das Anachoretengelüst war nicht minder stark.39)

In den vier engen Wänden hier auf dem Irenhügel hauste nun
die Schwester Wiborad,40) eine vielgepriesene Klausnerin ihrer Zeit.

Maße gleich, und Borſten, ſo hoch wie die Tannen des Forſtes, und
Zähne zwölf Ellen lang36) — und ward zuſehends artiger, denn wie
die Griechin einmal ihren Schritt hemmte, um einer Droſſel Schlag zu
belauſchen, hielt auch Romeias geduldig an, wiewohl ihm ſonſt ein
Singvogel ein viel zu erbärmlich Stück Wild war, als daß er ihn
großen Aufmerkens gewürdigt. Und wie Praxedis ſich nach einem
ſchönen Goldkäfer bückte, der im röthlichen Moos herum kletterte,
wollte ihr Romeias dienſtwillig den Käfer mit ſchwerbeſohltem Fuß
zur Hand ſchieben, und daß er ihn bei ſolcher Gelegenheit zertrat, war
nicht ſeine Abſicht.

Sie ſtiegen einen düſtern Bergpfad hinauf; über zerklüftete Nagel-
fluhfelſen rann die Schwarza zu Thale. An jenem Abhang war einſt
der heilige Gall in die Dornen gefallen und hatte zum Begleiter, der
ihn aufrichten wollte, geſprochen: Laß mich liegen, hier ſoll meine
Ruhe ſein und mein Haus für alle Zeit!37)

Sie waren nicht lang bergan geklommen, da kamen ſie an einen
freien tannwaldumſäumten Platz. An ſchirmende Felswand ange-
lehnt ſtand dort eine ſchlichte Capelle in Form eines Kreuzes. Nah
dabei war ein viereckig Häuslein gemauert, das mit der Rückſeite auch
an den Fels anſtieß; nur eine einzige niedere Fenſteröffnung, mit
einem Holzladen verſchließbar, war dran zu ſchauen; nirgends eine
Thüre oder anderweiter Eingang, und war nicht abzuſehen, wie ein
Menſch in ſolch Gebäu Einlaß finden mochte, wofern er nicht durch
eine Lucke im Dach von Seiten der Felswand ſich hinabließ. Genüber
ſtund ein gleiches Gelaß, ſo ebenfalls nur ein einzig Fenſterlein hatte.

Es war häufiger Brauch dazumal, daß ſolche, die Neigung zum
Mönchsleben verſpürten und die ſich, wie der heilige Benedict ſagt,38) ſtark genug fühlten, den Kampf mit dem Teufel ohne Beihilfe from-
mer Genoſſenſchaft auf eigene Fauſt zu beſtehen, ſich in ſolch einen
Gaden einmauern ließen. Man hieß ſie Reclauſi, Eingeſchloſſene,
Klausner, und war ihre Nutzbarkeit und Lebensabſicht der der Säulen-
heiligen in Aegyptenland zu vergleichen; ſcharfer Winterswind und
Schneefall macht freilich dieſſeits der Alpen die Abſperrung in friſcher
Luft unmöglich, das Anachoretengelüſt war nicht minder ſtark.39)

In den vier engen Wänden hier auf dem Irenhügel hauste nun
die Schweſter Wiborad,40) eine vielgeprieſene Klausnerin ihrer Zeit.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0046" n="24"/>
Maße gleich, und Bor&#x017F;ten, &#x017F;o hoch wie die Tannen des For&#x017F;tes, und<lb/>
Zähne zwölf Ellen lang<note xml:id="ed36" next="#edt36" place="end" n="36)"/> &#x2014; und ward zu&#x017F;ehends artiger, denn wie<lb/>
die Griechin einmal ihren Schritt hemmte, um einer Dro&#x017F;&#x017F;el Schlag zu<lb/>
belau&#x017F;chen, hielt auch Romeias geduldig an, wiewohl ihm &#x017F;on&#x017F;t ein<lb/>
Singvogel ein viel zu erbärmlich Stück Wild war, als daß er ihn<lb/>
großen Aufmerkens gewürdigt. Und wie Praxedis &#x017F;ich nach einem<lb/>
&#x017F;chönen Goldkäfer bückte, der im röthlichen Moos herum kletterte,<lb/>
wollte ihr Romeias dien&#x017F;twillig den Käfer mit &#x017F;chwerbe&#x017F;ohltem Fuß<lb/>
zur Hand &#x017F;chieben, und daß er ihn bei &#x017F;olcher Gelegenheit zertrat, war<lb/>
nicht &#x017F;eine Ab&#x017F;icht.</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;tiegen einen dü&#x017F;tern Bergpfad hinauf; über zerklüftete Nagel-<lb/>
fluhfel&#x017F;en rann die Schwarza zu Thale. An jenem Abhang war ein&#x017F;t<lb/>
der heilige Gall in die Dornen gefallen und hatte zum Begleiter, der<lb/>
ihn aufrichten wollte, ge&#x017F;prochen: Laß mich liegen, hier &#x017F;oll meine<lb/>
Ruhe &#x017F;ein und mein Haus für alle Zeit!<note xml:id="ed37" next="#edt37" place="end" n="37)"/></p><lb/>
        <p>Sie waren nicht lang bergan geklommen, da kamen &#x017F;ie an einen<lb/>
freien tannwaldum&#x017F;äumten Platz. An &#x017F;chirmende Felswand ange-<lb/>
lehnt &#x017F;tand dort eine &#x017F;chlichte Capelle in Form eines Kreuzes. Nah<lb/>
dabei war ein viereckig Häuslein gemauert, das mit der Rück&#x017F;eite auch<lb/>
an den Fels an&#x017F;tieß; nur eine einzige niedere Fen&#x017F;teröffnung, mit<lb/>
einem Holzladen ver&#x017F;chließbar, war dran zu &#x017F;chauen; nirgends eine<lb/>
Thüre oder anderweiter Eingang, und war nicht abzu&#x017F;ehen, wie ein<lb/>
Men&#x017F;ch in &#x017F;olch Gebäu Einlaß finden mochte, wofern er nicht durch<lb/>
eine Lucke im Dach von Seiten der Felswand &#x017F;ich hinabließ. Genüber<lb/>
&#x017F;tund ein gleiches Gelaß, &#x017F;o ebenfalls nur ein einzig Fen&#x017F;terlein hatte.</p><lb/>
        <p>Es war häufiger Brauch dazumal, daß &#x017F;olche, die Neigung zum<lb/>
Mönchsleben ver&#x017F;pürten und die &#x017F;ich, wie der heilige Benedict &#x017F;agt,<note xml:id="ed38" next="#edt38" place="end" n="38)"/><lb/>
&#x017F;tark genug fühlten, den Kampf mit dem Teufel ohne Beihilfe from-<lb/>
mer Geno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft auf eigene Fau&#x017F;t zu be&#x017F;tehen, &#x017F;ich in &#x017F;olch einen<lb/>
Gaden einmauern ließen. Man hieß &#x017F;ie Reclau&#x017F;i, Einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene,<lb/>
Klausner, und war ihre Nutzbarkeit und Lebensab&#x017F;icht der der Säulen-<lb/>
heiligen in Aegyptenland zu vergleichen; &#x017F;charfer Winterswind und<lb/>
Schneefall macht freilich die&#x017F;&#x017F;eits der Alpen die Ab&#x017F;perrung in fri&#x017F;cher<lb/>
Luft unmöglich, das Anachoretengelü&#x017F;t war nicht minder &#x017F;tark.<note xml:id="ed39" next="#edt39" place="end" n="39)"/></p><lb/>
        <p>In den vier engen Wänden hier auf dem Irenhügel hauste nun<lb/>
die Schwe&#x017F;ter Wiborad,<note xml:id="ed40" next="#edt40" place="end" n="40)"/> eine vielgeprie&#x017F;ene Klausnerin ihrer Zeit.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0046] Maße gleich, und Borſten, ſo hoch wie die Tannen des Forſtes, und Zähne zwölf Ellen lang ³⁶⁾ — und ward zuſehends artiger, denn wie die Griechin einmal ihren Schritt hemmte, um einer Droſſel Schlag zu belauſchen, hielt auch Romeias geduldig an, wiewohl ihm ſonſt ein Singvogel ein viel zu erbärmlich Stück Wild war, als daß er ihn großen Aufmerkens gewürdigt. Und wie Praxedis ſich nach einem ſchönen Goldkäfer bückte, der im röthlichen Moos herum kletterte, wollte ihr Romeias dienſtwillig den Käfer mit ſchwerbeſohltem Fuß zur Hand ſchieben, und daß er ihn bei ſolcher Gelegenheit zertrat, war nicht ſeine Abſicht. Sie ſtiegen einen düſtern Bergpfad hinauf; über zerklüftete Nagel- fluhfelſen rann die Schwarza zu Thale. An jenem Abhang war einſt der heilige Gall in die Dornen gefallen und hatte zum Begleiter, der ihn aufrichten wollte, geſprochen: Laß mich liegen, hier ſoll meine Ruhe ſein und mein Haus für alle Zeit! ³⁷⁾ Sie waren nicht lang bergan geklommen, da kamen ſie an einen freien tannwaldumſäumten Platz. An ſchirmende Felswand ange- lehnt ſtand dort eine ſchlichte Capelle in Form eines Kreuzes. Nah dabei war ein viereckig Häuslein gemauert, das mit der Rückſeite auch an den Fels anſtieß; nur eine einzige niedere Fenſteröffnung, mit einem Holzladen verſchließbar, war dran zu ſchauen; nirgends eine Thüre oder anderweiter Eingang, und war nicht abzuſehen, wie ein Menſch in ſolch Gebäu Einlaß finden mochte, wofern er nicht durch eine Lucke im Dach von Seiten der Felswand ſich hinabließ. Genüber ſtund ein gleiches Gelaß, ſo ebenfalls nur ein einzig Fenſterlein hatte. Es war häufiger Brauch dazumal, daß ſolche, die Neigung zum Mönchsleben verſpürten und die ſich, wie der heilige Benedict ſagt, ³⁸⁾ ſtark genug fühlten, den Kampf mit dem Teufel ohne Beihilfe from- mer Genoſſenſchaft auf eigene Fauſt zu beſtehen, ſich in ſolch einen Gaden einmauern ließen. Man hieß ſie Reclauſi, Eingeſchloſſene, Klausner, und war ihre Nutzbarkeit und Lebensabſicht der der Säulen- heiligen in Aegyptenland zu vergleichen; ſcharfer Winterswind und Schneefall macht freilich dieſſeits der Alpen die Abſperrung in friſcher Luft unmöglich, das Anachoretengelüſt war nicht minder ſtark. ³⁹⁾ In den vier engen Wänden hier auf dem Irenhügel hauste nun die Schweſter Wiborad, ⁴⁰⁾ eine vielgeprieſene Klausnerin ihrer Zeit.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/46
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/46>, abgerufen am 18.04.2024.